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       # taz.de -- Julian Assange vor Gericht: Bedrohte Pressefreiheit
       
       > Auf den Wikileaks-Gründer Julian Assange wartet in den USA eine Anklage
       > wegen „Hackens“ und Spionage. Dahinter stehen Rachegefühle.
       
   IMG Bild: Julian Assange im Mai 2019 nach einem Gerichtstermin in London
       
       Washington taz | Keine Dokumente, die Julian Assange, der Gründer von
       Wikileaks, veröffentlicht hat, sind „Fake News“. Weder das Video, in dem
       US-Soldaten aus einem Militärhubschrauber unbewaffnete Zivilisten auf einer
       Straße in Bagdad erschießen, während sie sich gegenseitig für ihre Treffer
       beglückwünschen, noch die Details über Folter in Guantánamo und Abu Ghraib
       noch die Kollaboration der US-Regierung mit Diktatoren in aller Welt.
       
       Der Australier hat der Weltöffentlichkeit einen publizistischen Dienst
       erwiesen und sie über Verbrechen aufgeklärt. Aber in den USA ist er
       deswegen als „Spion“ und als „Hacker“ angeklagt worden. Falls
       Großbritannien ihn am Ende des heute in London beginnenden – und
       voraussichtlich langen – Verfahrens tatsächlich in die USA ausliefern
       sollte, drohen im dort 175 Jahre Gefängnis.
       
       In den großen Medien der USA kommt Assange kaum vor. Aber einige
       Investigativjournalisten und [1][Menschenrechtsorganisationen sind
       alarmiert]. Sie befürchten, dass hinter der Anklage gegen Assange eine
       Generalattacke gegen ihre eigene Arbeit und gegen den ersten
       Verfassungszusatz der US-Verfassung steht, der die Meinungsfreiheit
       garantiert.
       
       Ohne die Veröffentlichung von Dokumenten, die die Regierung geheim halten
       will, „wäre der Krieg gegen den Terror bis heute völlig unkontrolliert
       geblieben“, erklärt der zweifache Pulitzerpreisträger James Risen, der
       unter anderem das Waterboarding des CIA enthüllt hat. Seymour Hersh, der
       unter anderem das My-Lai-Massaker im Vietnamkrieg enthüllte, sagt, dass die
       Wut des US-Justizministeriums als Nächstes auch die New York Times treffen
       könnte. Hersh prognostiziert das Aus für den investigativen Journalismus,
       „wenn wir unsere Quelle nicht mehr ermuntern dürfen, uns geheime
       Informationen zu geben“.
       
       In Brasilien hat das US-amerikanische Beispiel bereits Schule gemacht. Dort
       versuchten Staatsanwälte, den US-amerikanischen Journalisten [2][Glenn
       Greenwald wegen Cyberkriminalität anzuklagen], als er bei einer Recherche
       über Korruption in den Reihen des Präsidenten Jair Bolsonaro Informationen
       benutzte, die ihm nach einem Hack zugespielt wurden. Die Staatsanwälte
       wollten den Journalisten für das Hacken verantwortlich machen. Greenwald,
       ebenfalls ein Pulitzerpreisträger, bezeichnet die Anklage gegen Assange als
       „eine der größten Bedrohungen für die Pressefreiheit“ und eine
       „Kriminalisierung von Journalismus“.
       
       ## Schockierende Verbrechen
       
       Die Enthüllungsplattform Wikileaks hatte im Jahr 2010 – in Zusammenarbeit
       mit großen Zeitungen quer durch die Welt – die bis dahin größte Menge
       geheimer Daten aus US-Militär und Diplomatie veröffentlicht. Die
       Organisation hatte das Material von einem 22-jährigen Whistleblower in der
       US-Armee erhalten. Chelsea Manning – die damals noch Bradley hieß – war bei
       ihrem Einsatz im Irak auf die Filme und Depeschen gestoßen und hatte sie
       weitergegeben, weil sie schockiert über die darin dokumentierten
       Gesetzesbrüche war.
       
       Assange soll Manning nach der Übergabe hunderttausender Depeschen gefragt
       haben, ob sie weiteres Material besorgen könnte. Außerdem soll er versucht
       haben, Manning dabei zu helfen, ihre elektronischen Spuren zu verwischen.
       Letzteres hat das US-Justizministerium benutzt, um daraus eine Anklage
       wegen „Computerhackens“ zu machen. Die 17 anderen Anklagepunkte gegen
       Assange basieren auf einem Spionagegesetz, das die USA 1917 im Ersten
       Weltkrieg erlassen hatten.
       
       Schon Ex-Präsident Barack Obama ging hart gegen Whistleblower vor und
       setzte mehrfach das Spionagegesetz bei Ermittlungen gegen sie ein. Aber
       unter Obama gab es keine Anklagen gegen Journalisten auf dieser Grundlage.
       Für seinen Nachfolger Donald Trump gehört die Verachtung für Journalisten
       jedoch zum Programm.
       
       Trump spricht regelmäßig von „Lamestream Media“ und „Fake News“ und
       beschreibt Journalisten bei seinen Wahlkampfmeetings als „Feinde des
       Volkes“. Sein Justizministerium hat die Anklage gegen Assange – die nach
       einer Auslieferung jederzeit noch erweitert werden kann – im vergangenen
       Jahr vorgelegt.
       
       Assange ist nicht der Einzige, den die Rache Washingtons verfolgt. Die
       heute 32-jährige [3][Manning ist seit mehr als elf Monaten wieder im
       Gefängnis], weil sie sich weigert, gegen Wikileaks auszusagen. Und der
       ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der drei Jahre nach
       Manning und Assange seinerseits mit Enthüllungen über die massive
       Schnüffelei der US-Geheimdienste aufwartete, lebt immer noch im russischen
       Exil.
       
       24 Feb 2020
       
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