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       # taz.de -- Wahl im Iran: Hauptsache Kreuzchen machen
       
       > Der Iran wählt am Freitag ein neues Parlament. Schon jetzt steht fest:
       > Die Konservativen werden ein Comeback feiern, Ruhani verliert an
       > Unterstützung.
       
   IMG Bild: Wahlplakate in Teheran
       
       Berlin taz | Auf vollen Touren lief in den vergangenen Tagen die
       Propagandamaschine des iranischen Regimes. Alle Hebel sind vor der
       Parlamentswahl an diesem Freitag in Bewegung gesetzt worden, um die Wähler
       an die Urnen zu locken. Der staatliche Rundfunk fordert eine Einheitsfront,
       um das Vaterland zu verteidigen, die unabhängige Presse steht unter Druck,
       soziale Netzwerke werden zensiert.
       
       Dabei geht es bei der Wahl gar nicht darum, welche Partei die Mehrheit
       bekommt. Nach der Zurückweisung Tausender Kandidaten durch den Wächterrat
       steht schon so gut wie fest, dass die Konservativen und Hardliner nach fast
       sieben Jahren wieder eine Wahl gewinnen und das künftige Parlament
       dominieren werden. Noch nie in der Geschichte der Islamischen Republik hat
       der Wächterrat so rigoros Reformer und Gemäßigte von der Teilnahme an der
       Wahl ausgeschlossen.
       
       Vielmehr geht es diesmal um die Wahlbeteiligung. Die Mobilisierung der
       Massen ist für das Regime von existenzieller Bedeutung. Sie ist der
       wichtigste Trumpf der Machthaber, mit dem sie ihre Legitimation gegenüber
       der Opposition im Inland und den „Feinden“ im Ausland begründen können.
       Tatsächlich war das Regime in den vergangenen vierzig Jahren in der Lage,
       zu jedem beliebigen Anlass Millionen auf die Straße zu bringen.
       
       Ob dies auch diesmal gelingen wird, ist fraglich. Die Ereignisse der
       vergangenen Monate haben die Gesellschaft gespalten und Misstrauen
       gegenüber der Staatsführung erzeugt. Bei der Niederschlagung von
       [1][Massenprotesten im November] wurden nach Informationen der
       Nachrichtenagentur Reuters, die sich auf Informanten im iranischen
       Innenministerium beruft, rund 1.500 Menschen getötet. Im Januar folgte als
       Reaktion auf die [2][Tötung von General Qasim Soleimani] durch die USA der
       versehentliche [3][Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine]. In der
       Folge wurde die iranische Bevölkerung drei Tage lang belogen und betrogen.
       
       ## Reformer aussortiert
       
       Zu alledem kam im Vorfeld der Wahl noch die Ablehnung Tausender Kandidaten,
       die sich um einen Sitz im Parlament bewerben wollten. Der von konservativen
       Geistlichen und Hardlinern dominierte Wächterrat, der bei allen Wahlen
       über die Eignung der Kandidaten entscheidet, hat mehr als die Hälfte der
       ursprünglich 14.500 Kandidaten als nicht geeignet eingestuft.
       
       Die Säuberung betrifft die Reformer und Gemäßigten besonders stark.
       Berichten zufolge wurden von 762 Bewerbern, die zu den Reformern gezählt
       werden, nur 44 zugelassen. Einer Erklärung der Reformer zufolge sind
       bereits vor der Wahl 160 von insgesamt 290 Sitzen im Parlament an
       Konservative vergeben worden. Denn in einigen Wahlbezirken haben die Wähler
       nur die Wahl zwischen konservativen Kandidaten. In anderen gibt es nur
       einen Kandidaten aus dem Kreis der Konservativen oder Hardliner.
       
       Die Zeitung Etemad schrieb, mit dieser Vorauswahl werde die Wahl zu einer
       „internen Abstimmung unter Hardlinern“. Unter den abgelehnten Kandidaten
       befinden sich auch zahlreiche Abgeordnete, die derzeit noch ein Mandat im
       Parlament haben. Die Reformer werden wohl nicht einmal in der Lage sein,
       eine Liste für die dreißig Sitze für die Hauptstadt Teheran zu
       präsentieren.
       
       Wegen der Vorauswahl, die der Wächterrat trifft, waren die Wahlen schon
       immer eine Farce. Hinzu kommt, dass das Parlament im Machtgefüge des Iran
       ohnehin kaum eine Rolle spielt. Dennoch sollte bislang die Existenz des
       Parlaments, in dem verschiedene Fraktionen vertreten sind, zumindest auf
       das republikanische Element in der Staatsordnung deuten.
       
       Doch offenbar sind die Konservativen und Hardliner mit Revolutionsführer
       Ali Chamenei an der Spitze entschlossen, nun auch das Parlament zu
       monopolisieren. Damit riskieren sie, dass die Wahlbeteiligung so niedrig
       ausfällt wie noch nie, dass die Proteste im Land weiter zunehmen und sich
       die Konfrontation mit den USA weiter zuspitzt.
       
       ## Ruhani überrascht mit Aufruf zur Wahl
       
       In einer anbiedernden Rede hatte Chamenei vergangene Woche an das
       Nationalgefühl der Iraner appelliert. „Es kann sein, dass jemand mich nicht
       mag, aber wenn er seine Heimat liebt, muss er wählen gehen.“ Selbst jene,
       die nicht religiös oder revolutionär motiviert seien, sollten wissen, dass
       eine hohe Wahlbeteiligung eine Garantie für Sicherheit und Stabilität sei.
       Scharfe Kritik übte er an Kritikern des Wächterrats. „Die Wahlen im Iran
       gehören zu den saubersten und korrektesten der Welt.“
       
       Am Dienstag fügte er hinzu, die Teilnahme an Wahlen sei nicht allein eine
       „nationale und revolutionäre Pflicht“, sondern auch eine „religiöse
       Pflicht“. Er forderte die Wähler auf, bei ihrer Wahl wachsam zu sein und
       nur für integre Kandidaten zu stimmen. „Denn es hat immer wieder
       Abgeordnete gegeben, die heute zu Dienern und Dienerinnen der Amerikaner
       und Feinden Irans geworden sind.“
       
       Erstaunen erweckten Äußerungen von Präsident Hassan Rohani. Während er in
       den Wochen zuvor den Wächterrat scharf kritisiert hatte und aufforderte,
       unparteiisch zu handeln, rief auch er wenige Tage vor der Wahl dazu auf,
       wählen zu gehen. Sollte es in einigen Bezirken keinen Kandidaten geben, von
       dem man überzeugt sei, solle man einen anderen wählen. „Wir sind doch alle
       Iraner“, sagte der Präsident. Fürchtet er, dass das neue Parlament ihn aus
       dem Amt jagen wird?
       
       Rohani war in der Präsidentschaftswahl 2013 gewählt und 2017 wiedergewählt
       worden. Bei der Parlamentswahl 2016 konnten die moderaten Kräfte um ihn
       herum überraschend auch die Mehrheit im Parlament erringen. Eine Rückkehr
       der Konservativen könnte sein letztes Amtsjahr jetzt zur Tortur machen.
       Rohani war die treibende Kraft hinter dem internationalen Atomabkommen mit
       dem Iran. Die damit verbundenen Hoffnungen der Menschen haben sich aber
       zerschlagen, nachdem die USA 2018 aus dem Vertrag ausstiegen und neue
       Iran-Sanktionen verhängten.
       
       Die dramatischen Ereignisse der letzten Monate und die Vorgänge um die
       anstehende Parlamentswahl könnten für das Schicksal des Iran entscheidend
       sein. Vor allem, weil alle jene, die die Hoffnung hatten, die Islamische
       Republik ließe sich mit Reformen zu einer Demokratie umwandeln, ihre
       Illusionen aufgegeben haben.
       
       21 Feb 2020
       
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