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       # taz.de -- Gerichtsverfahren gegen Antifaschisten: Linker wegen Hitlergruß verurteilt
       
       > In Fürth soll ein Mann aus Protest gegen die AfD den Hitlergruß gezeigt
       > haben. Er bestreitet das, ebenso wie die Polizei. Trotzdem wird er
       > verurteilt.
       
   IMG Bild: Ist das jetzt strafbar? Demo gegen AfD
       
       Fürth taz | Tatort Fürther Fußgängerzone, Höhe Blumenstraße. Es ist der 13.
       Oktober 2018, ein Tag vor der Landtags- und Bezirkstagswahl in Bayern. Ein
       Mann, mittleres Alter, durchschnittliche Statur, wenig Haare nähert sich
       dem Wahlkampf-Stand der [1][AfD]. Was dann passiert, dazu gibt es – grob
       gesagt – drei Versionen.
       
       Am Mittwoch sind sie Gegenstand einer Berufungsverhandlung am
       Oberlandesgericht Nürnberg. Es geht um den Vorwurf des Verwendens von
       Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Genau gesagt: Darum, ob der
       Angeklagte Alexander B. den Hitlergruß gezeigt hat.
       
       Das Skurrile daran: Der Angeklagte ist Kulturmanager und Pädagoge, hat als
       solcher unter anderem am Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
       gearbeitet und sich in verschiedenen Kontexten antifaschistisch engagiert.
       Er steht nicht im Verdacht, ein Anhänger der AfD zu sein, ihre Präsenz
       provoziert ihn.
       
       [2][„Heilt Höcke!“] mit t, drei Mal, zu diesem Ausruf habe er sich
       hinreißen lassen, sagt er selbst. Um, so steht es in der Erklärung, die B.
       vor Gericht verliest, seiner Sorge um den Erosionsprozess der Demokratie
       Ausdruck zu verleihen und Parallelen zum Nationalsozialismus zu
       illustrieren. Nicht die ausgestreckte Hand, sondern die Faust habe er in
       die Luft gereckt, die linke noch dazu. Wenn das stimmt, hat sich B. nicht
       strafbar gemacht. Seine Begleiterin an dem Tag bestätigt in der Verhandlung
       diesen Hergang. Alle anderen Zeugenaussagen weichen davon ab.
       
       ## Die AfD spricht von einem „Zivilisationsbruch“
       
       In den Worten der Zeugen aus den Reihen der Fürther AfD klingen die
       Vorgänge besonders dramatisch. Kreisvorsitzender Andreas H.: „Ich habe es
       als Zivilisationsbruch wahrgenommen.“ Spätestens nachdem ihm auch noch die
       Zunge herausgestreckt worden sei, sei ihm klar geworden, dass es sich beim
       Angeklagten nicht um einen Anhänger handle.
       
       Wichtiger: H. erinnert sich an die Wortkombination „Heil Höcke“. Daneben
       seien weitere, weniger „markante“ Aussagen gefallen, an die er sich nicht
       erinnern könne. Wegen des erhobenen Arms habe er sofort Anzeige erstattet.
       Die Schilderung seines Parteikollegen Johannes S. gleicht dem
       weitestgehend, nur dass S. eben ganz sicher und ganz laut auch „Heil
       Hitler“ gehört haben will.
       
       Dann ist da die AfD-Anhängerin Anni B., Rentnerin, sie ordnet den Vorfall
       zwar zeitlich falsch zu, Europawahlkampf 2019, ist sich andererseits aber
       absolut sicher: Der Angeklagte habe sie, die AfD, als Nazis hinstellen
       wollen. Er sei zielgerichtet auf sie zugekommen. Direkt vor ihr habe der er
       sich aufgebaut. „Ich sah den Hitlergruß ganz deutlich“, so die Rentnerin.
       
       ## Polizei sah es anders
       
       An dieser Stelle wird es interessant. Die fünf Polizist*innen, die den
       Wahlkampfstand den Tag über beaufsichtigten, sagen aus, von diesem Gruß
       nichts gesehen zu haben: „Das ist ausgeschlossen“, „Definitiv nein“, „Das
       wäre mir im Gedächtnis geblieben.“
       
       Und auch wenn sich die Aussagen der Polizisten in Details unterscheiden,
       gehört haben sie alle exakt denselben verwunderlichen Ausruf: „Heil, Heil“,
       Pause, „Sieg“. Kein Hitler, kein Höcke, keine Heilung. Und damit womöglich
       auch keine strafbare Handlung.
       
       Spätestens jetzt versteigt sich die Berufungsverhandlung sprachlich in
       luftige Konjunktivhöhen. Der Richter: „Wenn der Angeklagte das, was er
       gerufen haben soll, so laut gerufen hat, wie von den Zeugen der AfD
       angenommen, hätten Sie das dann gehört?“
       
       Die Polizist*innen bejahen dies. Für sie sei in dem Moment zunächst unklar
       gewesen, ob eine Strafbarkeit vorliege. Die Beamt*innen nahmen nur die
       Personalien, aber keine Zeugenaussagen auf. Verteidiger Brenner: „Das war
       katastrophale Polizeiarbeit.“
       
       ## Urteil bestätigt
       
       Auf Basis der AfD-Schilderungen hatte das Amtsgericht Fürth Alexander B. im
       Oktober zu 70 Tagessätzen à 30 Euro verurteilt. Die Berufungsverhandlung
       nimmt zwei Verhandlungstage in Anspruch. Denn: Der vorsitzende Richter des
       Oberlandesgerichts Nürnberg bringt die notwendige Geduld auf, um allen
       Schilderungen in allen Details noch einmal entsprechend Rechnung zu tragen.
       
       Am Urteilsspruch indes ändert sich dadurch kaum etwas, das Strafmaß bleibt
       mit 70 Tagessätzen gleich. Die Kammer könne keinen vernünftigen Zweifel an
       den Aussagen der AfD-Vertreter aufbringen. Nur „Heil Höcke“ werde aus der
       Strafbarkeit genommen, weil unklar sei, ob das der strafbaren Formulierung
       tatsächlich zum Verwechseln ähnlich sei.
       
       Verteidiger Brenner hatte zuvor argumentiert, bei derart uneinheitlichen,
       diffusen Aussagen könne niemand mit der notwendigen Sicherheit sagen, was
       passiert sei. Und darüber hinaus: Da die Fürther AfD das Verfahren auf der
       eigenen Facebookseite genutzt, und Vorsitzender H. sich in einem
       Leserkommentar in den Fürther Nachrichten zu Wort gemeldet hatte, sei es
       absurd, anzunehmen, es bestünde kein Eigeninteresse auf Seiten der
       Parteifunktionär*innen.
       
       Staatsanwältin Silke Weischedel sah durch die Beweisaufnahme hingegen einen
       Ablauf inklusive Heil Hitler, Heil Höcke und Hitlergruß als erwiesen an.
       Die Mitglieder der AfD seien nicht als Lager mit eigenem Interesse an einer
       Verurteilung, sondern als Geschädigte zu betrachten. „Ich habe keinen
       Anlass an diesen Aussagen zu zweifeln.“ Die Polizist*innen hätten sich
       hingegen sichtlich bemüht, ihre Aufmerksamkeitsdefizite herunterzuspielen.
       
       ## „Kein Belastungseifer“
       
       Das Gericht schließt sich dieser Auffassung weitgehend an. Die Aussagen der
       Wahlkampf-Zeugen wiesen erhebliche Konstanz auf, gleichzeitig sei ihnen
       kein Belastungseifer vorzuwerfen. Die Aussagen aus den Reihen der Polizei
       seien die von „Knallzeugen“, die sich dem Geschehen erst in dem Moment
       zuwenden, nachdem etwas passiert ist: „Auf diese Aussagen geben wir relativ
       wenig“, so der Richter.
       
       Für eine Verurteilung nach Paragraf 86a sei die Gesinnung zunächst
       unerheblich, da die Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher
       Organisationen durch die Strafbarkeit grundsätzlich eingedämmt werden soll.
       Um aus der Sache straffrei herauszugehen, müsste der Protestcharakter für
       den neutralen Beobachter offensichtlich sein.
       
       Es ist ein Urteil, das für Tumulte sorgt. Der Angeklagte verlangt, sich zu
       Wort melden zu dürfen. Er darf nicht. Im Zuschauersaal gerät seine
       Entlastungszeugin mit einem zwirbelbärtigen AfD-Zeugen aneinander.
       Natürlich, so der Richter, sei eine Revision möglich. Den Hinweis verbindet
       er mit einer Warnung: Es sei nicht auszuschließen, dass die
       Staatsanwaltschaft im Zuge dessen Anklage wegen Falschaussage gegen die
       Zeugin auf Seiten B.s erheben würde.
       
       20 Feb 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-AfD/!t5495296/
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Thamm
       
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