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       # taz.de -- Die Wahrheit: Wangenküsschenpest
       
       > Sex ohne Berührung geht noch nicht. Aber von Handshake bis Küsschen ist
       > Corona sei Dank endlich alles Zwischenmenschliche außer Kraft gesetzt.
       
       Neben der Verbesserung der chinesischen Luftqualität hat dieses
       vermaledeite Coronavirus einen weiteren, positiven Aspekt: Man wird nicht
       mehr ständig umarmt und geküsst.
       
       Seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten (denn so lange verpestet die
       französische Unsitte des „sozialen Küssens“ unsere Gesellschaft, und ich
       benutze bewusst das Wort „verpestet“) versuche ich bereits, dem
       ineffektiven Geknutsche Einhalt zu gebieten: Indem ich zuerst die falsche
       Gesichtshälfte hinhalte, sodass mein Gegenüber und ich dumpf
       aneinanderrasseln; indem ich extralaut und verschleimt huste, wenn ich den
       Raum betrete; oder indem ich konsequent jedem „Wenn Küssen, dann nur mit
       Zunge!“ entgegenrufe, und damit schon einige Bisou-Bisou-Fans in die Flucht
       geschlagen habe.
       
       Denn ich verstehe wirklich nicht, wieso man Menschen küssen sollte, mit
       denen man nicht ins Bett will und die nicht niedliche kleine Kinder mit
       weichem Haar und klebrigen Backen oder sich windende Teenager sind. Doch
       nicht nur das Küssen hat momentan einen rasanten Abwärtstrend zu
       verzeichnen: Auch das Händeschütteln ist out.
       
       Seit Tagen werden ausgestreckte Hände um mich herum mit sorgenvollem
       Lächeln und einer Art entschuldigendem Führergruß quittiert (dem nach
       hinten abgewinkelten rechten Arm, so wie es einst Hitler und Adenoid Hynkel
       eingeführt hatten). Sogar der sympathische ostdeutsche Händedruck, der mit
       einem freundlichen „der Ronny!“, „der Maik!“, „die Mandy!“ verbunden ist,
       hat es in diesen Zeiten schwer. Dabei hat den einzigen Grund für die
       Verweigerung des Handschlags jüngst Bodo Ramelow demonstriert, als er
       gegenüber dem AfD-Nazi Höcke ebendies tat.
       
       ## Live long and prosper
       
       Das Gute an der coronabedingten ehrlichen Unhöflichkeit sind aber die
       Alternativen, die ich flächendeckend einführen werde. Statt dem
       gefährlichen Händeschütteln setze ich als alter Trekkie auf den
       vulkanischen „Live long and prosper“-Gruß inklusive zu einem V gespreiztem
       Mittel- und Ringfinger – ganz ohne Körperkontakt. Und wen es interessiert:
       Die komplette vulkanische Grußformel dazu lautet „Dif-tor heh smusma“.
       Statt der ebenfalls verbotenen Bro-Fist schlage ich den viel
       sympathischeren „Meerjungfrauengruß“ vor, bei dem sich die Knöchel nicht
       virusschleudernd berühren müssen, sondern die Fäuste kurz voreinander
       stehen bleiben, und sich dann mit ausgestreckter Hand in
       Wellen(!)bewegungen wieder voneinander entfernen.
       
       Wer dennoch auf das Wangenküsschen besteht und sich weder vom Virus noch
       von mir abschrecken lässt, muss damit leben, dass ich seit einer Woche
       konsequent Maske trage, eine schwarze Schnabelmaske nämlich, wie sie früher
       von Pestdoktoren benutzt wurde. Den langen, vogelartigen Schnabel habe ich
       mit Wacholder, Kampfer und Myrrhe gefüllt, um mich vor dem üblen Virusdunst
       zu schützen. Und wer mich partout nicht loslässt, den lasse ich zur Ader
       oder bewerfe ihn mit Blutegeln.
       
       6 Mar 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jenni Zylka
       
       ## TAGS
       
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