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       # taz.de -- Richterinnenwahl in Berlin: CDU mal in guter Verfassung
       
       > Nach dem Eklat um die Wahl einer Verfassungsrichterin findet die neue
       > Kandidatin der Linksfraktion eine breite Mehrheit – auch die CDU stimmt
       > zu.
       
   IMG Bild: Ulrike Lembke bei der Vereidigung am Donnerstag
       
       Berlin taz | Es ist 13.15 Uhr am Donnerstag, als das Landverfassungsgericht
       wieder komplett ist. In diesem Moment leistet Ulrike Lembke, Professorin
       für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität,
       gegenüber Parlamentspräsident Ralf Wieland (SPD) ihren Amtseid.
       Vorgeschlagen hatte Lembke die Linksfraktion.
       
       Schon Ende Oktober hatte es im Abgeordnetenhaus den Versuch gegeben, den
       vakanten neunten Sitz des Gerichts zu besetzen. Doch der damalige Vorschlag
       der Linksfraktion, die Dozentin Lena Kreck, verfehlte klar die nötige
       Zweidrittelmehrheit im Parlament. Mutmaßlich vorrangig CDU-Abgeordnete
       hatten sie nicht für wählbar gehalten.
       
       Das war nun im zweiten Anlauf bei Lembke anders. Da müsse man bloß in ihren
       Lebenslauf gucken und die Vorstellung am Dienstag in der Fraktion miterlebt
       haben, hieß es bei der CDU, wo sich Lembke wie bei den anderen fünf
       Fraktionen präsentiert hatte. Unter den 150 abgegebenen Stimmen gab es am
       Donnerstag 130-mal Ja, 9-mal Nein und elf Enthaltungen.
       
       Als Parlamentspräsident Wieland das Ergebnis bekannt gab, folgte Beifall
       aus allen Fraktionen, auch der AfD. Aus dem Resultat ergibt sich, dass auch
       mindestens einzelne Abgeordnete der 25-köpfigen AfD-Fraktion den
       Personalvorschlag der Linksfraktion nicht ablehnten.
       
       Die breite Zustimmung führte gleich zu der Frage, was aus Sicht der
       Christdemokraten dieses Mal anders war als im Oktober. CDU-Fraktionschef
       Burkard Dregger erklärte dazu: Die Vorstellung der parteilosen Kandidatin
       Lembke habe in seiner Fraktion „keine Zweifel an ihrer persönlichen und
       fachlichen Eignung und ihrer Verfassungstreue hervorgerufen“.
       
       Aus der CDU-Fraktion hieß es zudem, Lembke, die an der Universität
       Greifswald studierte und vor ihrem Wechsel an die Humboldt-Uni 2018 an
       Hochschulen in Hamburg, Bielefeld und Hagen arbeitete, habe voll überzeugt.
       Ihr Werdegang soll die Abgeordneten eher an eine bürgerlich-CDU-nahe
       Kandidatin erinnert haben. Ihren Amtseid gegenüber dem
       Parlamentspräsidenten leistete Lembke jedoch ohne die religiöse Beteuerung:
       „So wahr mir Gott helfe“.
       
       ## Scharfe Kritik an der Union
       
       Die gescheiterte Wahl im Oktober hatte heftige Reaktionen im
       Abgeordnetenhaus ausgelöst. Die Fraktionen von SPD, Linkspartei und Grünen
       [1][warfen der CDU vor,] parlamentarische Absprachen zu brechen. „Die CDU
       hat sich heute disqualifiziert“, äußerte sich damals SPD-Fraktionschef Raed
       Saleh. Weil für die Richterwahl eine Zweidrittelmehrheit nötig ist, braucht
       jeder Vorschlag Stimmen der Regierungsfraktionen wie der Opposition – eine
       eigene Zweidrittelmehrheit hatte zuletzt die schwarz-rote Koalition nach
       der Abgeordnetenhauswahl 1999.
       
       Im Oktober hatte das Abgeordnetenhaus in einem einzigen Wahlgang gleich
       drei Richterstellen besetzen wollen. Das Vorschlagsrecht lag jeweils für
       eine Stelle bei den Fraktionen von SPD, CDU und Linkspartei.
       
       In der Annahme, dass die CDU-Fraktion ihren Personalvorschlag unterstützen
       würde, hatten die Linkspartei-Abgeordneten auch den von der Union
       vorgeschlagenen Anwalt Christian Burholt gewählt, der 148 Ja- und nur 4
       Nein-Stimmen bekam, wie auch die SPD-Kandidatin Ludgera Selting. Für Lena
       Kreck, vorgeschlagen von der Linksfraktion, stimmten hingegen nur 86 von
       152 teilnehmenden Abgeordneten und damit noch nicht mal alle anwesenden
       Parlamentarier der Regierungsfraktionen.
       
       Antje Kapek, grüne Fraktionschefin, mochte den CDU-Abgeordneten damals
       nicht absprechen, einen Kandidatenvorschlag abzulehnen – aber eben nicht in
       einer geheimen Abstimmung und nach zuvor anderen Signalen, die sie von der
       CDU erhalten haben wollte: „Das tut man mit offenem Visier.“ Das Mindeste,
       was die CDU-Fraktion aus Sicht der rot-rot-grünen Koalition hätte tun
       müssen, wäre eine vorherige Ansage gewesen, die Kandidatin Kreck nicht
       mittragen zu können. Jene hatte nach Darstellung von CDUlern Zweifel an
       ihrer Verfassungstreue geweckt.
       
       5 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
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   DIR Stefan Alberti
       
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