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       # taz.de -- Geld in Liebesbeziehungen: Es ist kompliziert
       
       > Warum tun sich selbst aufgeklärte Männer schwer damit, wenn eine Frau
       > mehr verdient als sie? Eine Annäherung
       
   IMG Bild: Ein Paar. Was die beiden verdienen, wissen wir nicht
       
       Eines Abends, als Tobias gerade kocht, geselle ich mich zu ihm. Vorsichtig
       frage ich: „Tobi, ist es dir eigentlich unangenehm, dass ich mehr verdiene
       als du?“ Zwei Monate zuvor habe ich diesen Artikel vorgeschlagen. Ich
       wollte wissen: Warum tun sich auch Männer, die sich als liberal bezeichnen,
       schwer damit, wenn eine Frau mehr verdient als sie?
       
       Ich dachte dabei an meine Beziehung mit Tobias. Wir sind seit vier Jahren
       ein Paar, leben seit drei Jahren zusammen und sind eigentlich sehr
       glücklich miteinander. Wir haben denselben Humor, können uns stundenlang
       unterhalten, haben das gleiche Bedürfnis nach Nähe und Ruhe und lassen der
       anderen Person ihren Freiraum. [1][Happily ever after scheint zum Greifen
       nahe]. Doch es gibt ein Streitthema: Geld.
       
       Denn ich verdiene deutlich mehr als er. Der Unterschied zwischen unseren
       Nettoverdiensten beträgt etwa 1.000 Euro. Ich arbeite Vollzeit als
       Referentin in einer Bildungsinitiative und schreibe gelegentlich
       journalistische Texte. Tobias ist Informatikstudent und arbeitet in
       Teilzeit als Softwareentwickler. Geld ist ein explosives Thema für uns: Sei
       es, dass ich gerne umziehen würde und er sich aus Kostengründen sträubt;
       sei es bei der Urlaubsplanung, wenn ich [2][keine Lust auf Couchsurfing
       habe]; sei es, dass ich unsere Waschmaschine in einem Geschäft kaufen will
       statt auf eBay-Kleinanzeigen oder dass ich nachts nach dem Feiern auch gern
       mit dem Taxi statt mit der U-Bahn nach Hause fahren möchte.
       
       Ich schlage etwas vor, Tobias winkt ab. [3][Ich biete ihm an, ihn
       einzuladen oder mehr zu bezahlen], er möchte nicht. Ich fühle mich
       eingeschränkt, er fühlt sich missverstanden – und dann geht der Streit los.
       Es fühlt sich an wie ein Ungleichgewicht. Und diese Situation wird sich
       auch in naher Zukunft nicht ändern. Tobias hat schon früh deutlich gemacht,
       dass er niemals Vollzeit arbeiten will. Eine Entscheidung, die ich
       unterstütze, die mich aber auch verunsichert: Werden wir auf ewig
       weiterstreiten?
       
       ## So viel Frust und Wut
       
       Letztes Jahr eskalierte der Streit über die Waschmaschine so sehr, dass ich
       eine Trennung befürchtete. Dabei war einfach nur die Maschine kaputt. Ich
       bot Tobias an, dass wir uns die Kosten für die teurere Maschine teilen, er
       weniger zahlt und ich ihn im Falle unserer Trennung auszahle. Er bestand
       auf dem günstigeren Modell und verwies darauf, dass er Verlust macht: Er
       zahlt die gleiche Summe, doch dann gehört ihm die Waschmaschine nicht. Ich
       fühlte mich, als würde er mir Steine in den Weg legen, und rechnete ihm
       vor, dass bei ihm noch die Kosten für den Transport hinzukämen und unsere
       Zeit, die wir aufwenden müssten. Irgendwann schaukelte sich die Diskussion
       zu einem Schreiduell hoch. So viel Frust und Wut. Und das alles wegen einer
       Waschmaschine.
       
       Es ist nicht außergewöhnlich, wenn sich Paare über Geld streiten. Doch
       hinter unseren Streiten steckte etwas anderes. Ich bin mit wenig Geld
       aufgewachsen und musste gerade im Studium manchmal jeden Cent dreimal
       umdrehen, um mir meine Miete leisten zu können. Damals hat mich Tobias
       sogar finanziell unterstützt. Auch in den Jahren zuvor waren meine
       Ex-Freunde alle finanziell bessergestellt als ich. Für mich war das nie ein
       Problem: Wenn der Partner mehr Geld zur Verfügung hatte, ließ ich mich
       einladen. Er bezahlte dann eben mehr für den Urlaub oder mehr Miete. Ich
       selbst beteiligte mich, zahlte nur die Flüge und nicht das Hotel. Alles im
       Rahmen der eigenen Möglichkeiten. Ich hätte nie verlangt, dass mein Partner
       alles bezahlt. Aber genauso wenig hätte ich das abgelehnt.
       
       Doch warum will das nicht gelingen, wenn sich die Rollen umkehren? Liegt es
       daran, dass sich Tobias als Mann nicht von mir als Frau einladen lassen
       will? Eine Studie der britischen Universität Bath belegt: Wenn eine Frau
       mehr verdient als ihr Mann, fühlt er sich gestresst. Am wohlsten fühlen
       sich Männer, wenn eine Frau bis zu 40 Prozent des Familieneinkommens
       beiträgt. Die Autorin der Studie sieht zwei Gründe für diesen Stress: die
       Befürchtung einer Machtverschiebung in der Beziehung und das
       gesellschaftliche Rollenbild.
       
       „2020 ist die gesellschaftliche Vorstellung von Männlichkeit immer noch
       untrennbar mit Autonomie, Erwerbsarbeit und der Familienernäherrolle
       verbunden“, sagt Mona Motakef vom Institut für Sozialwissenschaften der HU
       Berlin am Telefon. „Zwar sollen und wollen Männer sich auch mehr um den
       Haushalt oder die Kinder kümmern, aber das bedeutet nicht, dass sie weniger
       arbeiten sollen. Sie sollen die Haupterwerbstätigen bleiben, so sind die
       gesellschaftlichen Vorstellungen.“ Nur bei etwa 7 Prozent der
       heterosexuellen Paare in Deutschland erwirtschaftet die Frau mindestens 60
       Prozent des Einkommens. Die meisten dieser Beziehungen sind unfreiwillig in
       diese Situation geraten: Der Mann kann zum Beispiel wegen Arbeitslosigkeit
       oder Krankheit nicht mehr so viel zum Familieneinkommen beitragen.
       
       ## Wir müssen reden
       
       Das entspricht nicht der Norm, die uns von Kindesbeinen an vermittelt wird:
       Der Mann geht arbeiten, die Frau kümmert sich um den Rest. Es fehlen
       Vorbilder, die zeigen: Es ist auch möglich, dass beide Partner gleich viel
       arbeiten und verdienen oder dass die Frau für Lohn arbeitet und der Mann
       die Carearbeit leistet. Erschwerend kommt hinzu, dass Berufe, die als
       typisch weiblich gelten, oft schlecht bezahlt sind. Aber auch in denselben
       Berufen verdienen Frauen weniger als Männer. Und mit dem Ehegattensplitting
       fördert der Staat das Eineinhalb-Verdienermodell. All das trägt dazu bei,
       dass sich das Bild vom Mann als Versorger nicht abschütteln lässt, weder
       bei den Männern noch bei Frauen. Frauen würden nach außen sogar
       verheimlichen, dass sie mehr verdienen, sagt Motakef. „Und wenn sie es
       nicht verheimlichen, dann versuchen sie, es zu entschuldigen.“
       
       Ich habe mich bisher als emanzipierte und fürsorgliche Freundin gesehen.
       Aber mir wird bewusst, dass auch ich Probleme mit unserer Situation habe.
       Ich erwische mich dabei, wie ich im familiären Kreis nicht darüber spreche,
       dass Tobias „nur“ Student ist. Immer wieder habe ich das Gefühl, von meinem
       Umfeld, gerade von Frauen, bemitleidet zu werden, weil ich keinen
       „Versorger“ habe. Wenn Tobias erzählt, dass er nur halbtags arbeitet, ernte
       ich mitleidige Blicke. Vielleicht lasse ich das unbewusst an Tobias aus?
       Bin ich frustriert?
       
       Eigentlich sind wir privilegiert: Er arbeitet freiwillig Teilzeit, ist gut
       ausgebildet und könnte jederzeit eine Vollzeitstelle finden. Ich habe eine
       unbefristete Stelle. Wir haben keine Kinder, und unsere Fixkosten sind
       recht niedrig, sodass wir auch Geld zur Seite legen können. Doch auch wir
       haben gesellschaftliche Erwartungen an Beziehungen verinnerlicht. Das macht
       uns das Leben schwer. Wir müssen reden.
       
       „Ist es dir unangenehm, dass ich mehr Geld verdiene als du?“
       
       „Nö.“
       
       „Warum fällt es dir dann so schwer, von mir Geld anzunehmen?“
       
       Er denkt nach und rührt in der Pfanne.
       
       „Ich habe nicht viel Geld und will immer so leben, dass ich niemals auf
       einen Job angewiesen bin.“
       
       „Das verstehe ich, und ich möchte auch nicht, dass du für mich mehr Geld
       ausgibst als nötig. Deswegen will ich ja mehr zahlen und dich einbinden.
       Aber manchmal würde ich mir schon wünschen, dass es anders wäre.“
       
       Er schweigt. Dann legt er den Pfannenwender zur Seite, dreht den Herd aus,
       und zum ersten Mal sprechen wir über unsere Beziehung und das Geld. Er will
       möglichst autonom leben und hat Schwierigkeiten, sich auf mich zu
       verlassen. Ich erzähle ihm, wie ich mir doch manchmal wünsche, dass er mehr
       verdient – nicht mehr als ich, aber mehr. Ich würde mir davon erhoffen,
       dass er entspannter an die Sache herangehen würde und sich leichter auf
       mich einlassen könnte. Auf seine Frage, ob ich damit klarkäme, wenn er nie
       mehr verdienen würde, muss ich nachdenken. Dann kann ich mich endlich
       bewusst entscheiden: Ja.
       
       Ich habe diesen Text mit der Frage begonnen: Was ist Tobias’ Problem? Jetzt
       weiß ich: Es ist nicht sein Problem, es ist unseres. Wir beide müssen
       patriarchale Konstrukte in unserem Denken und Handeln erkennen und ihnen
       gegensteuern. Nur so können wir eine wirklich egalitäre Beziehung führen –
       egal, wer mehr verdient.
       
       9 Mar 2020
       
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