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       # taz.de -- EU-Kurs in Flüchtlingskrise: Von der Leyens Dilemma
       
       > Die EU-Kommissionspräsidentin fordert von Griechenland die Einhaltung des
       > Asylrechts. Die Türkei müsse Druck von der Grenze nehmen.
       
   IMG Bild: Ursula von der Leyen nach ihrem Pressestatement in Kastanies an der griechisch-türkischen Grenze
       
       BRÜSSEL taz | Hundert Tage nach ihrem Amtsantritt hat
       EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in den Krisenmodus
       geschaltet. In einem kurzfristig anberaumten Gespräch mit dem türkischen
       Präsidenten Recep Erdoğan versuchte die CDU-Politikerin am Montag in
       Brüssel, [1][den Konflikt an der EU-Außengrenze] zu entschärfen. Zugleich
       äußerte sie erstmals vorsichtige Kritik am harten Vorgehen Griechenlands.
       
       „Heute sind wir inmitten eines tiefen Dilemmas“, sagte von der Leyen vor
       dem Treffen mit Erdoğan, der sich selbst nach Brüssel eingeladen hatte. Die
       Ereignisse an der EU-Außengrenze deuteten eindeutig auf politisch
       motivierten Druck hin. Zugleich bräuchten die Migranten, die seit Tagen an
       der Grenze zu Griechenland ausharrten, dringend Hilfe, sagte sie.
       
       Um eine Lösung zu finden, müsse zunächst der türkische Druck von der Grenze
       genommen werden, sagte von der Leyen. Außerdem müsse [2][Griechenland das
       Asylrecht respektieren]. Es ist das erste Mal, dass sich die EU-Chefin um
       Vermittlung bemüht. In der vergangenen Woche war sie an die Grenze geflogen
       und hatte Griechenland als „Schutzschild“ gelobt. Kritik kam ihr nicht über
       die Lippen.
       
       Sie stehe in ständigem Kontakt mit der griechischen Regierung, sagte die
       Präsidentin. Dabei bemühe sie sich auch um eine Lösung der Flüchtlingskrise
       auf den Inseln. Deutschland hatte angeboten, in einer „Koalition der
       Willigen“ die Übernahme von Kindern aus Griechenland zu organisieren. Von
       der Leyen sagte, es gebe „positive Antworten“ aus Frankreich, Portugal,
       Luxemburg und Finnland.
       
       ## Deal soll weiterlaufen
       
       Gleichzeitig dämpfte die Kommissionschefin die Erwartungen an ihr Treffen
       mit Erdoğan am Abend. Ein Durchbruch sei nicht zu erwarten. Der türkische
       Wunsch nach mehr Hilfe für die Flüchtlinge im Land sei verständlich, auch
       über die Lage in Syrien könne man reden. Zunächst müsse Erdoğan aber die
       Grenzkrise beenden und den „Druck“ abbauen.
       
       Ursula von der Leyen hofft auf eine Verlängerung des Flüchtlings-Deals, den
       Bundeskanzlerin Angela Merkel 2016 mit Erdoğan vereinbart hatte. Diesmal
       müsse man aber eine „tragbare Vereinbarung“ treffen, um eine neue
       Eskalation auszuschließen. Zu möglichen neuen Finanzhilfen wollte sie sich
       nicht äußern. EU-Budgetkommissar Johannes Hahn hatte zuvor in einem
       Welt-Interview erklärt, diese würden – wenn überhaupt – „deutlich geringer“
       ausfallen als bisher.
       
       Die EU hatte für 2016 bis 2020 insgesamt 6 Milliarden Euro zugesagt. Nach
       Angaben der EU-Kommission sind die Finanzmittel verplant, aber noch nicht
       vollständig ausgezahlt, da dies erst nach dem erfolgreichen Abschluss von
       Hilfsprojekten erfolge. Erdogan hat nicht nur mehr Geld, sondern auch die
       direkte Überweisung in die türkische Staatskasse gefordert. Brüssel lehnt
       dies strikt ab. Demgegenüber hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
       bereits Kompromissbereitschaft signalisiert.
       
       Von der Leyen muss nun einen schwierigen Spagat zwischen Erdoğan, Merkel
       und den anderen EU-Staaten versuchen. Doch der könnte am Geldmangel
       scheitern – denn bisher hat sich die EU nicht einmal auf den nächsten
       Finanzrahmen für 2021 bis 2027 einigen können. „Ich rufe die
       Mitgliedstaaten dringend dazu auf, eine Einigung zu finden“, sagte die
       Kommissionschefin. Wer mehr Europa fordere, müsse auch bereit sein, dafür
       zu zahlen.
       
       Von der Leyen bilanzierte, seit ihrem Amtsantritt am 1. Dezember habe sie
       den European Green Deal, eine Digitalstrategie und eine Afrikastrategie auf
       den Weg gebracht. Kurz nach Ostern soll auch eine Reform der
       Flüchtlingspolitik hinzukommen. Allerdings sind die EU-Staaten darüber tief
       zerstritten. Der Türkei-Konflikt macht nun alles noch komplizierter.
       
       9 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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