URI: 
       # taz.de -- BVB im Champions-League-Duell mit Paris: Der Furchteinflößer
       
       > Emre Can verkörpert wie kein anderer die Dortmunder Sehnsucht nach
       > intensivem Fußball. Bei Paris St. Germain sind seine Stärken sehr
       > gefragt.
       
   IMG Bild: Ein Can-Moment: Der Dortmunder nimmt Milot Rashica (l.) von Werder Bremen aus dem Spiel
       
       Es war ein stilprägender Moment, als Emre Can im Hinspiel nach 20 Minuten
       des Champions-League-Achtelfinals von Borussia Dortmund gegen Paris St.
       Germain im Mittelfeld auf den berühmten Neymar traf. Mit einer Art Judowurf
       beförderte er den brasilianischen Weltstar zu Boden. Böse war die Aktion
       nicht, aber Neymar wand sich schreiend auf dem Rasen. Und auf Cans Gesicht
       erschien ein Ausdruck großer Zufriedenheit.
       
       Der Mittelfeldspieler des BVB liebt diese kleinen Augenblicke, in denen die
       Machtverhältnisse während enger Fußballspiele geklärt werden. „Das sind
       manchmal Momente, aus denen ich die Stärke für so ein Spiel ziehe“, erzählt
       Can nun vor dem Rückspiel in einem Interview mit dem Kicker. Am
       Mittwochabend wollen die Dortmunder ihren knappen 2:1-Vorsprung halten, um
       zum ersten Mal seit 2017 wieder in ein Viertelfinale der Champions League
       einzuziehen. Und Emre Can ist als Schlüsselfigur in diesem Plan
       vorgesehen.
       
       Lange Zeit fehlte diese Autorität im Dortmunder Mannschaftsgefüge. Axel
       Witsel ist ein Typ, der stabilisiert und beruhigt, aber kein Antreiber, der
       Emotionen weckt und Zeichen setzt. Im Jahr 2020 wird nun immer klarer, wie
       sehr diese junge Mannschaft mit der großen spielerischen Klasse einen Typen
       braucht, der dem Gegner Furcht einflößen kann. Der mitreißt, der auch mal
       böse ist. Gleich nach seinem ersten Spiel für den BVB, einer 3:4-Niederlage
       in Leverkusen, forderte er, beinahe ein wenig vorlaut für so einen
       Neuankömmling, eine „dreckigere“ Spielweise.
       
       Inzwischen ist er ein führender Vertreter dieses neuen Stils. Im Hinspiel
       gegen Paris hat er die meisten Zweikämpfe aller Dortmunder geführt, das
       Duell in Mönchengladbach vom vorigen Wochenende war ebenfalls ein
       intensives Spiel, viel mehr geprägt von Einsatzbereitschaft und
       Willenskraft als von fußballerischer Finesse. Mit Can im Zentrum. „Man
       sieht seine Erfahrung. Er strahlt Ruhe aus. Er verteidigt gut, er gewinnt
       seine Zweikämpfe“, sagt [1][Trainer Lucien Favre].
       
       Es kommt nicht häufig vor, dass ein Spieler auf solch einer zentralen
       Position neu in eine Mannschaft kommt und ohne jede Verzögerung eine
       Anführerrolle einnimmt. Die reibungslose Integration Cans erzählt
       einerseits viel über die fußballerische Qualität dieses Profis, zeigt
       andererseits aber auch, wie groß die Lücke gewesen sein muss, die der
       gebürtige Frankfurter nun füllt. Keine drei Wochen brauchten die
       Dortmunder, bis sie sich entschieden, das ursprünglich als Leihe angelegte
       Geschäft mit Cans vorigem Klub Juventus Turin in eine Festanstellung des
       Spielers bis 2024 umzuwandeln. Es ist geradezu unheimlich, wie gut die
       Zusammenarbeit läuft.
       
       ## Selbstbewusstes Auftreten
       
       Denn Can kann schwierig sein. Er fordert viel von sich selbst, aber auch
       von den Mitspielern und sagt Sätze wie: „Ich bin Emre, ich habe in großen
       Vereinen gespielt, ich muss mich vor niemandem verstecken.“ In der von
       Eitelkeiten und Hierarchiedenken geprägten Fußballwelt sind schon viele
       Spieler mit dieser Art von [2][Selbstvertrauen] angeeckt, sobald die
       Leistung nicht mehr so gut war. Aber Can spielt seit Jahren auf hohem
       Niveau.
       
       Zwischen 2014 und 2018 war er für den FC Liverpool im Einsatz, der dortige
       Trainer Jürgen Klopp hätte ihn gerne bei sich behalten. Aber der 26 Jahre
       alte Mittelfeldspieler ließ sich auf ein Angebot von Juventus Turin ein, wo
       er ebenfalls sofort eine prägende Rolle einnahm und italienischer Meister
       wurde. Klopp war es auch, der Can dem BVB empfahl, dieser Spieler passe
       „wie die Faust aufs Auge“ zu Borussia Dortmund, sagt der derzeit vielleicht
       beste Trainer der Welt.
       
       Klopp selbst verkörpert ja die schwarz-gelbe Sehnsucht nach einem besonders
       intensiven Fußball, der von einer starken Mentalität geprägt ist. Can ist
       auf dem besten Weg, diese Sehnsucht zumindest ein Stück weit zu
       befriedigen. Wobei in Paris die Frage im Raum stehen wird, wie ein von
       Emotionen und Hingabe angetriebener Spieler ohne Impulse aus dem Publikum
       agiert. Die Partie bei PSG wird ja aufgrund der Corona-Epidemie ohne
       Zuschauer ausgetragen, das wird Auswirkungen haben. Favre erzählt, dass er
       am Sonntag das Geisterspiel zwischen Juventus Turin und Inter Mailand
       ansehen wollte. „Ich konnte nur zwei Minuten schauen, keine Lust. Ohne
       Zuschauer es ist leider nicht angenehm für alle“, sagt der Trainer. „Die
       Stimmung im Stadion ist wichtig, nicht nur für Paris.“
       
       Nun wird es gespenstisch leise werden, und Neymars Schreie nach Cans
       Grätschen werden wahrscheinlich sogar in den Wohnzimmern der TV-Zuschauer
       zu hören sein. Es ist völlig offen, für wen das ein Vorteil sein wird.
       
       11 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Das-Image-Lucien-Favres/!5631948
   DIR [2] /Kolumne-Press-Schlag/!5207403
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Theweleit
       
       ## TAGS
       
   DIR Borussia Dortmund
   DIR Emre Can
   DIR Champions League
   DIR Fußball
   DIR Kolumne Frühsport
   DIR Schwerpunkt Sport trotz Corona
   DIR Kolumne Press-Schlag
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Verlegung der Fußball-EM: Späte Einsicht
       
       Die Fußball-EM findet nun erst nächstes Jahr statt. Die Uefa erklärt, die
       Gesundheit der Fans habe Priorität. Doch natürlich geht es auch ums Geld.
       
   DIR Nachwuchs im Fußball: Kinder an den Ball
       
       Bald schon könnte ein heute 15-Jähriger in der Bundesliga zum Einsatz
       kommen. Die Altersgrenze für Fußballprofis in Deutschland soll gesenkt
       werden.
       
   DIR Bundesliga startet in die Rückrunde: Teenager-Duell beim BVB
       
       In der Winterpause ist die Mannschaft von Lucien Favre noch jugendlicher
       geworden. Zugleich hat man sich fest vorgenommen, reifer zu wirken.
       
   DIR Trainerdebatte bei Borussia Dortmund: Vollstes Vertrauen – bis Samstag
       
       Das Treuebekenntnis von Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke zu
       Trainer Lucien Favre kündet dessen Rauswurf an.