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       # taz.de -- Die Wahrheit: Schatten des Irrsinns
       
       > Spätestens wenn überall die Köttel liegen, lässt sich der Mäusebefall
       > nicht mehr leugnen. Das gilt auch für den Umgang mit Corona.
       
       Als ich zum ersten Mal den kleinen Schatten erst hinten in der Zimmerecke
       und dann unter dem Schreibtisch hindurchhuschen sehe, beschließe ich
       einfach: „Ich hab das jetzt nicht gesehen.“ Schließlich kann man sich ja
       immer mal täuschen. Da ist man dann vielleicht müde oder unterzuckert und
       die Netzhaut projiziert Dinge, die gar nicht da sind: Blitze oder Punkte
       oder eine kleine dicke braune Maus.
       
       Aus den Augen, aus dem Sinn. Schon als ich neulich aus dem Urlaub
       zurückkam, hatte ich ähnliche optische Fehlfunktionen. Es sah so aus, als
       hätte irgendwas während meiner Abwesenheit den alten Schoko-Nikolaus auf
       dem Fensterbrett ausgepackt, angefressen und am Ende noch ein paar kleine
       schwarze Köttel danebengesetzt.
       
       Auch da hatte ich aus dem Anblick der winzigen Stanniolfetzen geschlossen,
       dass sie nicht existierten, nur weil ich nicht wollte, dass es sie gab. Und
       die Köttel? Keine Ahnung, die sind ja auch so klein, die sind im Grunde gar
       nicht da.
       
       Ich bin ein Meister der Verdrängung. Das gilt auch für Corona. Darüber soll
       man übrigens keine Witze machen – das haben mir die Reaktionen schnell
       gezeigt. Okay, die Jokes waren auch nicht besonders gut und fielen in die
       Kategorie „Geisterspiel“ oder „Hamsterkauf.“ Aber ich habe es immerhin
       versucht.
       
       Das ist überhaupt komisch: In Deutschland darf man zwar Minderheiten
       verlachen, aber keine Scherze über schlimme Dinge machen, die uns alle
       betreffen. Dann marginalisiert man nämlich Hitler, verspottet die Toten,
       steckt alle an oder was weiß ich. Hier ist der Ernst, da ist der Spaß. Hier
       ist die Glosse, da ist das Essay. Hier ist der Alltag, dort ist das Lustige
       Lachhaus, wo Samstagabend auf den Sitzen die Klatschpappen bereitliegen.
       Wer das durcheinanderbringt, beweist, dass er den Ernst der Lage nicht
       verstanden hat, und eine dumme, verantwortungslose und flatterhafte Person
       ist. Es ist, als würde für jeden Corona-Witz ein Mensch mehr erkranken.
       
       Dabei nehme ich das Problem längst ernst, so wie ich mittlerweile ja auch
       Mausefallen aufgestellt habe. Ich informiere mich, ich wasche mir die Hände
       und wenn ich daran denke, was noch kommen kann und wie sehr die Seuche
       meine alten Eltern bedroht, bedrückt mich das.
       
       Über die Leute, die sechs Paletten Klopapier aufs Kassenband legen und
       sonst gar nichts, mache ich mich sowieso nicht mehr lustig. Ich bin
       vielmehr bestürzt über eine derart sinnlose Übersprungshandlung, wie sie
       nur von einer Panik verursacht sein kann, die jegliches Denken abtötet.
       Eine Übersprungshandlung aus derselben Liga wie Globuli, Wünschelruten oder
       Hexenverbrennung. Wenn ich nur genug Klopapier habe, kann mir nichts
       passieren, glauben diese Leute in ihrer Not. Heiliges Klopapier, reinige
       meinen Geist und mein Blut, meinen Körper und meine Seele. Und sollte mir
       dennoch irgendeine Scheiße zustoßen, so wird das Klopapier sie einfach
       fortwischen.
       
       12 Mar 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uli Hannemann
       
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