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       # taz.de -- Bahn-Rad-WM in Berlin: Stabil in die Kurven
       
       > Auf der Bahn entscheidet das Material über den Sieg. Hinter dem deutschen
       > Team steht eine riesige Hightech-Schmiede, andere sind auf sich gestellt.
       
   IMG Bild: In Position: Emma Hinze sprintet zu Gold
       
       Vier Menschen, 4.000 Meter. Kaum eine Disziplin im Bahnradsport ist
       komplexer als der Vierer. Zwei Teams gehen eine halbe Bahnlänge voneinander
       getrennt ins Rennen. Verfolgung nennt sich das. Ein Team jagt dem anderen
       hinterher. Jede Athletin, jeder Athlet muss eine Einheit bilden mit seinem
       Rad. Der Oberkörper muss ruhen, die Arme müssen eine feste Position haben
       auf dem Gebilde, das man früher vielleicht Lenker genannt hätte.
       
       Die Formation aus Mensch und Maschine muss stabil bleiben, wenn die Kraft
       der Beine auf die Pedale übertragen wird. Ein ebenso stabiles Gebilde muss
       die Gruppe der vier Fahrer sein. Ein paar Millimeter nur trennen das
       Hinterrad vom Vorderrad des Nächsten. Dann gibt es noch den Wechsel. Wer
       aus dem Wind fährt, muss zusehen, dass er sich hinten wieder einreiht. Eine
       Augenweide kann das sein.
       
       Der deutsche Frauenvierer war ein solcher Hingucker bei der Bahn-Rad-WM,
       die dieser Tage im Velodrom zu Berlin stattfindet. Nicht unbedingt in der
       Qualifikation, nach der schon feststand, dass es nichts mit einem Finallauf
       um den Titel wird. Aber im Duell mit den Italienerinnen rasten sie zu einem
       neuen deutschen Rekord: 4:11,039 Minuten, mehr als drei Sekunden unter der
       alten Bestmarke. Das brachte Franziska Brauße, Lisa Brennauer, Lisa Klein
       und Gudrun Stock ins Rennen um Bronze, das sie gegen den kanadischen Vierer
       gewonnen haben. Es sei mehr drin gewesen, hieß es nachher.
       
       Bei den Olympischen Spielen in Tokio wollen sie das herausholen. Die
       Fahrerinnen sowieso. Aber auch die Techniker, die das Team des Bundes
       Deutscher Radfahrer begleiten, wollen etwas beweisen in diesem Sommer. Das
       Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten, kurz FES, stattet
       das deutsche Team im Vierjahresrhythmus mit neuen Rennmaschinen aus, immer
       zu Olympia. Neben dem Training der Körper gehört das Tuning der Maschinen
       längst zum Wettbewerb.
       
       ## Gold für die deutsche Ingenieurskunst
       
       „Wir schöpfen die Möglichkeiten des Reglements bis an die Grenzen aus“,
       sagt Ronny Hartnick. Er betreut das deutsche Team als Mitarbeiter des FES
       während der WM, kümmert sich um das Material und schaut ein bisschen auch
       darauf, ob die Fahrerinnen und Fahrer die Position, die sie in der
       Abstimmung mit dem Material optimiert haben, auch im Rennen einnehmen.
       
       Sonst kümmert sich Hartnick beim FES um die Konstruktion und das Design der
       Maschinen, andere berechnen die Strömungsverhältnisse, sodass an der
       Aerodynamik geschraubt werden kann. „Dann kommen die
       Faserverbundspezialisten zum Zug“, erklärt Harntick, „die dann den
       Vorgaben entsprechend das Laminat so aufbauen, dass wir die Zielparameter
       erreichen können.“
       
       Am Ende wird ein Carbon-Renner auf die Bahn gesetzt, der leichter ist als
       sieben Kilo. Das Sprintrad, mit dem Emma Hinze zusammen mit Pauline
       Grabosch gleich am Eröffnungstag zu Gold im Teamsprint raste, ist ganz nah
       an der Gewichtsgrenze von 6,8 Kilo. „Wenn die Leistungen der Sportler
       gleich sind, dann ist es das Material, das entscheidet“, sagt Hartnick.
       
       Über 7 Millionen Euro erhält das FES jährlich vor allem aus Mitteln der
       Sportförderung des Innenministeriums. Dafür werden Bobs entwickelt, Geräte
       für den Kanurennsport, schnelle Schlittschuhe oder eben Räder. Ein Luxus
       für die deutschen Radlerinnen und Radler.
       
       ## Für Barbados auf der Bahn
       
       Sogar die Rennanzüge werden in Zusammenarbeit mit dem FES optimiert. Da
       gibt es keine Naht, deren Auswirkungen auf die Aerodynamik nicht getestet
       worden wäre. Und dann gibt es da noch die Bahn in Frankfurt (Oder), auf der
       die Deutschen radeln können, wann immer sie wollen. Hartnick bezeichnet das
       als Luxussituation. Er erzählt, wie sie es geschafft haben, den deutschen
       Männervierer wieder zu alter Stärke zu führen. Kaum hat er es gesagt,
       zerbröselt die deutsche Formation in der Qualifikation gegen die Briten.
       Aus dem Vierer wird ein Dreier, dann ein Zweier. Auf das Rennen selbst hat
       das FES eben keinen Einfluss.
       
       Wie schnell man doch allein auf der Bahn sein kann, das musste auch Amber
       Joseph bei ihrem ersten WM-Rennen erfahren. Die 20-Jährige, die für
       Barbados startet, ist am Ende mit ihrem 15. Platz alles andere als
       zufrieden. Es ging um den Titel im „Scratch“. Das ganze Fahrerfeld fährt 40
       Runden, um dann wie bei einem Straßenrennen um den Sieg zu sprinten.
       
       „Es geht um die Position im Feld, das ist die Hauptsache“, sagt sie. „Und
       ich habe es wieder mal nicht geschafft, mich nach vorne zu schieben.“ Sie
       entschuldigt sich bei ihrem Trainer Craig MacLean. „Sorry!“ Der Brite trägt
       ein Polohemd mit dem Logo des World Cycling Centre (WCC). Das ist eine
       Einrichtung des Radsportweltverbands, die in der Schweiz ein
       Trainigszentrum unterhält, damit auch Sportlerinnen aus Ländern wie
       Barbados den Sport auf der Bahn betreiben können.
       
       ## Räder zum Streicheln
       
       Amber Joseph weiß, wie das deutsche Team arbeitet. „Ich muss das alles eben
       allein machen“, sagt sie. Auch sie arbeite mit ihrem Trainer an der
       Position auf dem Rad, wechsle Teile aus, um besser sitzen zu können.
       „Wissenschaftler helfen mir dabei aber nicht“, sagt sie. Das Material wird
       ihr vom WCC gestellt. Bei der WM ist sie zum ersten Mal auf einer neuen
       Maschine gefahren.
       
       „Das war toll“, sagt sie. Sie habe gespürt, welchen Unterschied das
       Material ausmachen kann. Für Olympia in Tokio kann sie sich nicht mehr
       qualifizieren, im zweijährigen Quali-Zyklus hat sie zu wenige Rennen
       bestritten. „In Paris 2024 bin ich auf jeden Fall dabei.“ In Berlin geht
       sie noch beim Punktefahren auf die Piste. Mit ihrem neuen Rad.
       
       Ihr Trainer gehört wie Ingenieur Hartnick zu den Männern, die den Athleten
       bei diesen Weltmeisterschaften nach den Rennen vom Rad helfen und die edlen
       Teile zurücktragen in den Innenraum des Velodroms. Manch ein Mechaniker
       streichelt zärtlich über das Gefährt, bevor er es im Fahrerlager abstellt.
       Dort halten sich die Sportlerinnen warm, indem sie mit eher herkömmlichen
       Rennrädern auf der Trainingsrolle fahren.
       
       Ein Sprinter aus dem französischen Team hält sich einen Sauerstoffinhalator
       über Nase und Mund. [1][Wird schon erlaubt] sein, wird sich denken, wer das
       sieht. Ab und zu zischt es kurz. Die Räder für die Rennen werden mit
       Kompressoren aufgepumpt. Wer in die Reifen seines Rennrads für den
       sonntäglichen Ausflug 8 Bar pumpt, mag das knallhart finden. Ein Bahnrad
       wird mit 15 Bar gefahren. Das Aufpumpen ist dennoch die leichteste Übung im
       deutschen Hightechrennstall.
       
       Das britische Team hat bis zu den Spielen in London 2012 ebenso gearbeitet
       mit eigenem Forschungsteam im Rücken. Mittlerweile setzt die
       Radsportnation, die in der vergangenen Dekade Maßstäbe gesetzt hat, auf die
       Produkte des kommerziellen Herstellers Hope. Die Italiener lassen sich ihre
       Spezialräder von Pinarello bauen, und die Fahrerinnen und Fahrer, hinter
       denen keine großen Teams stecken, fahren vor allem Geräte des französischen
       Herstellers Look. Das ist schon beinahe Konfektionsware.
       
       Einen Bahnrahmen von der Stange, der, so Hartnick „alles andere als
       schlecht“ ist, gibt es bei Look für knapp 7.000 Euro. Auch einen Rahmen vom
       FES kann man kaufen. Das Reglement schreibt vor, dass nur Produkte gefahren
       werden dürfen, die frei verkäuflich sind. Wer unbedingt ein Verfolgerrad
       vom FES haben will, muss allerdings tief in die Tasche greifen. 10.607,55
       Euro kostet der Rahmen, die Gabel noch einmal 4.717,75 Euro. Ob das jemand
       haben will? „Eine Bestellung haben wir gerade“, sagt Hartnick.
       
       28 Feb 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Doping-im-Radsport/!5591522
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Rüttenauer
       
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