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       # taz.de -- Alltag in Zeiten von Corona: Navigieren im Unheimlichen
       
       > Das Coronavirus setzt gewohnte Maßstäbe außer Kraft. Damit steigt die
       > Selbstverantwortung. Autoritäten helfen nur bedingt.
       
   IMG Bild: Aufnahme einer Wärmebilkamera von Menschen auf einem U-Bahn-Steig
       
       Zuerst hat man gewitzelt: Corona! Die schlimmste Seuche ist die Angst vor
       der Seuche! Wer besonders cool wirken wollte, winkte mit einer
       Corona-Bierflasche in die Kamera. Vorbei, vorbei. Infizierte tauchen im
       persönlichen Umfeld auf, die Reise wurde abgesagt, dann das Konzert, dann
       der Verwandtenbesuch, die Fahrt in einer vollbesetzten U-Bahn wird zur
       Bedrohung – und jetzt werden auch noch Tausende von Eltern vor die Frage
       gestellt, was sie mit ihren kleinen Kindern machen sollen, [1][weil
       vielerorts Schulen und Kitas geschlossen werden].
       
       Corona ist unheimlich, weil die Bedrohung neu ist, weil sie wächst und
       damit auch immer härtere Maßnahmen erforderlich scheinen, um das Unheil zu
       verlangsamen. Und dabei kann man nicht mit dem Finger auf irgendwelche
       Schuldigen, auf politisch Verantwortliche zeigen, was sehr ungewohnt ist
       für unsere Gesellschaft. Eine Demo gegen die Ausbreitung des Virus mit ein
       paar Tausend TeilnehmerInnen wäre ein Widerspruch in sich, harhar. Jeder
       kann zum Opfer oder eben als leichtsinniger Überträger auch zur Täterin,
       zur Mitverantwortlichen werden. Diese Ambivalenz verändert die Perspektive.
       
       Das Problem ist die Unwägbarkeit der Infektionskette. Die Bekannte A. kommt
       aus Italien mit dem Flieger nach Hause, Freundin B. holt sie ab, herzliche
       Umarmung. Einige Tage später stellt sich heraus: A. ist positiv. B. muss 14
       Tage in Quarantäne. Doch was machen C. und D., mit denen B. zuvor lustige
       Stunden verbrachte, in dieser Zeit?
       
       Soll man als Kontaktperson zweiten Grades weiter ins Großraumbüro
       marschieren, einen Schal straff vor das Gesicht gebunden, und erklären,
       dass man vielleicht über eine Mittelsfrau infiziert ist, vielleicht aber
       auch nicht, und den KollegInnen das neueste Wissen über Inkubationszeiten
       und Risikogruppen nahebringen? Ähnlich ratlos sind Menschen mit
       Schwerkranken, mit Hochaltrigen im Bekanntenkreis. Soll man die krebskranke
       Freundin besuchen, und was ist mit der alleinstehenden Nachbarin, die sich
       nicht mehr aus dem Haus traut aus Angst vor Ansteckung?
       
       ## Ab heute ist was anders
       
       Autoritäten helfen nur bedingt, auch das gehört zur Krise. Die Amtsärztin
       rät der Kontaktperson zweiten Grades dazu, zwar keine Quarantäne
       einzuhalten, sich aber viel die Hände zu waschen und räumlichen Abstand zu
       halten zu den Menschen in der Umgebung. Hm. Auf der Website der Berliner
       Charité heißt es, dass Tests in den ersten 14 Tagen nach einer Ansteckung
       bei Menschen ohne Symptome falsch negative Ergebnisse bringen können, weil
       das noch die Inkubationszeit ist. Tja.
       
       Zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland könnten sich anstecken, sagt
       die Bundeskanzlerin. Zwei Drittel. Es hilft ja nichts, heimlich darauf zu
       setzen, dass man noch nicht über 80 Jahre alt ist und keine schwere
       Vorerkrankung hat. Wir alle sind Gefährder, potenziell. Wenn eine Kanzlerin
       den BürgerInnen rät, aus Solidarität soziale Kontakte zu vermeiden, weiß
       man: Ab heute ist was anders.
       
       Am Ende trägt jedeR die Verantwortung für den persönlichen
       Corona-Kompromiss aus Abschottung, Solidarität und Hilfsbereitschaft. Zum
       Partner freundlich sein, wenn man in der Quarantäne dicht aufeinanderhockt,
       ist schon mal das Mindeste. Vielleicht der älteren Nachbarin Botengänge
       anbieten, weil sie nicht vor die Tür gehen will, hilft gegen die
       Isolation. Ältere Menschen sollte man nur mit Gesichtsmaske aufsuchen, um
       keine Viren zu verbreiten. Der Freundin in Quarantäne stellt man eine große
       Tüte mit Biolebensmitteln vor die Tür, wobei sich ein paar Scheiben Lachs
       und Sekt als Beigabe gut machen.
       
       Corona setzt [2][gewohnte Maßstäbe außer Kraft]. Es gibt Gesellschaften auf
       der Welt, in Kriegen und Katastrophen, für die der Ausnahmezustand, das
       Sich-Verkriechen, ein zerstörtes öffentliches Leben, der Alltag sind und
       die Bedrohung viel, viel größer ist. Man kriegt als wohlständige Westlerin
       plötzlich eine ganz entfernte Ahnung davon. Und erschauert.
       
       13 Mar 2020
       
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