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       # taz.de -- Hausärztin über Corona-Epidemie: „Wir müssen querdenken“
       
       > Viele Mediziner fühlen sich von der Corona-Epidemie überrumpelt. Die
       > Hausärztin Sibylle Katzenstein fordert daher „unkonventionelle Lösungen“.
       
   IMG Bild: Ohne Schutzmasken ist der Abstrich mit erhöhten Ansteckungsrisiko verbunden
       
       taz: Frau Katzenstein, sind Sie mit Ihrer Hausarztpraxis auf die
       [1][aktuelle Corona-Epidemie] eingestellt? 
       
       Katzenstein: Nein, überhaupt nicht. Wir sind nicht vorbereitet und auch
       nicht informiert. Die [2][Empfehlungen von Ämtern und Behörden wechseln
       fast täglich] und sind häufig nicht praxistauglich. Deshalb glaube ich: Wir
       müssen im Moment ein bisschen querdenken.
       
       Was meinen Sie damit? 
       
       Das sich ausbreitende Virus bedeutet eine Krise, die unser Gesundheitswesen
       unvorbereitet trifft. Wir brauchen jetzt unkonventionelle Lösungen. Zum
       Beispiel müssen alte Menschen aus den Praxen herausgehalten werden. Wenn
       chronisch kranke Menschen das Corona-Virus bekommen, ist das Risiko
       deutlich erhöht. Wir haben allen Patienten, die über 70 Jahre alt sind,
       deshalb gesagt, die Sprechstunde zu meiden. Rezepte oder
       Heilmittelverordnungen können wir telefonisch ausstellen und per Post
       zuschicken. Im Krankheitsfall bieten wir Hausbesuche an. Ein weiterer
       Aspekt sind die Selbsttests.
       
       Sie meinen den [3][Rachenabstrich bei Verdachtspatienten]. Eine aktuelle
       Handlungsempfehlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) besagt,
       dass der Arzt bzw. Praxismitarbeiter diesen entnimmt. 
       
       Solch ein Abstrich klingt einfach, ist aber kompliziert. Man kann einen
       Hustenreiz provozieren, ohne Schutzmasken ist der Abstrich mit erhöhten
       Ansteckungsrisiko verbunden. Schutzmasken sind aber zurzeit nicht zu haben.
       Und ohne sie geht es nicht. Auch die Leitlinien, dass wir potenziell
       Infizierten sofort eine Maske geben sollen, funktioniert nicht. Masken, die
       nicht da sind, können wir nicht ausgeben. Man könnte aber die Idee der
       Selbsttestung unter Hausärzten stärker forcieren. Unser Labor kann 140
       Proben am Tag bearbeiten, in ganz Berlin sind es über 1.000. Damit könnte
       man Infektionsherde aufdecken. In den vergangenen Tagen hatte ich um die
       zehn Leute mit Corona-Verdacht. Denen habe ich erst mal gesagt: Bleibt zu
       Hause. Inzwischen sind die ersten Selbsttests angelaufen und im Labor, ich
       warte auf die Ergebnisse.
       
       Was haben Sie in Ihrer Praxis noch für Maßnahmen getroffen? 
       
       Patienten mit Erkältungssymptomen werden bei uns am Eingang darauf
       hingewiesen, eine andere Eingangstür zu nehmen. Die führt in ein separates
       Wartezimmer. Dieser Bereich kann getrennt vom Rest der Praxis agieren. Wir
       haben zwei Rezeptionen, zwei Laborbereiche und ein Sprechzimmer, in dem nur
       Infektpatienten behandelt werden. Desinfektionsmittel steht für die
       Patienten bereit, Türklinken werden regelmäßig desinfiziert. Wir lüften
       regelmäßig. Die Kontaktzeiten zu Infektpatienten halten wir kurz, um das
       Ansteckungsrisiko für das medizinische Personal gering zu halten.
       
       Sie können die Patientengruppen also trennen. In vielen anderen Praxen
       dürfte das am Platzmangel scheitern. 
       
       Genau. Deswegen brauchen wir noch andere Maßnahmen. Ich denke, dass in ein
       paar Wochen jeder im Gesundheitssystem gebraucht wird – aber nicht zum
       Zettel ausfüllen. Deshalb ist weniger Bürokratie nötig. Die Bearbeitung von
       Abrechnungen oder Konsiliarberichten kostet viel Zeit und lässt sich kaum
       mit dem aktuellen Zustand in unserer Praxis vereinbaren. Heißt:
       Bürokratieabbau und eine einfachere Abrechnung. Auch sollte, wie vom KBV
       gefordert, die Karenzzeit für Krankschreibungen auf sechs Tage ausgeweitet
       werden. Dann müssten Patienten mit leichten Infekt-Symptomen nicht nur
       wegen einer Bescheinigung in die Praxis kommen.
       
       Ein anderer Aspekt: In meiner Praxis unterstützen mich zwei Studierende,
       die in den letzten Tagen viele Patienten gesehen, untersucht und beraten
       haben. Sie profitieren von der klinischen Erfahrung. Zugleich haben Sie als
       junge Menschen das geringste Risiko, im Falle einer Corona-Infektion
       ernsthaft zu erkranken. Deshalb sollten auch hier Ressourcen besser genutzt
       werden. Auch die Videosprechstunde, bislang auf 20 Prozent der
       Sprechstunden beschränkt, muss ausgeweitet werden.
       
       Wenn Sie über Ihre eigene Arztpraxis hinausschauen, was fordern Sie von den
       zuständigen Behörden? 
       
       Im Moment ist das Virus gefährlich, aber es kann gut sein, dass es
       irgendwann zu einem normalen Grippevirus wird. Aber bis dahin müssen wir
       alles tun, um die Pandemie nach hinten zu verschieben. Wirklich alles! Ich
       meine damit auch Schulschließungen und die Absage sämtlicher
       Großveranstaltungen, so wie es auch Virologen fordern. Anstatt abzuwarten,
       brauchen wir Mut zur Improvisation.
       
       6 Mar 2020
       
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