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       # taz.de -- VW verliert Prozess im Dieselskandal: Wider die guten Sitten
       
       > Das Oberlandesgericht Bremen urteilt im Dieselskandal
       > verbraucherfreundlich gegen VW und legt damit die Grundlage für eine
       > Entscheidung von ganz oben.
       
   IMG Bild: Was VW hier als „sauber“ bewarb, wurde später als Betrugsdiesel berühmt
       
       Bremen taz | Das Oberlandesgericht Bremen hat den VW-Konzern wegen
       „[1][sittenwidriger Schädigung]“ verurteilt. Er muss dem Fahrer eines VW
       Golfs deshalb nun Schadensersatz zahlen (Aktenzeichen 2 U 91/19).
       
       Dabei spielte keine Rolle, dass es im konkreten Fall nur um einen
       Gebrauchtwagen ging. Und auch ein Update der Software für die
       Abgasreinigung rettete den Hersteller nicht vor Strafe – denn er hatte den
       Kunden zuvor „arglistig getäuscht“. Die Möglichkeit nachteiliger Folgen für
       den Kunden sei durch neue Software „nicht ausgeräumt“, entschied das
       Oberlandesgericht. Das Auto erfüllte die Euro-5-Abgasnormen zunächst nur
       auf dem Prüfstand, aber nicht im normalen Straßenverkehr.
       
       Der Kläger hatte im Sommer 2014 einen VW Golf mit Turbodiesel für 13.300
       Euro gekauft – die Maschine wurde wenig später als „Betrugsdieselmotor“
       bekannt. 2015 hatte VW ihn auf Geheiß des Kraftfahrtbundesamtes zunächst
       nachgebessert. Gleichwohl wollte der Kläger sein Auto wieder zurückgeben
       und dafür den Kaufpreis erstattet bekommen. Weil er mit seinem Golf aber
       trotzdem weiter gefahren war, bekommt er nun nicht die volle Summe, sondern
       knapp 8.200 Euro – und gibt VW das Auto wieder zurück.
       
       Schon in erster Instanz hatte das Landgericht Bremen dem Mann recht
       gegeben. Denn: „Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise
       einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist zum Ersatz des Schadens
       verpflichtet.“ So steht's in [2][Paragraf 826 des Bürgerlichen
       Gesetzbuches]. Und genau das hatte der VW-Konzern nach Ansicht der
       Richter*innen gemacht.
       
       Allein die Tatsache, dass das Auto einen Motor eingebaut bekam, der nur auf
       einem Prüfstand einen normgerechten Schadstoffausstoß aufwies, zeige die
       auf Täuschung angelegte Konzeption, so das Oberlandesgericht. „Dabei ist es
       besonders gravierend, dass VW in einem breit angelegten jahrelangen
       systematischen Manöver aus Streben nach Gewinnmaximierung und
       Wettbewerbsvorteilen eine hohe Zahl von Käufern täuschte, einen
       entsprechend exorbitanten Schaden herbeiführte und darüber hinaus das
       bislang hohe Vertrauen in die Marke missbrauchte“, heißt es in der
       Urteilsbegründung.
       
       Der VW-Konzern habe dabei nicht nur „vorsätzlich“, sondern mit Blick auf
       Schaden auch „leichtfertig“ gehandelt. Das Urteil ist aber noch nicht
       rechtskräftig – das Oberlandesgericht ließ die Berufung vor dem
       Bundesgerichtshof (BGH) zu.
       
       Dort wird im Mai ein Grundsatzurteil in einem ganz ähnlichen Fall gefällt
       ([3][Aktenzeichen VI ZR 252/19]). Dann wird über die Klage eines anderen
       Gebrauchtwagen-Besitzers entschieden, der wegen des Betrugsdieselmotors
       ebenfalls sein Auto zurückgeben und den Kaufpreis erstattet bekommen
       wollte. Denn ein Verkauf manipulierter Autos rentiert sich oft nicht – sie
       haben durch den Dieselskandal extrem an Wert verloren.
       
       Das Landgericht hatte die Klage zunächst abgewiesen, das Oberlandesgericht
       in Koblenz gab ihm aber recht (Aktenzeichen 5 U 1318/18). Dort
       argumentierten die Richter*innen ähnlich wie nun ihre Kolleg*innen in
       Bremen. Sie sprachen von einer „vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung“
       des Käufers. Das war das landesweit erste Urteil eines deutschen
       Oberlandesgerichts gegen Volkswagen, dem nun der erste BGH-Prozess im
       Abgasskandal folgt.
       
       Der Richterspruch wird für sämtliche Gerichte Signalwirkung haben. Seit dem
       Urteil aus Koblenz „urteilen nahezu alle Gerichte in Deutschland
       verbraucherfreundlich“, sagt jener Anwalt, der das Urteil erstritten hat –
       nach eigenen Angaben vertritt er in dieser Sache 17.800 Mandant*innen.
       
       Wer nach diesem Urteil jetzt noch klagen will, für den ist es aber wohl zu
       spät: Im Falle von Betrug oder sittenwidriger Schädigung gilt eine
       Verjährungsfrist von drei Jahren. Da Volkswagen seine Kund*innen 2016
       informierte, gehen die meisten Jurist*innen davon aus, dass noch offene
       Fälle bereits am 31. Dezember vergangenen Jahres verjährt sind.
       
       24 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.oberlandesgericht.bremen.de/sixcms/media.php/13/Pressemitteilung%20vom19.pdf
   DIR [2] https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__826.html
   DIR [3] https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/2019166.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Zier
       
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