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       # taz.de -- Tourismus in Zeiten von Corona: Hamburger go home
       
       > Einige Kreise in Schleswig-Holstein zwingen Besitzer von Zweitwohnungen
       > abzureisen. Widersprüche werden erst abgewiesen, dann rudert Kiel zurück.
       
   IMG Bild: Ein Fall für den Blockwart: Erkennen Sie die Zweitwohnung?
       
       Hamburg taz | Ilona Wilhelm und ihr Mann Casjen Klosterhuis haben nochmal
       Glück gehabt. Beinahe hätten sie Schleswig-Holstein verlassen müssen,
       obwohl sie dort wohnen, denn es ist nur ihr [1][zweiter Wohnsitz]. Am
       Montag war das Paar mit seinem Widerspruch gegen eine
       [2][Allgemeinverfügung des Landkreises Schleswig-Flensburg] gescheitert,
       mit der der Kreis eine Abreise aus Zweitwohnsitzen am Tag nach
       Veröffentlichung geboten hatte.
       
       Gestern am späten Nachmittag hat die Landesregierung umgesteuert: Wer seine
       Nebenwohnung bereits bezogen habe, werde diese nicht verlassen müssen,
       versicherte Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) nach telefonischen
       Beratungen mit den Landräten.
       
       Wegen der Corona-(Covid-19)-Epidemie haben die Ferienländer
       Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern eine Reihe von Empfehlungen
       und Verfügungen erlassen, die ihnen die sonst so willkommenen Gäste vom
       Leib halten sollen. Sowohl die schwarz-grün-gelbe Landesregierung in Kiel
       als auch die rot-schwarze in Schwerin hat die [3][Einreise zu touristischen
       Zwecken] untersagt.
       
       Die Kieler Regierung empfahl überdies den Bewohnern von Zweitwohnungen
       [4][dringend abzureisen]; die Schweriner Landesregierung hat zumindest
       beschlossen, dass sie [5][nicht anreisen] dürfen. Auch Schleswig-Holstein
       verbietet jetzt nur noch die Anreise zu Zweitwohnungen – es sei denn es
       liegen „triftige Gründe“ vor.
       
       ## Widersprüche abgeschmettert
       
       Sechs schleswig-holsteinische Landkreise hatten die ursprüngliche
       Empfehlung ihrer Landesregierung in Allgemeinverfügungen umgesetzt, die
       Zweitwohnungsbesitzer zur Abreise zwingen. In Ostholstein, Nordfriesland
       und Schleswig-Flensburg wehrten sich die Wohnungsbesitzer – jeweils ohne
       Erfolg. Das Verwaltungsgericht Schleswig [6][schmetterte ihre Anträge] auf
       einstweiligen Rechtsschutz im Eilverfahren mit gleichlautender Begründung
       ab (Az. 1 B 10/20 ff.).
       
       Aufgrund der gebotenen Eile, so das Gericht im Falle von Wilhelm und
       Klosterhuis, lasse sich nicht klären, ob die Allgemeinverfügung
       offensichtlich rechtmäßig oder rechtswidrig sei, beschied das Gericht. Es
       müssten deshalb die Folgen eines Urteils gegeneinander abgewogen werden.
       
       Auf der einen Seite stehe das öffentliche Interesse, die Corona-Epidemie
       einzudämmen. Je weniger Leute unterwegs seien, desto geringer die
       Infektionsgefahr. Dazu komme „die Sicherung medizinischer Kapazitäten, die
       nach den Grundsätzen der Krankenhausplanung im Wesentlichen ausgelegt sind
       auf die in Schleswig-Holstein mit Erstwohnsitz ansässige Bevölkerung“.
       
       Damit folgt das Gericht der Begründung des Landkreises, der davor warnt,
       das örtliche Gesundheitssystem könnte durch die erwarteten
       Intensivbehandlungen von Corona-Patienten überfordert werden.
       
       Allerdings müssten in die Krankenhaus-Infrastruktur im Land bis zu einem
       gewissen Maße auch die Gäste einberechnet sein. Denn laut der
       [7][Krankenhausgesellschaft] orientiert sich die Bettenplanung an der
       tatsächlichen Auslastung, also dem von den Kliniken gemeldeten Bedarf.
       
       Ilona Wilhelm und ihr Mann leben einen großen Teil des Jahres in ihrem Haus
       in einem Dörfchen in der Nähe der Schlei. „Wir Besitzer von Zweitwohnungen
       zahlen Steuern, finanzieren die Infrastruktur mit und werden jetzt wie
       Bürger zweiter Klasse behandelt“, ärgert sie sich.
       
       Wilhelm und Klosterhuis sind 70 und 71 Jahre alt und haben daher ein
       erhöhtes [8][Sterblichkeitsrisiko], falls sie an Corona erkranken. Im Dorf
       gebe es wenige Zweitwohnungen und viel Platz. „Wir sind hier gut
       aufgehoben, gefährden niemanden und werden auch nicht gefährdet“, sagt
       Wilhelm. So eine Anordnung schaffe bloß böses Blut. Einmal sei sie schon
       angesprochen worden, was sie hier zu suchen habe. „Man traut sich schon gar
       nicht mehr, mit Hamburger Kennzeichen herumzufahren“, sagt Wilhelm.
       
       ## Nacht- und Nebel-Aktion
       
       Ihr Mann ärgert sich, dass er die Allgemeinverfügung nur per Zufall im
       Internet fand und die ihm auch noch Knall auf Fall die Abreise dekretierte.
       Wenn das mit so kurzer Frist terminiert werde, verhindere das, dass sich
       Betroffene Rechtsschutz suchten, denn wer die Frist verletzte, riskiere ja,
       sich strafbar zu machen, sagt der Rechtsanwalt Klosterhuis. „Das hat schon
       was von einer Nacht- und Nebelaktion“, findet er.
       
       Das Gericht erklärte die Abreise für zumutbar, weil dem Paar ja in Hamburg
       eine Wohnung zur Verfügung stehe. Auch das Alter der beiden wollte das
       Gericht nicht als Argument gelten lassen: Viele Menschen der gleichen
       Altersgruppe in Hamburg müssten ja auch mit dem Risiko leben.
       
       Die Klarstellung der Landesregierung macht dieses und die anderen Urteile
       nun obsolet. Tourismusminister Bernd Buchholz (FDP) entschuldigte sich im
       Namen der Tourismusakteure im Land für die vereinzelten Beschimpfungen
       gegenüber den Gästen: „Die inakzeptablen Ausfälle einiger weniger Bürger
       gegenüber den Wohnungsbesitzern sind zutiefst bedauerlich.“ Sie sollten
       keinen Zweifel an dem „seit Jahrzehnten praktizierten guten Miteinander“
       aufkommen lassen.
       
       23 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Verdraengung-auf-der-Nordseeinsel/!5079527
   DIR [2] https://www.schleswig-flensburg.de/Leben-Soziales/Gesundheit/Coronavirus/Allgemeinverf%C3%BCgungen-des-Kreises-Schleswig-Flensburg.php?object=tx%7c2120.1&ModID=7&FID=2120.13815.1&NavID=2120.752&La=1
   DIR [3] https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/VII/Presse/PI/2020/I_2020/200318_Sonntagsfahrverbot_undHinweisschilder.html
   DIR [4] https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/I/Presse/PI/2020/MP/200320_MP_corona_zweitwohnungen.html
   DIR [5] https://www.regierung-mv.de/Landesregierung/bm/Blickpunkte/Coronavirus
   DIR [6] https://www.schleswig-holstein.de/DE/Justiz/OVG/Presse/PI_VG/22032020_Eilverfahren_Corona.html
   DIR [7] https://www.kgsh.de//
   DIR [8] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1039211/umfrage/sterblichkeit-durch-das-coronavirus-nach-altersgruppen-in-china/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
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