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       # taz.de -- Verschiebung der Olympischen Spiele: Drehendes Momentum
       
       > Nachdem Japans Regierung eine Olympia-Absage um ein Jahr vorschlägt,
       > reagiert das IOC endlich und stimmt der Verlegung zu.
       
   IMG Bild: Zur Einigkeit gezwungen: Thomas Bach (l.) und Japans Regierungschef Shinzo Abe im Juli
       
       Im angelsächsischen Raum sprechen Sportler gern vom „Momentum“, wenn sich
       etwas zu ihren Gunsten verändert. Das ominöse Momentum, eine Art
       schicksalhafte Verdichtung unbestimmbarer Elemente, entscheidet nicht
       selten über Sieg oder Niederlage. Das Momentum in Sachen Olympische
       Sommerspiele war in diesen Tagen ganz klar auf Seiten derer, die sich für
       eine Absage des Großevents aussprechen.
       
       Das bis Mittag immer noch zögerliche Internationale Olympische Komitee
       (IOC) unter der Führung von Thomas Bach geriet mehr und mehr in die
       Defensive; um nicht zu sagen: Es drohte vom Momentum überrollt und
       plattgemacht zu werden. [1][Als der Druck] zu groß wurde – am Nachmittag
       gegen 13.30 Uhr baute sich eine gewaltige Welle auf –, gaben die Herren der
       Ringe nach und willigten ein, die Sommerspiele um ein Jahr zu verschieben.
       Was war passiert? Warum lenkte IOC-Chef Thomas Bach nun doch für seine
       Verhältnisse schnell ein?
       
       Schuld daran war am Dienstagmorgen zunächst das einflussreiche Nationale
       Olympische Komitee der USA, kurz Usoc, das sich entschlossen hatte, eine
       ähnliche Entscheidung zu treffen wie die Kanadier am Tag zuvor: Es fordert
       die Verschiebung von Olympia; Kanadas Komitee hatte am Montag klargemacht,
       dass es seine Sportlerinnen und Sportler in diesem Sommer nicht nach Tokio
       zu den Spielen schicken werde. Schließlich trudelte am Dienstagmittag die
       Eilmeldung ein, dass der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe dem IOC
       vorgeschlagen habe, die Sommerspiele in Tokio um ein Jahr zu verschieben.
       Damit schrumpfte der Spielraum des IOC auf die Größe einer Briefmarke. Bach
       war zum Handeln gezwungen.
       
       Abe sagte nach Angaben des japanischen Fernsehsenders NHK, dieser Schritt
       sei unvermeidlich, weil die ursprünglich für Juli und August 2020
       angesetzten Wettkämpfe unter den gegebenen Umständen nicht vollständig
       möglich seien. Die Athletinnen und Athleten brauchten ein sicheres Umfeld.
       Das gelte auch für das Publikum.
       
       ## US-Athleten für eine Verlegung
       
       Das Usoc hatte zuvor, um sich ein Bild von der Stimmungslage zu machen,
       Athletinnen und Athleten befragt, ob sie sich vorstellen könnten, unter den
       gegenwärtigen Bedingungen einer weltweiten Viruspandemie, die zu
       Einschränkungen im Trainingsalltag führt, am größten Sportfest der Welt
       teilzunehmen. In einer Erklärung beriefen sich Usoc-Kuratoriumschefin
       Susanne Lyons und Vorstandsvorsitzende Sarah Hirshland auf das Votum von
       4.000 US-Athleten. Fast 65 Prozent gaben an, dass ihre
       Trainingsmöglichkeiten stark beeinträchtigt seien oder dass sie aufgrund
       von Sars-CoV-2 und den Einschränkungen gar nicht trainieren könnten. Auf
       die Frage, ob sie der Meinung seien, dass die Spiele noch auf fairen
       Wettbewerbsbedingungen fußten, sagten 68 Prozent: nein.
       
       „Unsere wichtigste Schlussfolgerung aus dieser eindeutigen Reaktion der
       Athleten ist, dass die enormen Störungen des Trainingsumfelds, der
       Dopingkontrollen und des Qualifizierungsprozesses für Olympia nicht
       zufriedenstellend überwunden werden können, selbst wenn die derzeit
       erheblichen gesundheitlichen Bedenken bis zum Spätsommer beseitigt werden
       könnten“, teilte das Usoc mit. „Aus diesem Grund ist klarer denn je, dass
       der Weg zur Verschiebung der vielversprechendste ist.“ Noch am Sonntag ließ
       das Usoc wissen, man wolle das IOC nicht zu einer Entscheidung drängen.
       
       Zuvor hatten sich bereits die US-Verbände der Leichtathleten, Turner und
       Schwimmer für eine Verschiebung der Spiele ausgesprochen und entsprechenden
       Druck aufgebaut. IOC-Chef Thomas Bach hatte nichtsdestotrotz am Wochenende
       verkündet, sich noch vier Wochen Zeit lassen zu wollen mit einer
       Entscheidung – und erntete heftigen medialen Widerspruch.
       
       Auch der Vertreter der US-amerikanischen Athleten, [2][Han Xiao], forderte
       das IOC zum Handeln auf: „Jeder Tag zählt.“ Der Sportkalender 2021 muss nun
       mit den Schwimmern und Leichtathleten neu abgestimmt werden. Beide Sparten
       wollten im kommenden Sommer Weltmeisterschaften austragen. Fraglich ist
       auch, was mit einem Olympischen Dorf passiert, das im kommenden Jahr schon
       Teil des japanischen Immobilienmarktes sein sollte. Und hat sich bis dahin
       die Coronakrise so weit beruhigt, dass Zuschauer aus allen Teilen der Welt
       ohne Schutzquarantäne nach Japan einreisen können? Gibt nur die baldige
       Entwicklung eines Impfstoffes Sicherheit?
       
       Die Botschaften des Usoc und der japanischen Regierung haben dem IOC keinen
       Spielraum gelassen. Die US-Amerikaner schicken die meisten Athleten zu den
       Spielen. Der Fernsehsender NBC zahlt mehr TV-Geld als jedes andere
       Netzwerk. Die Unternehmen Coca-Cola und Visa sind die wohl bekanntesten und
       loyalsten Sponsoren der Spiele. Thomas Bach hatte überhaupt keine andere
       Wahl: Er musste schnell eine Entscheidung treffen, bevor ihn das Momentum
       richtig schlecht hätte aussehen lassen.
       
       24 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Olympische-Sommerspiele-in-Tokio/!5670485
   DIR [2] https://www.nytimes.com/2020/03/18/sports/olympics/olympics-coronavirus-athletes-training.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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