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       # taz.de -- Weltweite Folgen der Corona-Krise: Einmal ums Eck bitte
       
       > Die Corona-Pandemie verändert weltweit das Leben. Wir haben
       > Korrespondenten gebeten, um ihren Häuserblock zu gehen und ihre Eindrücke
       > zu schildern.
       
   IMG Bild: Schlechte Nachrichten: Straßenverkäufer in Kigali, der Hauptstadt von Ruanda
       
       ## Peking: Geschlossene Siedlungen und offene Restaurants
       
       Schon beim ersten Schritt ins Freie grüßt die Pekinger Frühlingssonne von
       einem smogfreien, strahlend blauen Himmel. Im Vorhof der eingezäunten
       Wohnsiedlung reden zwei Männer ausgelassen miteinander auf einer Parkbank.
       Junge Frauen in Yoga-Hosen und Schlbberpullis führen überzüchtete
       Mini-Hunde spazieren.
       
       Ist in [1][Chinas] 20-Millionen-Metropole wieder ganz normaler Alltag
       eingekehrt?
       
       Nicht wirklich. Das zeigt der Gang zum Pförtnerhäuschen, an dem zwei
       Wachmänner in schwarzer Uniform und eine in pink gekleidete Frau vom
       freiwilligen Nachbarschaftskomitee stehen. Sie kontrollieren rund um die
       Uhr, dass sich keine fremde Person Zugang zur Wohnsiedlung verschafft. Ob
       Verwandte, die eigene Freundin oder der Techniker: Niemand, der nicht hier
       wohnt, darf derzeit auf das Gelände.
       
       Auch nicht die zwei Lieferanten, die gerade auf dem Bürgersteig dutzende
       Pakete aufeinander schichten. Gut betuchte Pekinger benutzen derzeit
       exzessiv ihre Shopping-Apps, um nicht mehr das Wohngelände verlassen zu
       müssen: von Lunch-Boxen über Großeinkäufe bis hin zum morgendlichen
       Starbucks-Café.
       
       150 Meter weiter befindet sich der nächstgelegene Supermarkt, der wie schon
       zum Höhepunkt der Krise auch heute regulär geöffnet hat. Am Eingang wartet
       ein Angestellter, der jedem Kunden die Körpertemperatur misst und Name
       sowie Handynummer notiert.
       
       Eine Ecke weiter erreiche ich die Hauptstraße, auf der seit Montag fast
       schon wieder Berufsverkehr zu herrschen scheint. Vornehmlich ältere Leute
       sind auf den Bürgersteigen unterwegs, um Besorgungen zu erledigen. Die
       meisten tragen nach wie vor Masken, wenn auch mittlerweile auffällig viele
       ihren Gesichtsschutz unter's Kinn geschoben haben – quasi ein
       heruntergenommenes Visier, das jederzeit wieder hochgefahren werden kann.
       Ohne Gesichtsmaske erhält ohnehin niemand Zutritt in geschlossene Räume.
       
       Etwa in die Restaurants, die sich in der nächsten Eckstraße zu einem guten
       Dutzend aneinanderreihen. Herrliche Gerüche spiegeln die regionale Vielfalt
       der chinesischen Küche wieder: angefangen mit kalten Liangpi-Nudeln aus
       Xi'an über gegrillte Lammspieße der Xinjiang-Region hin zum Restaurant für
       Sichuan Hotpot. Gut gefüllt sind sind die Läden noch nicht, ohnehin müssen
       die Betreiber die Hälfte ihrer Sitzplätze sperren. Doch noch vor wenigen
       Tagen war noch die komplette Geschäftsstraße geschlossen. Fabian
       Kretschmer, Peking
       
       In Peking bestehen keine Ausgangssperren und weitestgehende
       Bewegungsfreiheit, solange man die Stadtgrenzen nicht verlässt. 
       
       In China bisher mit Corona infizierte und registrierte Personen: 81.171.
       Tote: 3.277 
       
       ## Wien: Keine Gesichtsmasken, aber gut gefüllte Regale
       
       Im Haus herrscht Totenstille. Der Schulhof ist verlassen. Keine
       Zwölfjährigen, die laut schreiend dem Fußball hinterher jagen, keine
       Mädchen, die sich im Hochsprung versuchen, kein Turnlehrer, der den
       60-Meter-Lauf mit seiner Stoppuhr überwacht.
       
       Aus der Maria Lourdes Kirche nebenan ist hin und wieder Orgelmusik zu
       vernehmen, doch der Chor der Gläubigen bleibt aus. Vor dem Eingang zum
       Pfarrhof, wo sonst Dienstags Flüchtlinge und andere Bedürftige anstehen, um
       Lebensmittelspenden entgegenzunehmen, hängt ein Schild: die Warenausgabe
       sei bis auf Weiteres suspendiert. Ein für den 17. März angekündigter
       Vortrag über „Biblische Frauen im Alten Testament“ ist auf den 28. April
       verschoben.
       
       Die Ruckergasse zählt zu den wichtigen Durchzugsstraßen des Bezirks. Sie
       ist kaum noch befahren. Statistiken sprechen von fünf Prozent des üblichen
       Verkehrsaufkommens. Die Busstation, wo der 7A und der 15A halten, ist
       verlassen. Im Bus, der pünktlich daherkommt, sitzen nicht mehr als drei
       Fahrgäste – in gehörigem Abstand voneinander. Die wenigen Fußgänger, die
       das Trottoir bevölkern, sind allein und eiligen Schrittes unterwegs. Wohl
       auch der klirrenden Kälte geschuldet, mit der sich der Frühling einstellt.
       Mundschutz trägt so gut wie niemand. Selbst die Kassiererinnen im
       Supermarkt verzichten auf Atemschutz. Sie tragen aber Gummihandschuhe und
       bitten um bargeldlose Zahlung. Die Panikkäufe sind vorbei, die Regale
       gefüllt. Nur Klopapier und Seife sind immer schnell ausverkauft. Manche
       halten sich an die Aufforderung, für die ganze Woche einzukaufen, andere,
       vor allem ältere Leute, nehmen den Einkauf als willkommenen Vorwand, um das
       Haus zu verlassen. Mit einer Flasche Wein und ein paar Süßigkeiten kämpfen
       sie gegen die Einsamkeit an.
       
       Der kleine Park mit Spielplatz und Sandkiste ist durch ein Vorhängeschloss
       versperrt. Für alle, die noch nichts begriffen haben, sind Schaukel und
       Kletterturm zusätzlich mit Plastikbändern als No-go-Gebiete markiert. Die
       Tageszeitungen in der Trafik warten mit den neuesten Pandemie-Schlagzeilen
       auf: „Corona-Party: FPÖ-Politiker feierte mit!“ Ralf Leonhard, Wien
       
       In [2][Österreich] sind Lokale, Geschäfte und Schulen geschlossen. Es
       bestehen Ausgehbeschränkungen. 
       
       [3][Infizierte Personen: 4.791, Tote: 25.] 
       
       ## Canberra: Viel Platz und die Angst vor Chinesen
       
       Dick ist wütend. Zum ersten Mal in den 23 Jahren, die ich meinen Nachbarn
       kenne, zeigt dieser Urtyp des stoischen australischen Mannes Emotionen. Ich
       treffe ihn unten beim Zaun – aus sicherer „sozialer Entfernung“ natürlich.
       Dick und ich – wir haben ein Riesenglück. Wir wohnen im australischen
       „Busch“, auf großen bewaldeten Grundstücken, nördlich der Hauptstadt
       Canberra. Kängurus gibt es viele, Menschen keine. Außer eben Dick und seine
       Frau Tina (Namen geändert). Aber die wohnen 400 Meter weit weg. So weit
       springt kein Virus.
       
       Erst vor ein paar Wochen hatte ich diese Isolation noch verflucht. Damals,
       als gigantische Waldbrände drohten, unser Paradies in Schutt und Asche zu
       legen. Der Himmel war Rot vom Inferno hinter dem Horizont, als Dick und ich
       uns in seiner Garage zu einem Bier trafen. Während ich zuvor in zunehmender
       Panik Testament und Lebensversicherung in den feuerfesten Tresor gelegt
       hatte, schaute Dick im Fernsehen ein Rugbyspiel. Der Mann war so „cool“ wie
       sein Bier.
       
       Heute glüht er vor Wut. Es ist aber nicht die Regierung, die ihn in Rage
       bringt, weil die sich trotz eskalierender Corona-Krise weigert, das Leben
       in Australien auf Eis zu legen. Es ist auch nicht die höhnische Empfehlung
       von Premier Scott Morrison an 20.000 von den Fluglinien gefeuerte Menschen,
       sie könnten sich einen Job im Einzelhandel suchen. Nein, es sind die
       Panikkäufe, die Dick wütend machen. „Kein Klopapier, kein Fleisch“, wettert
       er nach dem Besuch im Einkaufszentrum. Als sich Tina zu uns stellt, geht’s
       richtig los. „Die Asiaten sind Schuld. Sie fahren in Bussen an und räumen
       alles leer. Dann exportieren sie das Essen nach China.“
       
       Das Gerücht von den „plündernden Chinesen“ (ja, Chinesen, denn „die sehen
       alle gleich aus“) hält sich in Australien so hartnäckig wie ein
       SARS-CoV-2-Virus an einem Bierglas. Doch weder das Boulevard-Radio, das bei
       Millionen Australiern in der Küche plärrt, noch die Hetz-Blätter aus dem
       Hause Murdoch haben bisher einen Beweis für die „gelben Horden“ gebracht.
       Fremdenhass als Ablenkung von politischer Inkompetenz hat eine lange
       Tradition in Australien. Zuletzt bei den Buschfeuern. Konservative
       Kommentatoren machten da „wahrscheinlich islamistische Terroristen“ für die
       Feuer verantwortlich.
       
       Nachbarin Tina glaubt bis heute an diese Mär.
       
       Wieder zu Hause. Im Fernsehen wiederholt ein Arzt die Warnung vieler seiner
       Kollegen. „In 14 Tagen erleben wir hier, was Italien heute erlebt, wenn wir
       das Land nicht sofort stilllegen“.
       
       Zeit, nochmals Testament und Lebensversicherung zu prüfen. Und Zeit für ein
       Bier. Urs Wälterlin, Canberra
       
       Im australischen Bundesstaat New South Wales sind alle nicht essenziellen
       Geschäfte geschlossen. Schulen bleiben geöffnet. 
       
       [4][Infizierte Personen: 2.136, Tote: 8.] 
       
       ## New York: Vogelzwitschern und die große Pleitewelle
       
       Statt der Musik aus Ghettoblastern, statt des Lärms von Motoren, die
       stundenlang im Parkmodus laufen, und statt Gesprächsfetzen, die in Telefone
       hineingeschrieen werden, höre ich einen Vogel zwitschern, der auf dem
       obersten Ast des Baums vor meinem Fenster sitzt. Kein Flugzeug dröhnt durch
       den strahlend blauen Himmel über Harlem.
       
       Eine Straße weiter, wo ich öfter Capuccino getrunken habe, hängt jetzt das
       Schild „closed“ in Schaufenster. Das Café war noch in der Anlaufphase. Die
       Betreiber hatten es wochenlang renoviert. Angesichts eines möglicherweise
       monatelangem Stillstands haben sie aufgegeben. Auch der Salon, wo ich mir
       im Sommer die Fussnägel lackieren lasse, ist geschlossen. Aber in seinem
       Schaufenster steht, dass er wieder eröffnet, so bald die Krise vorbei ist.
       An den Türen der drei Kirchen, an denen ich vorbei gehe, hängt der Hinweis:
       Bis auf Weiteres geschlossen. Nur die Armenspeisung funktioniert noch. Das
       Essen wird am Eingang ausgeteilt. Niemand kommt mehr in den
       Gemeinschaftsraum der Kirchen.
       
       Auf dem Malcolm X Boulevard habe ich das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun.
       Normalerweise sind an Frühlingstagen wie diesem die Terassen der Cafés
       rappelvoll. Jetzt sind die breiten Bürgersteige fast menschenleer. Die
       wenigen Passanten begrüßen sich gegenseitig, aber sie gehen sich aus dem
       Weg. Im Eingang des Kleider-Discountladens hat ein Obdachloser einen
       Schlafplatz eingerichtet.
       
       Vor dem Drogeriemarkt verkauft ein fliegender Händler die Produkte, die im
       Inneren der Geschäfte schon seit Wochen ausverkauft sind. Masken und vor
       allem Hand-Desinfektionsmittel und Latex-Handschuhe. Vor dem Supermarkt
       stehen Absperrgitter. Zwei Männer in Uniform lassen nur jeweils fünf
       Personen herein. Ich stelle mich nicht in die Warteschlange. Sie ist zu
       lang und die Wartenden stehen zu dicht gedrängt. Dorothea Hahn, New York
       
       Seit Sonntag gilt in [5][New York] eine Ausgangbeschränkung. Nur
       „unverzichtbare Beschäftigte“ dürfen die Straßen betreten. 
       
       [6][Infizierte Personen: 46.168, Tote: 582.] 
       
       ## Småland: Der kranke Nachbar und die Klopapierfabrik
       
       „Hej, Birgitta, Husten“? Die Nachbarin vom Haus gegenüber, die gerade zwei
       Mülltüten in die grüne Tonne wirft, schaut mich erst fragend an. Dann
       versteht sie: „Ach so. Nein, alles Bestens. Hier sind wir doch sicher! Zu
       uns kommt kein Virus rein.“ Und nach einer nachdenklichen Pause fährt sie
       fort: „Åke hätten wir nicht rauslassen dürfen.“
       
       Die Sache mit Åke hat uns einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Der älteste
       Bewohner unseres 16-Häuser-Dorfs im südschwedischen Småland wurde kurz nach
       Weihnachten operiert und sollte sich danach in einer Pflegeeinrichtung
       erholen. Kurz. Aus kurz wurde lang und länger. Letzte Woche meldete die
       Lokalzeitung erste Corona-Verdachtsfälle unter dem Personal der
       Einrichtung. Am Samstag dann eine vorläufige Entwarnung: die bisherigen
       Tests sind negativ. Aber Åke hört sich gar nicht gut an am Telefon. Alles
       ist jetzt hermetisch abgeriegelt. Keine Besuche möglich. Åke hatte gehofft
       Ostern wieder zu Hause zu sein. Das wird wohl nichts werden.
       
       „Verdammter Mist“, wirft Birgitta den Deckel der Mülltonne zu. „Hör mal,
       ich will morgen früh in die Stadt fahren und diese Rentnerstunde testen.
       Brauchst du was?“ Ein Supermarkt hat vor ein paar Tagen eine neue Regelung
       eingeführt. Eine zusätzliche Stunde Öffnungszeit, von 7 bis 8 Uhr, ist für
       „Risikopersonen“, speziell 70-plus, reserviert worden.
       
       „Nein, danke. Ich brauche nichts.“ – „Kein Klopapier?“, lästert Birgitta:
       „Hast du gemerkt, der Güterzug ist jetzt bestimmt doppelt so lang.“ Ja, das
       stimmt. In der Papierfabrik im nächsten Ort wird Toilettenpapier
       produziert. Derzeit fährt man wegen der explodierten Nachfrage
       Sonderschichten.
       
       Die ersten Kraniche sind da, Vögel bauen in aller Eile ihre Nester fertig,
       Schneeglöckchen, Krokusse und Leberblümchen blühen. Die Ableger für neue
       Stachelbeersträucher sind prima angegangen und trotz mancher derber
       Frostnächte wollen Forsythien und Rhabarber nicht mehr länger warten.
       Frühling! Reinhard Wolff, Småland/Schweden
       
       In Schweden sind Versammlung mit mehr als 500 Menschen untersagt. Höhere
       Gymnasialklassen machen Fernunterricht. 
       
       [7][Infizierte: 2.059, Tote: 33] 
       
       ## Moskau: Die leere U-Bahn und die starken Männer
       
       Reisende schossen im Minutentakt aus den Schwingtüren, Fischschwärmen
       gleich. Sie bogen um die Ecke, ohne den Schwarm zu verlassen.
       
       In den vergangenen Tagen ist es anders geworden. Langsamer, ruhiger und
       überschaubarer geht es an der Metrostation Leninskij Prospekt zu. Noch
       immer gibt es Reisende, sie folgen jedoch einem anderen Takt und lassen
       sich von der Masse nicht mehr mitziehen.Nur noch ein Drittel der früheren
       Passagiere nutzt zurzeit die Metro.
       
       Ich bilde mir ein, die dünn besetzten Züge würden nicht mehr so viel Lärm
       machen. Vorher erschütterte jeder Zug die Fundamente der Häuser. Jetzt
       wirkt die Verkehrsader wie entschleunigt.
       
       Die Bäckerin klagt darüber, dass sie nur noch knapp ein Drittel von den
       warmen Piroggen absetzt. Wie soll das weitergehen, fragt sie.
       
       Die Berufsschule, die für das Gastgewerbe ausbildet, ist geschlossen. Die
       Schülerinnen und Schüler sorgten immer für einen lebendigen Geräuschpegel.
       Bis mindestens Mitte April wurden auch sie ausgesperrt.
       
       Die Schornsteine des Heizkraftwerks glänzen in der Sonne, sie stoßen Dampf
       aus wie eh und je. In der Seitenstraße stellt die Apotheke die letzten
       Lieferungen in ungeöffneten Kartons ins Schaufenster: Infusionsbestecke aus
       Berlin sei es, ist dem Aufdruck zu entnehmen. „Noch etwas
       Desinfektionsmittel?“, ruft die Apothekerin, die eine neue Lieferung
       erhalten hat.
       
       Die Apotheke bietet auch Schutzmasken an, knappe Ware auch in Russland.
       Inzwischen tragen einige Moskauer schon die bläulichen Gesichtsmasken. Man
       fällt damit jedoch auf.
       
       Viele Passanten machen sich lustig. Angsthase? Feigling? Bist Du etwas
       Besseres als wir? Verraten die Blicke. Vor allem Männer reagieren so. Die
       Warnung zum Nachbarn Abstand zu halten hat sich bei der niedrigen
       Infektionsquote in Moskau noch nicht durchsetzen können.
       
       In der Poliklinik um die Ecke werden die Patienten schon am Eingang
       sortiert. Mit Maske und Fieberpistole verbreitet die Krankenschwester gute
       Stimmung. Klaus-Helge Donath, Moskau
       
       In [8][Moskau] sind Schulen, Theater und Sporteinrichtungen geschlossen.
       Für alle Menschen über 65 Jahren ist häusliche Isolation angeordnet. 
       
       [9][Infizierte: 495, Tote: 1] 
       
       ## Kigali: Geschlossene Märkte und leere Geldautomaten
       
       Nicht einmal eine Stunde nachdem Ruanda am Samstagabend eine Ausgangssperre
       verhängt hat, strömen im mittelständischen Wohnbezirk Remera in der
       Hauptstadt Kigali die Menschen noch ein letztes Mal auf die Straßen. Vor
       den Supermärkten, die nur eine Stunde später schließen sollten, stauen sich
       die Autos. Familienväter schieben Einkaufswagen zwischen den Regalen
       entlang, ein seltsamer Anblick, da Einkäufe in der Regel von Frauen
       erledigt werden. Die Männer laden Milch und Saft sowie Dosenkonserven ein –
       haltbare Produkte, die sonst in Afrika eigentlich nicht sehr gefragt sind,
       weil es auf den Märkten alles frisch und billiger ist. Doch genau diese
       Märkte sind nun geschlossen, ebenso Bäckereien und Metzger. Die Folge:
       Tiefkühltruhen mit den gefrorenen Hähnchen und Fischfilets werden emsig
       leer geräumt, an der Brottheke liegt nur noch ein vertrocknetes Baguette.
       
       Unterschwellige Panik macht sich breit. Dies merkt man vor allem vor den
       Bankautomaten, wo sich in Afrika eigentlich nur selten Warteschlangen
       bilden. An diesem Abend stehen dort die Menschen bis auf die Straße. Die
       meisten Automaten spucken bereits nach wenigen Kunden kein Geld mehr aus:
       leergeräumt. Viele Leute fluchen, hasten zu den Autos, um ihr Glück bei der
       nächsten Bank zu suchen. Die Agenten der Telekommunikationsfirmen, die
       mobile Geldtransfers via Handy anbieten, tummeln sich zu Dutzenden neben
       den Bankautomaten. Die Regierung hat die Leute aufgefordert, auf
       Bargeldzahlungen zu verzichten, um die Ansteckung durch Geldscheine zu
       vermeiden. So kommt es, dass die meisten Menschen die Bargeld-Bündel bei
       den Mobile-Money-Agenten wieder einzahlen. Doch auch da werden die Reserven
       knapp: Ein junger Agent mit der gelben Weste eines Telekom-Konzerns zeigt
       auf eine Umhängetasche voller Scheine. So viel Cash habe er noch nie
       gesehen, strahlt er. Sein virtueller Kredit auf seinem Handy sei jedoch
       aufgebraucht, er könne keine Überweisungen mehr tätigen. Simone
       Schlindwein, Kigali
       
       In Ruanda besteht eine Ausgangssperre, die Grenzen und der Flughafen sind
       geschlossen. 
       
       [10][Infizierte: 36, Tote: 0] 
       
       ## Bochum: Ein Spaziergang auf der Partymeile
       
       Das Virus springt mich schon im Hausflur an. Gleich drei Zettel hat die
       Hausverwaltung aufgehängt: Der Heizungsableser, der sonst jedes Frühjahr
       die digitalen, kryptisch blinkenden Messgeräte an den Heizkörpern anschaut
       und mit dem ich immer ein nettes Schwätzchen halte, kommt nicht. Ich soll
       die Werte per Mail schicken, schreibt der Vermieter – und bittet in rot:
       Wegen der „aktuellen gesundheitlichen Situation“ solle ich doch bitte sein
       „Büro nicht aufsuchen“.
       
       Im Bochumer Stadtteil Ehrenfeld dann gähnende Leere. Auf der Straße ist
       kaum ein Mensch zu sehen. Das am Sonntagnachmittag verkündete Kontaktverbot
       funktioniert: Kommt mir doch mal jemand entgegen, weichen wir uns im weiten
       Bogen aus. Komisch, wie schnell ich mich an die Ansteckungsgefahr gewöhnt
       habe – und andere schon fast unterbewusst als virale Gefahr betrachte.
       
       Der Spielplatz hinter dem Bochumer Schauspielhaus ist mit rot-weißem
       Flatterband abgesperrt. Am Vordereingang des Theaters ein riesiger,
       beleuchteter „Hinweis wegen Coronavirus“: Auf Beschluss der Stadt „keine
       Veranstaltungen bis 19.04.2020“, steht da schon seit einer Woche, und:
       „Bleiben Sie gesund!“ Warum ausgerechnet der 19. April, denke ich wie jedes
       Mal, wenn ich vorbeigekommen bin – obwohl ich natürlich weiß, dass das Ende
       der Schulferien das Hoffnungsdatum markieren soll, nach dem die Infektionen
       mit SARS-CoV-2 ihren Höhepunkt überschritten haben könnten.
       
       Völlig leer ist die Partymeile des Ruhrgebiets, das Bermudadreieck. Hier,
       wo sonst bei schönem Wetter Tausende draußen sitzen, kommen mir genau zwei
       Menschen entgegen. Verlassen und dunkel liegen Szenekneipen wie
       „Freibeuter“, „Mandragora“ oder „Zacher“ vor mir. An ihren Türen
       informieren manche langatmig über „die Situation“, andere setzen auf ein
       cooles „We're closed“.
       
       Essen zum Mitnehmen bieten nur noch das vietnamesische „Hatoky“, das „Taj
       Mahal“ und der „Pizzaman“. Der bittet per Aushang darum, auf jeden Fall
       telefonisch zu bestellen und den Laden nicht zu betreten. Auf dem Rückweg
       bekomme ich trotzdem gute Laune: Menschen, die ich nicht kenne, winken vom
       Balkon, ich winke zurück. Vielleicht stärkt das Virus Zusammenhalt und
       Solidarität?
       
       Punkt 21 Uhr werden wir dennoch zusammenkommen. Denn seit letzter Woche
       legen manche Nachbar*innen jeden Abend Grönemeyers Liebeserklärung an
       Bochum auf, singen laut mit. Sie applaudieren, reden, halten Kontakt,
       muntern sich auf. Auch ich werde gleich die „4630 Bochum“ auf den
       Plattenteller legen. Und heute Abend den Verstärker laut aufdrehen. Andreas
       Wyputta, Bochum
       
       In Bochum besteht das bundesweit gültige Kontaktverbot für mehr als zwei
       Menschen. Nur Lebensmittelgeschäfte, Apotheken sowie Drogerien, Bau- und
       Gartenmärkte sind geöffnet. 
       
       [11][Infizierte: 30.150, Tote: 130]
       
       25 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Corona-in-China/!5668754/
   DIR [2] /Wien-in-Zeiten-der-Corona-Krise/!5672113/
   DIR [3] https://www.worldometers.info/coronavirus/
   DIR [4] https://www.worldometers.info/coronavirus/
   DIR [5] /Corona-in-den-USA/!5673184/
   DIR [6] https://www.worldometers.info/coronavirus/
   DIR [7] https://www.worldometers.info/coronavirus/
   DIR [8] /Corona-in-der-Ex-Sowjetunion/!5672999/
   DIR [9] https://www.worldometers.info/coronavirus/
   DIR [10] https://www.worldometers.info/coronavirus/
   DIR [11] https://www.worldometers.info/coronavirus/
       
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   DIR Indigene in Kolumbien: Angst vor der Doppelkatastrophe
       
       Die Indigenen in Kolumbien kämpfen nicht nur gegen das Corona-Virus. Seit
       fast zwei Wochen brennt die nahe gelegene Sierra. Hilfe bleibt aus.
       
   DIR Kampf gegen die Pandemie: Schwedens Strategie heißt Smittskam
       
       Anstelle strikter Einschränkungen setzt die schwedische Regierung auf
       Empfehlungen und Eigenverantwortung. Kann das funktionieren?
       
   DIR Wochenvorschau für Berlin: Mindestabstand durch Gesang
       
       Nur noch zu zweit raus: Was kann man denn da noch machen? So einiges:
       Singen zum Beispiel. Oder gar mal E-Roller fahren?
       
   DIR Covid-19 in Afrika: Reiche und Mächtige zuerst
       
       Covid-19 ist in vielen Staaten Afrikas angekommen – oft eingeschleppt von
       den Eliten. Nicht das Virus, sondern die Maßnahmen fordern erste
       Todesopfer.
       
   DIR Kontaktbeschränkung im Alltag: In Bewegung bleiben
       
       Wegen Corona darf sich keiner mehr frei bewegen. Aber was darf wer wo und
       mit wem?
       
   DIR Corona in Australien: Australien wird Gefängnisinsel
       
       Australien macht wegen Corona seine Grenzen dicht und schickt Rückkehrer in
       Quarantäne. Premier Scott Morrison habe zu spät gehandelt, sagen Kritiker.
       
   DIR Baumwollmasken machen Sinn: Masken für alle
       
       Anders als lange kommuniziert hilft das Tragen einfacher Masken gegen die
       Ausbreitung des Coronavirus – vor allem, wenn sie jeder trägt.
       
   DIR Solidarität in Wedding: Kieze trotzen Krise
       
       Solidarische Stadtteilarbeit bietet angesichts der Corona-Epidemie
       Plattformen für Solidarität und gegenseitige Unterstützung.
       
   DIR Coronakrise in USA: Patient New York
       
       In New York breitet sich das Coronavirus besonders schnell aus. Doch Tests
       und Beatmungsgeräte fehlen – und Trump will Läden bald wieder öffnen.
       
   DIR Corona in Russland: Mit der Klinik kommt Gas
       
       Vor den Toren Moskaus wird im Eiltempo ein Krankenhaus gebaut, für 600
       Patienten. Das kleine Dorf Golochwastowo bekommt dafür einen Gasanschluss
       
   DIR Fifa-Chef in der Coronakrise: Clever geheuchelt
       
       Ausgerechnet Fifa-Präsident Gianni Infantino sieht in der Coronakrise eine
       Chance, den Fußball zu reformieren. Das klang bis zuletzt noch ganz anders.
       
   DIR Corona-Strategien der EU: Wo bleiben die Coronatests?
       
       Die WHO empfiehlt, flächendeckend zu testen und Infizierte zu isolieren.
       Die EU-Länder halten sich nicht daran, sondern verhängen Kontaktsperren.