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       # taz.de -- Covid-19-Epidemie in Spanien: In Krankheit zerstritten
       
       > Spanien verlängert die Ausgangssperre. Parteien machen sich gegenseitig
       > für die hohe Fallzahl verantwortlich. 1.300 Tote allein in Altersheimen.
       
   IMG Bild: Rausgehen verboten: In Madrid wird die Ausgangssperre jetzt verlängert
       
       Madrid taz | Punkt 20 Uhr erhoben sich die wenigen Abgeordneten, die bei
       der Parlamentsdebatte über die Verlängerung des Ausnahmestands in Spanien
       anwesend waren, und applaudierten. Diejenigen, die nur per Videokonferenz
       zugeschaltet waren, gingen auf ihre Balkone und schlossen sich
       parteiübergreifend dem [1][Applaus an, mit dem die eingeschlossenen Spanier
       Abend für Abend] das Personal im Gesundheitssystem für den verzweifelten
       Kampf gegen Covid-19 ehren.
       
       Doch noch während sich die Menschen von Balkon zu Balkon „Gute Nacht“ und
       „Gesundheit“ wünschten, herrschte im Parlament wieder Normalzustand. Auch
       wenn eine überwältigende Mehrheit für die Verlängerung der Ausgangssperre
       bis zum 11. April stimmte, war der Opposition alles recht, um die
       Linksregierung unter dem Sozialisten Pedro Sánchez anzugreifen.
       
       „Es war ein Fehler, Maßnahmen gegen das Virus aus ideologischen Gründen
       hinauszuzögern“, erklärte etwa der Chef der konservativen Partido Popular
       (PP), Pablo Casado. Er behauptete damit einmal mehr, dass sich die Pandemie
       verbreitet hätte, weil die Regierung lange untätig geblieben wäre, um die
       Demonstrationen am Frauentag nicht untersagen zu müssen.
       
       Santiago Abascal, Sprecher der drittstärksten Kraft im Parlament, der
       [2][rechtsradikalen VOX], haute in die gleiche Kerbe und verschwieg
       wohlweislich, dass auf seinem Parteitag am selben Wochenende in einer
       Stierkampfarena in Madrid der wenig später positiv geprüfte Generalsekretär
       ein Bad in der Menge nahm. Einer derer, die er dabei wohl ansteckte, war
       Parteichef Abascal selbst.
       
       ## Zentralregierung gegen Regionen
       
       Casado redete immer wieder von Material- und Personalmangel im
       Gesundheitssystem. Sánchez wiederum verteidigte sich: „Wann habe wir
       erstmals Klagen gehört, dass es kein Material gibt? Am 14. März. An diesem
       Tag sahen viele plötzlich das, was sie zuvor nicht wahrhaben wollten.“
       
       Der 14. März war jener Samstag, als die Zentralregierung per
       Ausnahmezustand die Zügel der Krisenbekämpfung in die Hand nahm und das
       Gesundheitssystem, das eigentlich Sache der autonomen Regionen ist –
       vergleichbar mit den Ländern in Deutschland –, dem Gesundheitsministerium
       unterstellte.
       
       Jetzt macht die Zentralregierung das, was unter anderem die von Casados PP
       regierte Hauptstadtregion verschlafen hatte. Sie kauft Material.
       Hunderttausende Masken seien bereits in China geordert und auf dem Weg,
       beteuert das Gesundheitsministerium.
       
       Die kommenden zwei Wochen werden nicht leicht. Am heutigen Donnerstag
       v[3][ermeldete Spanien 56.188 bestätigte Covid-19-Fälle und 4.089
       Verstorbene]. Damit hat Spanien China überholt und liegt nur noch hinter
       Italien. Die Hälfte aller Todesfälle sind in der Hauptstadtregion zu
       verzeichnen. Das Gesundheitssystem im ganzen Land droht zu kollabieren.
       
       ## Vergleich mit Deutschland
       
       Während in Madrid die Intensivstationen mit doppelt so vielen Patienten
       belegt sind wie sonst und Notlazarette eingerichtet werden, fragen sich die
       Medien, warum die Sterberate in Spanien so viel höher ist als etwa in
       Deutschland, wo bei 41.255 Infizierten nur 224 Tote zu beklagen sind. Die
       Antwort dürfte eine Mischung aus mehreren Faktoren sein.
       
       Zum einen testet Deutschland weit mehr Verdachtsfälle als Spanien. Wer hier
       nicht mit schweren Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert wird, muss zu
       Hause bleiben und wird dort telefonisch beraten, wie etwa das Fieber zu
       senken sei. Diese Fälle tauchen nicht alle in den Statistiken auf.
       
       Die Zahl der tatsächlich Infizierten dürfte, so schätzen Ärzte, mindestens
       5- bis 6-mal so hoch sein, wie die tägliche Statistik aus dem
       Gesundheitsministerium glauben macht.
       
       Anders als in Deutschland ist in Spanien das Virus schon früh in einige der
       6.000 Altersheime gelangt. Mindestens 1.300 Tote – etwa ein Drittel aller
       Verstorbenen – sind dort zu beklagen, berechnete das meistgehörte Radio des
       Landes, [4][Cadena Ser]. Auch wenn Regionen wie Madrid oder Katalonien
       keine genauen Angaben machen.
       
       ## Massive Kürzungen in der Eurokrise
       
       Ein Großteil der Altersheime wurden in den Jahren der Krise privatisiert
       oder gleich von Investmentfonds bis hin zu Tochterunternehmen großer
       Baukonzerne errichtet, die sie nun führen. Die Betreiber schweigen sich
       über die Zustände in den Heimen aus. Als die Armee begann Altersheime zu
       desinfizieren, fanden die Soldaten nicht nur Schwerkranke, sondern auch
       Tote in den Betten.
       
       Spanien gehört zu den vier Ländern, die im Zuge der [5][Eurokrise im
       Gesundheitswesen am meisten gekürzt und privatisiert] haben. Während hier
       pro Einwohner 3.300 Euro für Gesundheit ausgegeben werden, sind es in
       Deutschland 6.000 Euro.
       
       In Spanien arbeiten pro 1.000 Einwohner 30,1 in Arztpraxen und
       Krankenhäusern, in Deutschland sind es 71. Und während Spanien 9,5
       Intensivpflegeplätze pro 100.000 Einwohner zählt, sind es in Deutschland
       rund 34.
       
       Am meisten gekürzt wurde ausgerechnet in der reichsten Region des Landes,
       in Madrid. Nur das arme Andalusien gibt noch weniger aus. Im Namen der
       „Wahlfreiheit für die Bürger“ förderte die konservative Regionalregierung
       das private System, während im öffentlichen Bereich privatisiert und
       stillgelegt wurde. Madrids öffentliches Gesundheitssystem verfügt heute
       über 33 Krankenhäuser, wovon 5 privat geführt werden.
       
       ## Kliniken schließen, ausgerechnet jetzt
       
       Dem gegenüber stehen 50 völlig private Kliniken. 7 davon haben jetzt,
       mitten in der Coronakrise, „für unbestimmte Zeit“ geschlossen und einen
       Großteil der Belegschaft entlassen. Es fehle an Patienten für Operationen
       und an – meist aus dem öffentlichen System ausgelagerten – Laboraufträgen,
       die nichts mit dem Virus zu tun hätten. „Wir brauchen eine Neuorganisierung
       der Arbeit, ohne eine solche wären viele Zentren nicht überlebensfähig“,
       heißt es seitens des Verbandes der Privatkliniken (Aspe).
       
       26 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Systemrelevante-Jobs-in-Coronakrise/!5670828
   DIR [2] /Kommentar-zur-Wahl-in-Andalusien/!5553220
   DIR [3] https://www.worldometers.info/coronavirus/country/spain/
   DIR [4] https://cadenaser.com/ser/2020/03/26/sociedad/1585204942_349816.html
   DIR [5] /Corona-Krise-in-Spanien/!5668979
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
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