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       # taz.de -- Bremens Polizei geht gegen Demo vor: Konsequent – gegen Geflüchtete
       
       > Als 50 Geflüchtete gegen ihre Massenunterkunft demonstrierten, wurden sie
       > wegen fehlenden Abstands angezeigt. Anderswo in Bremen ist man
       > großzügiger.
       
   IMG Bild: Hier draußen wurde zu wenig Abstand gewahrt, sagt die Bremer Polizei. Drin ist das egal
       
       Bremen taz | Wenn heute mehrere hundert Geflüchtete in Bremen auf engstem
       Raum zusammenleben müssen, so wird das rechtlich nicht geahndet. Wird gegen
       dieses Lager protestiert, ist das gleich etwas anderes.
       
       In den Schlafräumen der [1][Sammelunterkunft in der Lindenstraße] leben
       zwar je sechs Menschen, die Betten stehen dicht an dicht, ein Fenster gibt
       es nicht. Aber verboten wurde das bisher nicht. Anders sieht es aus, wenn
       50 Geflüchtete – so wie am vergangenen Freitag – in weitem Abstand
       zueinander gegen diese Zustände in der Einrichtung protestieren.
       
       Dann überprüft die Polizei „[2][konsequent]“ die Einhaltung der
       Mindestabstände, wie sie die [3][Allgemeinverfügung des Innenressorts]
       vorschreibt. Und weil die DemonstrantInnen diese „auch nach mehrfacher
       Aufforderung“ nicht eingehalten hätten, berichtet die Polizei, habe sie
       mehrere Strafanzeigen nach dem Infektionsschutzgesetz gefertigt. Es drohen
       Bußgelder, Geldstrafen und sogar eine Freiheitsstrafe.
       
       Doch, doch, das sei schon ein „Widerspruch“, sagt ein Polizeisprecher. Die
       BeamtInnen hätten aber „keinen Ermessensspielraum“ und seien „gezwungen“,
       diese Anzeigen zu schreiben. Alles Weitere sei Sache der
       Staatsanwaltschaft.
       
       Nun hat der Flüchtlingsrat das Ordnungsamt aufgefordert, die Einrichtung
       wegen der dauerhaften Verletzung der Allgemeinverfügung „unverzüglich zu
       schließen“. Außerdem stellte er Strafanzeige gegen die Sozialsenatorin und
       die Arbeiterwohlfahrt, die das Heim betreibt. Bisher fand das Amt die
       Unterkunft rechtlich unbedenklich.
       
       ## Am Werdersee herrscht Trubel
       
       In der vergangenen Woche hatten [4][sieben Gemeindemitglieder einer
       Moschee] in Bremen Strafanzeigen bekommen – weil sie in den Räumen der
       Gemeinde zusammen spielten. Unterdessen trafen sich am Samstag nach
       Augenzeugenberichten viele Menschen unbehelligt am beliebten Werdersee in
       Bremen.
       
       „Da war ein Trubel“, sagt eine Anwohnerin – „wie im Sommer“. Polizei habe
       sie keine gesehen. „Wir konnten dort keine Straftaten nach dem
       Infektionsschutzgesetz verzeichnen“, schreibt die Polizei auf Nachfrage. In
       ganz Bremen seien am Wochenende aber gut 90 solcher Verstöße mit
       Strafanzeigen bedacht worden.
       
       Im Falle der Sammelunterkunft hat das Ordnungsamt in der vergangenen Woche
       sogar eine Demonstration verboten – mit dem Hinweis auf den
       Infektionsschutz. Dabei sind Versammlungen, die sich auf die
       [5][Demonstrationsfreiheit] berufen, vom allgemeinen Verbot von
       Menschenansammlungen in Bremen ausgenommen.
       
       ## Forderung nach sofortiger Schließung
       
       Die zuständige Behörde kann eine Versammlung aber „verbieten, beschränken
       oder mit Auflagen versehen“, heißt es in der [6][Allgemeinverfügung] des
       Innenressorts. Am Ende protestierten 50 von fast 700 Geflüchteten, die
       zuletzt in der Lindenstraße zusammenleben mussten, auf einer Kundgebung für
       eine menschenwürdige Unterbringung.
       
       Die InsassInnen der Sammelunterkunft, der Flüchtlingsrat und Die Linke
       fordern die Evakuierung der Einrichtung. [7][Eine Petition], die die
       sofortige Schließung der Unterkunft fordert, hatte am Montag fast 3.500
       UnterstützerInnen. „Es gibt freie Kapazitäten in Übergangswohnheimen und
       leerstehenden Containern“, sagt Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat.
       
       Alles, was den Menschen außerhalb der Lager jetzt dringend zu vermeiden
       geraten werde, sei in der Erstaufnahmeeinrichtung nun System. „Es ist vor
       allem in dieser Zeit ein bedenklicher Zustand“, kritisiert Oerter.
       
       Um die Lage zu entschärfen, wurden 24 von 31 Geflüchteten, die bei einer
       Corona-Infektion zur Risikogruppe zählen, anderswo untergebracht. 100
       Geflüchtete sollen in der Jugendherberge, 200 in Übergangswohnheimen
       unterkommen. [8][„Wir schaffen nach und nach die Voraussetzungen, dass die
       Menschen in der Erstaufnahmeeinrichtung weniger eng zusammenleben“], sagt
       die grüne Sozialsenatorin Anja Stahmann. „Das geht nicht von heute auf
       morgen, aber wir arbeiten daran mit aller Ernsthaftigkeit.“
       
       Im Übrigen verweist die Behörde darauf, dass alle neu ankommenden
       Geflüchteten auf das Virus getestet würden. In allen 180 Fällen sei das
       Ergebnis negativ gewesen. Zudem gälten verschärfte Regeln wie ein
       Besuchsverbot. Die Gemeinschaftsräume würden geschlossen, die
       Reinigungsintervalle verdoppelt und Essen gebe es nur noch portioniert,
       damit niemand mehr – anders als bisher – das gleiche Besteck anfassen
       müsse. Dass das nicht ausreicht, weiß auch die Sozialsenatorin: „Wir können
       mit all diesen Maßnahmen nicht sicherstellen, dass alle Menschen in den
       Einrichtungen dauerhaft vor Ansteckung geschützt sind.“
       
       Der Bremer Rat für Integration (BRI) begrüßte die Schutzmaßnahmen für die
       Erstaufnahmeeinrichtung. Der Flüchtlingsrat, selbst Mitglied im BRI, ist
       entsetzt: Die „unhaltbaren“ Zustände in der Sammelunterkunft würden vom BRI
       „bagatellisiert“, obwohl die Bedingungen dort nach dem
       Infektionsschutzgesetz strafbewehrt seien.
       
       „Es gibt diese Einrichtung, das ist eine Tatsache“, sagt Lucyna Bogacki vom
       BRI und lobt die engagierten MitarbeiterInnen, die dort arbeiten. Und wie
       steht der BRI zur Forderung, die Einrichtung zu schließen? „Das ist gerade
       nicht die Frage“, sagt Bogacki. Schließlich müssten diese 700 Geflüchteten
       dann irgendwo anders unterkommen – und dort auch betreut werden können.
       
       30 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gefluechtete-im-Heim-alleine-gelassen/!5668846
   DIR [2] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/35235/4558695
   DIR [3] https://www.amtliche-bekanntmachungen.bremen.de/allgemeinverfuegung-ueber-das-verbot-von-veranstaltungen-zusammenkuenften-und-der-oeffnung-bestimmter-betriebe-46848577
   DIR [4] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/35235/4555515
   DIR [5] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_8.html
   DIR [6] https://www.inneres.bremen.de/startseite/corona__die_haeufigsten_fragen_und_antworten-23460
   DIR [7] https://weact.campact.de/petitions/schliesst-massenunterkunft-lindenstrasse-schafft-sichere-und-kleine-wohneinheiten-fur-gefluchtete
   DIR [8] https://www.senatspressestelle.bremen.de/detail.php?gsid=bremen146.c.332605.de&asl=bremen02.c.732.de
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Zier
       
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