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       # taz.de -- Schwangerschaftsabbrüche und Corona: „Blutungen bis zum Tod“
       
       > Ärzt:innen schlagen Alarm: Durch die Corona-Krise werde der Zugang zu
       > Abbrüchen so erschwert, dass ungewollt Schwangere in Gefahr sind.
       
   IMG Bild: ExpertInnen befürchten, dass vermehrt unprofessionelle Abbrüche durchgeführt werden könnten
       
       Berlin taz | Ärzt:innen und Fachverbände fürchten um Gesundheit und Leben
       von Frauen, weil die Expert:innen den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen
       während der [1][Corona-Pandemie] gefährdet sehen. In einem gemeinsamen
       Papier schreiben die Netzwerke Doctors for Choice und Pro Choice, der
       Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft
       und die Deutsche Gesellschaft für Familienplanung Pro Familia: „Wir
       befürchten, dass Frauen wieder zu ‚unsicheren Abtreibungsmethoden‘ greifen
       – mit der Gefahr von gesundheitlichen Schäden wie Entzündungen, Sterilität
       und Blutungen bis hin zum Tod.“
       
       Ungewollt Schwangere müssen in Deutschland mehrere Termine außer Haus
       wahrnehmen, um einen Abbruch bekommen zu können: Die [2][Pflichtberatung],
       eine gynäkologische Untersuchung, eine Ultraschalluntersuchung, den Abbruch
       und eine Nachuntersuchung. Dies sei wegen Corona nun „akut gefährdet“,
       heißt es: Durch Einschränkungen in den Beratungsstellen, Quarantänen,
       Ausgangsbeschränkungen und Reisebeschränkungen in Nachbarländer. Damit
       könne vielfach die Frist nicht mehr eingehalten werden, bis zu der Abbrüche
       in Deutschland möglich sind, so die Befürchtung.
       
       Die Verbände fordern deshalb von Bundes- und Landesregierungen sowie den
       Krankenkassen, dass der Abbruch mit den „Abtreibungspillen“ Mifegyne und
       Cytotec mit telemedizinischer Begleitung bis zum Ende der neunten
       Schwangerschaftswoche nach nur einem Besuch bei einer Ärztin zu Hause
       zugelassen wird. Dies entspreche auch den Richtlinien der
       Weltgesundheitsorganisation WHO.
       
       „Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine elektive Leistung, sondern ein
       Notfall“, sagte Christiane von Rauch, Vorständin des Vereins Pro Choice. Im
       Sinne der Pandemiebestimmungen müssten Abbrüche zudem als solche anerkannt
       und in den Kliniken auch chirurgisch weiter gesichert werden. Praxen und
       Kliniken müssten für Schwangere geöffnet bleiben.
       
       ## „Den Frauen rennt die Zeit weg“
       
       Die Ärztin Kristina Hänel, die wegen Paragraf 219a angeklagt ist, sagte:
       „Den Frauen rennt die Zeit weg.“ Sie beobachte schon jetzt, dass ungewollt
       Schwangere verstärkt in späteren Wochen zu ihr in die Praxis kämen, weil
       sich der bürokratische Ablauf für einen Abbruch noch schwieriger gestalte
       als zuvor.
       
       Hänel hat sich deshalb strikte Regeln auferlegt: „Ich habe persönlich keine
       direkten Kontakte mehr zu anderen Menschen. Ich habe alle Kontakte auf zwei
       bis drei Meter eingeschränkt – auch im Privatleben, um meine Arbeitskraft
       zu erhalten.“ In ihrer Praxis in Gießen hat sie Schichtbetrieb eingeführt.
       Mitarbeiterinnen arbeiten im zweiwöchigen Wechsel: Ein Teil des Teams
       bleibt zu Hause, so dass sie die Praxis weiterführen können, sollte ein
       Krankheitsfall auftreten. Ungewollt Schwangere dürfen keine Begleitung mehr
       zu den Abbrüchen mitbringen.
       
       Unklar sei auch noch, wie man künftig mit ungewollt Schwangeren umgehe, die
       bereits positiv getestet seien. Einen solchen Fall habe sei bisher noch
       nicht gehabt, so Hänel, sie werde im Einzelfall entscheiden müssen. Von
       Rauch warnt jedoch schon jetzt, dass Abtreibungspraxen teilweise nicht
       ausreichend mit Schutzkleidung und Schutzmasken versorgt seien.
       
       ## Schon jetzt 120 bis 130 Kilometer Fahrt
       
       Wie problematisch die Situation für ungewollt Schwangere schon jetzt ist,
       sieht man beispielsweise in Bayern. In Ostbayern, sagte der dortige
       Landesgeschäftsführer von Pro Familia, Thoralf Fricke, habe der letzte
       verbliebene Arzt, der nach der zehnten Woche überhaupt noch Abbrüche
       durchführte, im Zuge der Corona-Pandemie seine Arbeit niedergelegt. Er sei
       schon über 70 Jahre alt und sorge sich um seine Gesundheit und die seiner
       Patientinnen.
       
       Auch für Abbrüche bis zur zehnten Woche müssten die Frauen allerdings schon
       120 bis 130 Kilometer weit fahren. Wer kein eigenes Auto hat oder Kinder
       betreuen muss, könne dies kaum leisten. Manchmal dürfe auch der Partner
       nicht mitbekommen, dass ein Abbruch geplant ist. „Das alles ist schon ohne
       Corona schlimm“, sagte Fricke. „Jetzt ist die Lage wirklich dramatisch.
       Auch diejenigen, die nach Österreich gefahren sind, Salzburg, Wien – das
       ist jetzt schwierig.“
       
       Durch die Reisebeschränkungen sind derzeit auch Spätabbrüche in anderen
       Ländern wie den Niederlanden oder Großbritannien nicht möglich, warnt
       Doctors for Choice. Gefährdet sind insbesondere polnische Frauen. In Polen
       sind Abtreibungen beinahe gänzlich verboten, polnische Frauen reisen für
       Abbrüche deshalb häufig nach Deutschland.
       
       „Die ganze Zeit mussten wir uns mit den Moralvorstellungen
       auseinandersetzen, und jetzt plötzlich ist da, was wir immer gesagt haben:
       Wir müssen das Leben der Frauen schützen“, sagt Kristina Hänel. „Wenn die
       Frauen keine Wege finden, werden sie wieder in Lebensgefahr geraten.
       Entweder über Suizide oder durch misslungene Abbrüche.“
       
       In Ländern, in denen es keinen Zugang zu Abbrüchen gebe, komme es immer
       wieder vor, dass Frauen sich in den Unterleib schlagen lassen oder größere
       Mengen von Medikamenten schlucken, weil sie hoffen, dass diese Blutungen
       auslösen, sagte Christiane von Rauch, Vorständin des Vereins Pro Choice.
       
       Der Verein unterstützt unter anderem die Ärzt:innen, die wegen des
       Paragrafen 219a angeklagt sind. Auch in der hiesigen älteren Generation
       hätten Frauen versucht, Gegenstände in den Muttermund einzuführen oder
       Seifenlösungen in die Gebärmutter zu spritzen, um einen Abbruch auszulösen,
       so von Rauch. „Das funktioniert natürlich alles nicht.“
       
       Andere europäische Länder ergreifen im Zuge der Corona-Krise Maßnahmen, um
       ungewollte Schwangerschaften besser verhindern zu können. In Frankreich
       etwa bekommen Frauen die Pille bis Ende Mai auch ohne neues Rezept. Das
       Recht der Frauen, über ihren Körper zu bestimmten, könne in Zeiten einer
       Gesundheitskrise nicht infrage gestellt werden, hieß es in einer
       Mitteilung.
       
       Der Text ist eine Kooperation von taz und [3][Buzz Feed]
       
       23 Mar 2020
       
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       ## AUTOREN
       
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