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       # taz.de -- Demos wegen Corona-Pandemie verboten: Virus killt Versammlungsfreiheit
       
       > Behörden in Niedersachsen und Hamburg untersagen Proteste unter Verweis
       > auf Corona-Kontaktverbote, auch wenn Demonstranten Abstand halten.
       
   IMG Bild: Hygienischer Protest: Demonstranten auf Abstand und mit Mundschutz am Hamburger Steintorplatz
       
       Hamburg taz | Demonstrationen in Corona-Zeiten sind nicht möglich – auch
       dann nicht, wenn sie sich mit dem staatlichen Umgang mit der Pandemie
       befassen. In diese Richtung weisen eine Reihe von Eilentscheidungen aus
       Niedersachsen und Hamburg, in denen die Verwaltungsgerichte in einer
       allgemeinen Abwägung den Schutz der menschlichen Gesundheit und des Lebens
       höher veranschlagten als die Grundrechte auf Meinungs- und
       Versammlungsfreiheit.
       
       Für den gestrigen Donnerstag hatte die Initiative „Leave no one behind“
       eine Kundgebung am Hamburger Steintorplatz in Hauptbahnhofsnähe angemeldet,
       um „auf die prekäre Situation von Wohnungslosen und Geflüchteten in Zeiten
       von Corona“ hinzuweisen. Dort stand bis vor Kurzem ein Zelt, in dem
       Geflüchtete von der Insel [1][Lampedusa seit Jahren auf ihr Schicksal
       aufmerksam machten] und zuletzt auch andere Geflüchtete über Corona
       informierten. Unter Verweis auf das Corona-Versammlungsverbot war das Zelt
       abgerissen worden.
       
       Die Polizei untersagte die Dauerkundgebung am sogenannten „Lampedusa-Platz“
       ebenfalls unter Verweis auf die [2][Hamburger Allgemeinverfügung] zur
       Corona-Pandemie. Die bei der Gesundheitsbehörde beantragte
       Ausnahmegenehmigung sei abgelehnt worden, teilte die Polizei mit.
       
       Dabei hatte „Leave no one behind“ in einer Stellungnahme zur Demo-Anmeldung
       versichert, die Gruppe sei sich der Infektionsgefahr bewusst. Um dennoch
       ihre Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrnehmen zu
       können, werde „diese Meinungsäußerung so organisiert, dass eine erhöhte
       Infektionsgefahr für Teilnehmende wie auch für Passant*innen nicht
       besteht“.
       
       ## Hygienisch organisiert
       
       Die erwarteten rund 50 Teilnehmenden sollten die Mindestabstände von zwei
       Metern zueinander einhalten. Über Megafon-Durchsagen hätten auch Passanten
       angehalten werden sollen, diesen Abstand einzuhalten. Flugblätter werden
       nicht verteilt und es werde auch nicht breit mobilisiert, um die Anzahl der
       Teilnehmenden händelbar zu halten. „Sollten aus Sicht des Gerichts oder der
       Gesundheitsbehörde weitere Vorsichtsmaßnahmen erforderlich sein, kommen wir
       dem gerne nach“, heißt es in der Erklärung.
       
       Die Initiative hatte bereits am vergangenen Sonntag eine Kundgebung an
       diesem Ort abzuhalten versucht – wie Teilnehmende versichern, unter den
       gleichen Sicherheitsvorkehrungen. Die Polizei schickte sie dennoch weg.
       „Ich hab da gestanden, völlig allein mit meinem Pappschild, 20 Meter von
       allen anderen entfernt – und auch das war eine verbotene Versammlung“,
       berichtet ein Mitglied der Initiative.
       
       Die jetzt ergangene [3][Eilentscheidung (2 E 1550/20)] sei inakzeptabel.
       „Offensichtlich ist das Gericht der Behörde gefolgt, obwohl wir sehr
       deutlich gemacht haben, dass wir jede Menge Vorsichtmaßnahmen ergreifen
       wollen, weil wir weder uns noch andere gefährden wollen“, sagte ein
       Initiativen-Vertreter.
       
       Das Versammlungsverbot sei auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil der
       Protest ja gerade darauf aufmerksam machen sollte, dass Geflüchtete und
       Wohnungslose oft nicht in der Lage seien, dem von der Gesundheitsbehörde
       erlassenen Abstandsgebot zu folgen.
       
       Das Hamburgische Verwaltungsgericht argumentierte dennoch, es sei „nicht
       auszuschließen, dass die von der Antragstellerin begehrte Aussetzung der
       Allgemeinverfügung im Hinblick auf die von ihr geplante Versammlung von
       etwa 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu einer weiteren Verbreitung des
       Coronavirus und damit zu einer schwerwiegenden und nicht wieder rückgängig
       zu machenden, möglicherweise lebensgefährdenden Schädigung der menschlichen
       Gesundheit führen wird“.
       
       Die 15 bis 20 Protestierenden die sich am Donnerstagabend mit Pappschildern
       dennoch am Hauptbahnhof versammelten, wurden von einem großen
       Polizeiaufgebot abgefangen. Der Initiative zufolge erhielten sie
       Strafanzeigen. In Initiativensprecher bezeichnete das Vorgehen der Polizei
       als „krass“.
       
       Eine ganz ähnliche [4][Entscheidung] (15 B 19689/20) wie in Hamburg hat das
       Verwaltungsgericht Hannover erst Anfang dieser Woche im Eilverfahren
       getroffen. Dort ging es um eine Versammlung unter dem Motto „Gegen das
       totale Versammlungsverbot unter dem Deckmantel der Epidemiebekämpfung“.
       Auch hier gingen die Antragsteller gegen die Allgemeinverfügung vor, die
       bestimmt, dass sich nicht mehr als zwei fremde Personen beisammen im
       öffentlichen Raum aufhalten dürfen.
       
       Ob diese Regel rechtens sei, lasse sich im Eilverfahren nicht feststellen,
       urteilte das Gericht. Aber auch, dass die Antragsteller sich nur mit fünf
       bis 15 Menschen versammeln und einen Mindestabstand von zwei bis drei
       Metern wahren wollten, rechtfertige nicht, die Allgemeinverfügung
       auszusetzen – zumal die Aussetzung dann für andere gelte. Gesundheit und
       Leben wögen schwerer als eine vorübergehende Aussetzung des
       Versammlungsrechts.
       
       Den gleichen Tenor hat eine ebenfalls am gestrigen Donnerstag ergangene
       weitere [5][Entscheidung (21 E 1509/20)] des Verwaltungsgerichts Hamburg.
       Ob Einzelne demonstrieren können, will die sozialpolitisch engagierte
       Hamburgerin Petra Lafferenz am Sonnabend ausprobieren, indem sie sich mit
       einem Sandwich-Plakat an die Alster stellt. Mit dem faktischen
       Demonstrationsverbot sei eine Grenze überschritten. „Das ist völlig
       unverhältnismäßig“, findet sie. „Unser Land rühmt sich bürgerlicher
       Freiheiten – und die möchte ich in Anspruch nehmen.“
       
       2 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Lampedusa-Zelt-in-Hamburg-geraeumt/!5674441
   DIR [2] https://www.hamburg.de/allgemeinverfuegungen/13746326/2020-03-22-voruebergehende-kontaktbeschraenkungen/
   DIR [3] http://justiz.hamburg.de/vg-aktuelles/)%20und%20auf%20der%20Homepage%20des%20Hamburgischen%20Oberverwaltungsgerichts%20(http://justiz.hamburg.de/oberverwaltungsgericht/aktuelles/
   DIR [4] http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE200001105&psml=bsndprod.psml&max=true
   DIR [5] https://justiz.hamburg.de/contentblob/13781604/3a81b413ccdaeb5eb58154244c4ce7d4/data/21e1509-20.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
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