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       # taz.de -- Epidemiologe über Corona-Dunkelziffer: „Wir müssen noch mehr testen“
       
       > Das Bremer Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie will mit
       > mindestens 10.000 Tests die Dunkelziffer der Corona- Infizierten
       > aufhellen.
       
   IMG Bild: Auch in Bremen wird auf in erster Linie auf „Social Distancing“ gesetzt
       
       taz: Herr Zeeb, was ist aus Ihrer Sicht von den offiziellen Zahlen der
       [1][Corona]-Infizierten zu halten? 
       
       Hajo Zeeb: Das sind die Ergebnisse der Tests, die bei Ärzten und bei den
       Teststellen ablaufen und dann gemeldet werden. Das sind Tests von
       Risikopersonen oder solchen, die Erkrankungszeichen haben.
       
       Das heißt, es ist anzunehmen, dass es eine sehr hohe Dunkelziffer von
       Infizierten gibt? 
       
       Viele Menschen lassen sich ja auch testen, obwohl es eigentlich keinen
       echten Anlass gibt. Insofern ist die Dunkelziffer vielleicht doch nicht so
       dramatisch wie viele annehmen, sie ist aber bestimmt trotzdem hoch.
       
       RückkehrerInnen aus Risikogebieten beispielsweise [2][werden nicht in jedem
       Fall getestet] – wie erklären Sie sich das? 
       
       Wir haben das Problem, dass sich die Risikogebiete nahezu täglich ändern
       und auch die Informationen dazu nicht alle zeitnah ankommen. Aber es
       stimmt, dass einige, denen man einen Test normalerweise angedeihen lassen
       würde, ohne Test ausgehen – und das ist etwas, was wir eigentlich
       hinbekommen müssen: Noch mehr testen und noch mehr Testkapazitäten
       bereitstellen, um einen Überblick darüber zu bekommen, wie es eigentlich in
       der Bevölkerung insgesamt aussieht.
       
       Also flächendeckend und dann gezielt infizierte Menschen isolieren, statt
       potenziell Infizierte auch weiterhin in Supermärkte und zur Arbeit gehen zu
       lassen? 
       
       Die Testkapazitäten müssen gezielt erhöht werden, denn wir haben keine
       Möglichkeiten, jede einzelne Person zu testen, das kann das System nicht
       leisten. Aber Gruppen besser zu erkennen und damit zu erreichen,
       Möglichkeiten des Austauschs des Virus konkret zu vermindern, sollte das
       Ziel sein.
       
       Wird zu wenig auf Tests und zu viel auf „Social Distancing“ gesetzt? 
       
       Es sollte auf beides gesetzt werden. Wenn ich weiß, dass ich jemanden
       infizieren könnte, sollte ich schon so klug sein, mich in Isolation zu
       begeben. Aber es braucht auch klare Vorgehensweisen und da muss der Kreis
       weiter gezogen werden als momentan. Aber ich denke, dass man dann, wenn die
       jetzigen Maßnahmen gelockert werden sollen, auch zu anderen Strategien
       kommen wird, mit denen man sagen kann: Da sind wirklich alle infiziert und
       dort niemand, also können wir an dieser Stelle die Maßnahmen auch lockern
       oder müssen weiterhin Kontakte extrem gering halten. So lassen sich
       Regelungen finden, wo und wie Menschen ihre Arbeit wieder aufnehmen können,
       ob die Schulen wieder öffnen können und so weiter.
       
       Und deswegen wollen Sie nun herausfinden, wie hoch die tatsächliche Zahl
       der Corona-Infizierten in Bremen und anderen Regionen ist? 
       
       Genau, das ist jetzt eine der großen Fragen, die im Raum steht und zügig
       beantwortet werden muss, um wirklich noch etwas zu beeinflussen. Und genau
       da wollen wir nun ansetzen. Bei unserer geplanten Studie handelt sich um
       eine Initiative der [3][Leibniz-Gemeinschaft], der wir als BIPS ja
       angehören. Wir treiben das voran, aber verschiedene Leibniz-Institute mit
       Schwerpunkt Gesundheitsforschung bis hin zum Institut für Weltwirtschaft in
       Kiel sind daran beteiligt.
       
       Welche Personen wollen Sie testen und und wo kommen die her? 
       
       Das sind Menschen, die jetzt schon in großen Studien drin sind und die wir
       kennen. In Bremen sind das 10.000 Teilnehmer aus der
       [4][Nako-Gesundheitsstudie], Personen wie Sie und ich, die also keine
       Besonderheiten gerade in Hinsicht auf das Corona-Virus aufweisen.
       Vielleicht, und darüber diskutieren wir momentan noch, werden wir auch noch
       weitere Personen aus deren Umfeld, also konkret deren Familie, die Testung
       anbieten, aber das sind noch ungefangene Fische.
       
       Wie viele StudienteilnehmerInnen wären wünschenswert? 
       
       Es sind sicher zehn- bis 30.000 Menschen, die wir insgesamt brauchen. Die
       Nako-Gesundheitsstudie hat bundesweit 200.000 Teilnehmer, die sind alle
       schon einmal untersucht worden. Und den Zentren, mit denen wir momentan
       präferenziell diskutieren, stehen mindestens 30.000 Menschen zur Verfügung,
       die mitgemacht haben. Ich hoffe da auf eine sehr gute Resonanz, weil das ja
       wirklich alle betrifft und weil das auch bisher Personen waren, die sehr
       willens waren, der Gesellschaft ihre Daten zur Verfügung zu stellen. Es
       kann auch sein, dass wir noch weitere Zentren der Nako-Studie mit ins Boot
       nehmen, aber das entscheidet sich erst noch.
       
       Aber erst einmal planen Sie nur für Bremen? 
       
       Wir vom BIPS planen für Bremen und machen ein Design, das an anderen
       Stellen ganz genauso eingesetzt werden kann. Wir würden dann vermutlich mit
       dem Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg oder anderen Zentren mit großen
       Laboren zusammenarbeiten, um die nötigen Tests durchführen zu können. Das
       heißt, wir benötigen Laborkapazitäten, die weit über das hinausgehen, was
       wir hier jetzt haben, aber das scheint machbar zu sein.
       
       Inwiefern sind Ihre Corona-Tests spezifisch? 
       
       Wir würden einen Bluttest machen und keinen Virustest aus der
       Mundschleimhaut. Denn ein solcher Abstrich zeigt zwar ein positives
       Ergebnis an, wenn man mit dem Virus infiziert ist, aber er zeigt nicht an,
       wenn man bereits geheilt ist. Wir würden eine Testung machen, die
       Antikörper auf den Virus anzeigt. Das heißt, wir können damit sehen, ob
       jemand momentan infiziert ist, aber auch, ob jemand infiziert war und
       geheilt ist – und damit auch immun.
       
       Wie sind Sie angesichts der jetzt schon begrenzten Testkapazitäten in der
       Lage, so viele Menschen zu testen? 
       
       Bei der großen Zahl, allein 10.000 Menschen in Bremen, wäre es nicht so,
       dass die Testungen an einem Tag gemacht würden, das geht nicht. Das Ganze
       wird nach und nach laufen und auch die Testkapazitäten werden nicht auf
       einen Schlag da sein. Auch, wenn das zeitlich eng getaktet sein sollte,
       werden wir natürlich eine gewisse Zeit brauchen.
       
       Das bedeutet, mit Ergebnissen kann erst gerechnet werden, wenn wir das
       Gröbste bereits hinter uns haben? 
       
       Wir wissen zwar nicht, wann das sein wird, aber ja, wahrscheinlich. Denn
       die Behörden haben ja nun drastische Maßnahmen ergriffen und die scheinen
       auch zu greifen: Es gibt ja ein paar Hinweise darauf, dass die
       Infektionskurve langsam flacher wird. Die Dynamik wird aber trotzdem
       interessant bleiben und es wird wichtig sein zu sehen: Wie hat sich denn
       nun die Infektionsrate entwickelt? Wenn wir wissen, wie viel Prozent der
       Bevölkerung die Infektion durchlaufen hat, dann können wir etwas zur
       Immunität sagen. Und wenn die hoch genug ist, kann man sagen: Jetzt
       konzentrieren wir uns vordringlich auf die besonders gefährdeten Gruppen.
       Wir können im Rahmen der Nako-Studie Personen später auch weiter
       kontaktieren und somit sowohl körperliche als auch psychische Folgen über
       längere Zeit erfassen. Was aber darüber hinaus ganz wichtig ist: Wie immer
       beim Thema öffentliche Gesundheit müssen wir auch jetzt danach schauen, wer
       eigentlich am meisten leidet und betroffen ist: Obdachlose, Flüchtlinge,
       Personen, die zu den Informationen nicht so gute Zugänge haben – die
       soziale Ungleichheit ist auch in der Corona-Krise bedeutsam und bleibt eine
       Aufgabe, die man auf keinen Fall aus den Augen verlieren darf, auch nicht
       in der Forschung.
       
       Wissen Sie, wann Sie mit der neuen Studie beginnen können? 
       
       Wir brauchen natürlich Geld und müssen Personal umschichten, aber über all
       das werden aktuell Gespräche geführt. Wir haben viel Unterstützung von
       Seiten der Leibniz-Gemeinschaft, die Studie liegt nun dem
       [5][Robert-Koch-Institut] vor, und wir vom BIPS geben alles dran, dass es
       recht bald losgeht. Wenn alles so klappt, wie wir uns das wünschen, könnten
       die Ergebnisse in zwei, drei Monaten vorliegen, aber genau sagen können wir
       das natürlich jetzt noch nicht.
       
       27 Mar 2020
       
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