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       # taz.de -- Corona in Großbritannien: Schutz vor Abschiebung
       
       > Ein Gerichtsverfahren endet mit vorläufigem Bleiberecht für 350
       > Geflüchtete und ausländische Straftäter. Sie dürfen die Internierung
       > verlassen.
       
   IMG Bild: Einwanderungszentrum in London
       
       London taz | Für 350 Personen aus 49 Ländern, die auf der Abschiebungsliste
       des Vereinigten Königreichs standen, hat [1][das Coronavirus] unerwartete
       Konsequenzen: Sie dürfen vorerst im Land bleiben und können sogar die
       Internierungszentren verlassen.
       
       Dies ist das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens vom Mittwoch, das die
       britische Organisation Detention Action gegen das britische
       Innenministerium angestrengt hatte.
       
       Bella Sankey, die Leiterin der Organisation, verwies in einem Gespräch mit
       der taz auf einen Gesundheitsexperten, der sie beraten habe. Dieser habe
       darlegt, dass die Gesundheit von mindestens 60 Prozent der Betroffenen
       wegen der Covid-19-Krise stark gefährdet sei. Es habe sogar zu Todesfällen
       kommen können.
       
       Es war bekannt geworden, dass die Internierten nicht einmal Seife oder
       antibakterielles Handgel hatten, um sich vor dem Virus schützen zu können.
       „In seinem Gutachten hat dieser Experte die Zentren mit einer Pumpe
       verglichen, die die Krankheit verbreitet und das Virus über das Personal
       auch in die restliche Bevölkerung trage“, so Sankey.
       
       ## Miserable Bedingungen
       
       In Großbritannien besteht für Entscheidungen über eine Abschiebung keine
       maximale Frist. Viele warten jahrelang auf ein Urteil, und das unter
       miserablen Bedingungen. „Die neue Anweisung bedeutet nicht nur mehr
       Sicherheit für die Gesundheit, sondern ist auch ein Zeitgewinn, wodurch die
       Fälle rechtlich besser bearbeitet werden können“, so Sankey.
       
       Viele könnten nun zwischenzeitlich zu ihren Familien in Großbritannien
       zurückkehren. Für Menschen ohne Familie oder ohne eine feste Bleibe müsse
       die Regierung sogar Unterkünfte suchen.
       
       Das britische Innenministerium reagierte auf die Anfrage der taz so, als
       sei all das selbstverständlich. „Unsere Einwanderungsbehörde reagiert hier
       auf einzigartige Umstände und folgt dem aktuellen Rat der staatlichen
       Gesundheitsbehörde.“ Das Wohlbefinden der Internierten und des Personals
       sei von äußerster Wichtigkeit, hieß es weiter. Diejenigen, die als
       besonders gefährlich eingestuft würden, würden weiter in Haft bleiben.
       
       Generell hat sich [2][in den britischen Strafanstalten] bisher jedoch noch
       nicht viel im Hinblick auf das Wohl der Insass*innen getan. Immerhin gibt
       es mehr Seife und Hygienemittel. Besuche seien derzeit jedoch nicht mehr
       möglich. Angehörige und Bekannte können stattdessen Tonaufnahmen
       hinterlassen oder Briefe schreiben.
       
       ## Zu wenig Schutzkleidung
       
       Doch am Donnerstag bemängelte selbst die Vereinigung der Leiter britischer
       Strafanstalten, dass dies nicht ausreiche. Nicht nur stehe das Personal
       aufgrund von Erkrankungen unter wachsendem Druck, es mangele auch an
       Schutzkleidung.
       
       Zudem würden Insass*innen und Personal nicht ausreichend auf das Virus
       getestet, hieß es in einer Presseerklärung. Die Vereinigung empfiehlt,
       Strafgefangene, die ein geringeres Risikos darstellten, vorfristig zu
       entlassen – darunter insbesondere Frauen.
       
       Peter Dawson, Direktor des Prison Reform Trusts, einer Organisation, die
       sich für bessere Bedingungen in britischen Strafanstalten einsetzt,
       erklärte gegenüber der taz, dass derartige Maßnahmen in der derzeitigen
       Regierung keine Priorität hätten. „Die politische Richtung bisher war, das
       Strafmaße zu erhöhen und mehr Strafanstalten zu bauen.“
       
       Dennoch räumte er ein, dass vorfristige Entlassungen nicht immer leicht
       seien. Manche Menschen benötigten nach ihrer Entlassung viel Unterstützung.
       Hier müsse die Regierung viele der kleinen Organisationen, die
       normalerweise diese Arbeit leisteten, besser unterstützen.
       
       Immerhin gibt es seit dieser Woche neue Verordnungen für die Bewährung nach
       Entlassung aus der Haft. Beamte sollen die Betroffenen zu Hause aufsuchen,
       aber die für Covid-19 notwendige soziale Distanz einhalten. Bisher mussten
       Betroffene regelmäßig bei der Polizei vorstellig werden, was umständlich
       gewesen sei, so Dawson.
       
       Auch neue Techniken, wie Gespräche über das Internet seien geplant. Dawson
       sieht das als positive Entwicklung, die nach der Krise zu einem
       menschwürdigeren Umgang mit Tätern auf Bewährung führen könnte.
       
       26 Mar 2020
       
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       ## AUTOREN
       
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