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       # taz.de -- Der Hausbesuch: Spielen mit der Vielfalt
       
       > Kinder sollen wissen: Das Leben ist bunt. Deshalb verkaufen zwei Frauen
       > Spielzeug, das nicht nur eine weiße Vater-Mutter-Kind-Welt zeigt.
       
   IMG Bild: Sie lieben Spielzeug: Tebogo Niminde-Dundadengar und Olalou Fajembola
       
       Weil Olaolu Fajembola, 39, und Tebogo Niminde-Dundadengar, 38, kein
       Spielzeug und keine Kinderbücher fanden, die ihre Kinder ansprachen,
       gründeten sie einen [1][Online-Laden]. Dort gibt es schwarze oder
       asiatische Puppen, Skatkarten mit Königen, Damen und Buben von überall auf
       der Welt, Bücher mit Protagonisten jenseits Vater-Mutter-Kind und weißer
       Hautfarbe. So kommt Vielfalt ins Spielzimmer. „Kultur- und Kreativpiloten“
       seien sie. Das legt zumindest der gleichnamige Preis der Bundesregierung
       nahe, den sie 2019 bekamen.
       
       Draußen: Die Lahnstraße im Berliner Stadtteil Neukölln noch vor den
       „Corona-Zeiten“: Spielotheken, Barbershops, Imbisse, Döner für 2 Euro 50,
       sind geöffnet, das Leben pulsiert. Weiter in Richtung Sonnenallee kommen
       Gewerbehöfe, und Baumärkte dazu. Gegenüber des Büros von Olaolu und Tebbi,
       wie alle sie nennen, liegt der Oberhafen von Neukölln. Da sind Möwen und
       ist Hafenflair. Am anderen Ufer sorgen die Maschinen eines Recyclinghofes
       und der Straßenverkehr für die Soundkulisse.
       
       Drinnen: „Menschen sind gut. Niemand wird als Rassist geboren. Niemand,
       glauben wir, möchte als Rassist groß werden.“ Diese Sätze hängen auf
       Englisch an einer Wand. Am Fenster stehen Büropflanzen, dazu ein grauer
       Teppich, ein rotes Sofa, bunte Sessel. Die Regale sind voll:
       [2][Kinderbücher], Puppen, Spiele. Tebbi zeigt ein Magnetpuzzle, damit
       können aus verschiedenen Gliedmaßen, Torsos und Gesichter Figuren
       zusammengebaut werden. Das sei ihr Lieblingsstück. Erst vor kurzem zogen
       Tebbi und Olaolu in dieses Büro, um nicht mehr von zu Hause, sondern
       gemeinsam für ihren Onlineshop Tebalou zu arbeiten. Seit Anfang März sind
       die beiden jedoch meist wieder im Homeoffice, wegen Corona, klar.
       
       Homeoffice: Abwechselnd fahren Tebbi und Olaolu mit dem Rad zum Büro, um
       den Versand ihrer Produkte zu erledigen. Es gebe weniger zu tun, denn Kitas
       und Schulen, ihre Hauptkunden, sind geschlossen. Auch Workshops und
       Veranstaltungen zum Thema Diversität im Spielzimmer, die sie organisieren,
       sind abgesagt. „Wir müssen uns während der Coronakrise umstellen, um weiter
       zu überleben“, sagt Tebbi.
       
       Quarantäne: Tebbi hatte schon mit der Krise zu tun, bevor diese so richtig
       in Deutschland angekommen war. Zwei ihrer drei Kinder waren in Italien und
       durften deshalb nach ihrer Rückkehr das Haus zwei Wochen lang nicht
       verlassen. Jetzt, wo das vorbei ist und alle gesund sind, könne sie wieder
       normal atmen und sich mehr auf die Arbeit konzentrieren. „[3][Homeoffice
       mit Kindern] ist nicht einfach. Das wissen vor allem alleinerziehende
       Mütter, die keine andere Option haben“, sagt sie. Olaolu hat auch eine
       kleine Tochter zu Hause. Sich zu erinnern, wie sie das Projekt auf die
       Beine stellten, hilft ihnen, positive zu bleiben. Glück sei für Tebbi
       „Hundert Prozent Gegenwart“. Wobei. Eine andere Gegenwart als die im Moment
       wäre ihr lieber.
       
       Mutig sein: „Ja, das machen wir!“: So schlossen Tebbi und Olaolu vor fast
       vier Jahren einen Pakt „zwischen Tür und Angel“, als bei einem
       Familientreffen alle schon am Gehen waren. An diesem Tag hatten sie mit
       Begeisterung entdeckt, dass sie den gleichen Traum hatten: Spielmaterial
       und Bücher zusammenzustellen, bei denen alle Kinder sich wiederfinden
       können. „Wir wollten das anbieten, was wir uns als Mütter für unsere Kinder
       wünschen und was wir in unserer eigenen Kindheit schmerzlich vermisst
       haben“, sagen sie.
       
       Herausforderung: Vor vier Jahren wohnte die in Botswana geborenen und in
       Niedersachsen aufgewachsen Tebbi noch in Hamburg, während die Stuttgarterin
       Olaolu sich schon in Berlin niedergelassen hatte. Als Tebbi auch nach
       Berlin kam, um ihr Psychologie-Studium abzuschließen, ging es mit dem
       Projekt los. Da sie keine Erfahrung im Unternehmensbereich hatte – Olaolu
       ist Kulturwissenschaftlerin und arbeitete beim Film – machten sie Seminare,
       um mit Förderprogrammen, Businessplänen und der Selbstständigkeit klar zu
       kommen. Sie haben außerdem umfangreich zum Thema Vielfalt recherchiert.
       „Wir wussten, was wir wollten. Die Herausforderung war, die Produkte und
       das Publikum zu finden“, sagt Olaolu.
       
       Was fehlte? Als Töchter von Einwandererfamilien und als schwarze Kinder
       waren Tebbi und Olaolu in Deutschland der 80er Jahren anders drauf als die
       Protagonist*innen, die in ihrer Spielwelt vorkamen. Sie hätten es als
       normal wahrgenommen, dass alles aus der Perspektive von Weißen gesehen
       wurde, „und trotzdem war das Gefühl da, dass uns etwas fehlte“, sagt Tebbi.
       „Ich fand die Geschichten, die ich las, interessant, aber mit mir hatten
       sie nichts zu tun“, sagt Olaolu. „Du bekommst als Kind nicht nur den
       Wunsch, anders zu sein, sondern auch den Eindruck, dass mit dir irgendwas
       nicht stimmt“, sagt Tebbi. „Das bin ich!“ dachte sie das erste Mal, als sie
       „Momo“ von Michael Ende in der Hand hatte.
       
       Und später: Als Teenager entdeckte Olaolu die Popkultur der schwarzen
       Community. „Ich war plötzlich als schwarze Person cool“. Da waren Sport,
       Musik, Tanz. Und trotzdem entsprach sie auch da nicht den Klischees. Obwohl
       aus einer Leichtathletenfamilie stammend, hatte sie mit Sport nicht viel am
       Hut und auch die Schönheitsideale passten nicht. Ich fühlte mich wieder
       fremd.“
       
       Veränderungen: Früher kamen manchmal Verwandte aus dem Ausland und brachten
       Tebbi und Olaolu Kinderbücher mit, wo die Protagonisten schwarz waren.
       Meist waren die aber auf Englisch. „Aber das, was damals fehlte, war vor
       allem das Bewusstsein, dass es nötig ist, den Mainstream zu ändern“, sagt
       Olaolu. Die gegebene Normalität zu hinterfragen sei ein wichtiger Teil der
       politischen Arbeit, die sie zu leisten versuchen.
       
       Blase: Wenn man von positiven Veränderungen spricht, sollte man nicht
       vergessen, dass Berlin und andere große Städte „eine Blase sind“, meinen
       die beiden. Sie finden, dass es hier für queere Realitäten mehr Verständnis
       gibt. „Queer ist vielleicht die Lieblings- Minderheit“. In der Kita hätten
       Kinder öfter mit Regenbogenfamilien als mit deutsch-asiatischen oder
       muslimischen Kindern zu tun. Mittlerweile tauchten schwarze Kinder in
       Bilderbüchern, finden sie aber, doch öfters auf. Und zwar mehr aus
       ästhetischen Gründen, denn „sie bringen Kontrast ins Bild“, sagt Olaolu.
       Alleinerziehende Eltern oder Armut würden dagegen kaum thematisiert. „Als
       Kind bin ich mit meiner Familie im Sommer höchstens zum Bodensee gefahren,
       das war für mich okay, ich kannte es nicht anders“, erzählt Olaolu. „Aber
       das kam in den Geschichten, die ich las, nicht vor.“ Darin seinen fast
       immer weiße Familien in der Konstellation Vater-Mutter-Mädchen-Junge nach
       Italien oder Mallorca gefahren. Das war selbstverständlich. Aber nicht für
       mich.“
       
       Eine Bitte: „Bitte BPoC-Autor en und Autorinnen, schreibt mehr für Kinder“,
       sagt Tebbi. BPoC, das sind Blacks und People of Colour. Es fehlten immer
       noch Geschichten, in denen schwarze Kinder oder Kinder mit Behinderungen
       oder Transkinder nicht die sind, die Probleme machten oder bestenfalls „die
       besten Freunde oder Freundinnen der Protagonisten sind, sondern selbst die
       Helden oder Heldinnen“, sagt sie. „Sie brauchen weder problematisiert noch
       in der Opferrolle gesteckt werden.“ Eine schwarze Ärztin, eine Lehrerin mit
       Kopftuch, ein Freund, der zwei Väter hat, das sei Realität. Aber nicht in
       den Büchern. „Das ist absurd“, sagt sie.
       
       Feedback: „Negatives Feedback oder Hatespeech bekommen wir generell nicht“,
       sagen sie. Doch das Schlimmste sei für Olaolu die Indifferenz. „Wenn
       Menschen denken, ‚Oh nein, ein schwarzes Kind, das brauche ich nicht, das
       betrifft mich nicht‘, finde ich das schlimm“, sagt sie. Sehr schön sei
       dagegen, wenn Menschen ihnen beispielsweise schreiben: „Ich habe so lange
       nach diversem Material gesucht.“ Oder wie einmal eine Frau ihnen sagte:
       „Das konnte ich früher nie gehabt haben, das kaufe ich mir jetzt als
       Geschenk, für mein inneres Kind.“
       
       10 Apr 2020
       
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