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       # taz.de -- Corona und Demonstrationsrecht: Ruhe im Karton
       
       > Coronaverordnungen schränken politischen Protest ein. Auf die
       > Gelegenheit, Versammlungen ganz zu verbieten, scheinen einige nur
       > gewartet zu haben.
       
   IMG Bild: Kundgebung mit Distanz – das geht und muss erlaubt sein
       
       BERLIN taz | Es sind Szenen, die man nur aus autoritären Polizeistaaten
       kennt: Eine einzelne Frau mit einem umgehängten Protestschild [1][wird am
       Sonntag vor dem Brandenburger Tor von Polizisten umringt]. Sie muss ihre
       Daten abgeben und erhält eine Anzeige wegen Verstoßes gegen die
       Coronaverordnung und das Versammlungsgesetz. Sie bleibt nicht die Einzige.
       Dasselbe passiert Menschen, die unter Einhaltung der Abstandsregelungen am
       Hamburger Fischmarkt mit Kreide [2][ihre Botschaften für eine humane
       Flüchtlingspolitik auf den Boden schreiben wollen].
       
       In Frankfurt/Main wird eine Ansammlung von DemonstrantInnen im Rahmen des
       #LeaveNoOneBehind-Aktionstages zur Evakuierung der griechischen
       Flüchtlingslager aufgelöst, obwohl sie penibel einen Zwei-Meter-Abstand
       zueinander einhalten. In Berlin unterbinden Polizisten sogar eine
       Auto-Demonstration.
       
       Landesweit entfernt die Polizei im öffentlichen Raum angebrachte
       Protestplakate oder abgestellte Schuhe. Was sich die Protestierenden auch
       haben einfallen lassen, um dem Infektionsschutz gerecht zu werden und
       dennoch ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrzunehmen, sie scheiterten
       an einer autoritär agierenden Ordnungsmacht.
       
       Weder die OrganisatorInnen der Proteste noch andere vernunftbegabte
       Menschen haben infrage gestellt, dass Menschenansammlungen aufgrund der
       sich [3][weiter ausbreitenden Coronapandemie] derzeit verboten sind. Nur
       sind Demonstrationen oder Kundgebungen keine Ansammlungen wie jede andere,
       keine Grillparty im Park und auch kein Fußballspiel. Sie obliegen dem
       besonderen Schutz des Grundgesetzes, Artikel 8.
       
       Eine Einschränkung ist möglich, die gänzliche Abschaffung, wie man sie de
       facto derzeit auf den Straßen beobachten muss, jedoch ausgeschlossen. Dafür
       sorgt schon die im Grundgesetz enthaltene Ewigkeitsgarantie, die eine
       Antastung der Grundrechte untersagt. Inzwischen muss man trotzdem
       befürchten: Ewig war gestern.
       
       Niemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik sind Grund- und
       Freiheitsrechte so massiv und flächendeckend eingeschränkt worden wie
       derzeit. Selbst gegen die 1968 beschlossenen Notstandsgesetze konnte noch
       demonstriert werden. Doch weil die nun verfügten Verbote vorgeblich der
       Rettung von Menschenleben dienen, ist die Bereitschaft in der Bevölkerung,
       diese mitzutragen, groß. In demütiger deutscher Tradition wird der
       imaginierten Allparteienkoalition, die in den Bundesländern für die
       Restriktionen verantwortlich ist, gefolgt. Dabei überschreiten die
       Landesregierungen mit den – noch nicht mal durch Parlamente abgesegneten –
       pauschalen Versammlungsverboten ihre Kompetenzen.
       
       ## Es geht auch anders
       
       Dass Verwaltungsgerichte in Hamburg und Berlin Eilanträge gegen die
       Demonstrationsverbote abgewiesen haben, heißt im Übrigen nicht, dass diese
       nicht rechtswidrig sind. Ein Grundsatzurteil fehlt. Dabei ist offenkundig:
       Der Versuch, per Verordnung, höher gestelltes (Versammlungs-)Recht oder gar
       das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auszuhebeln, ist nicht möglich.
       
       Rechtlich haltbar sind dagegen Auflagen, die etwa die Beachtung des
       Infektionsschutzgesetzes vorschreiben. Zu Gesprächen über mögliche sichere
       Protestformen kam es aber in den erwähnten Fällen gar nicht erst.
       Versammlungsbehörde und Polizei scheint es ganz recht zu sein, sich auf die
       Position des Totalverbots zurückziehen zu können. Endlich ist Ruhe im
       Karton.
       
       Es geht selbstverständlich auch anders, wie das Beispiel Bremen zeigt. Die
       dort erlassene Corona-Rechtsverordnung nimmt „öffentliche und
       nichtöffentliche Versammlungen nach Art. 8 GG“ von einem Verbot aus. In
       Münster durfte – nach einer Klage vor dem Verwaltungsgericht – am Montag
       eine Kundgebung gegen einen Uranmülltransport stattfinden. Etwa 80 Menschen
       hielten sich dabei an die Auflagen; sie demonstrierten mit einem Abstand
       von mindestens 1,50 Meter zueinander und mit Atemschutzmasken – im
       Gegensatz zu den eingesetzten PolizistInnen.
       
       6 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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