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       # taz.de -- Profifußball in der Coronapause: Peinliches Schachern
       
       > In der Debatte über einen Gehaltsverzicht von Profis blamieren sich
       > Spieler und Premier League. Allen voran der ruhmreiche FC Liverpool.
       
   IMG Bild: Wolken über dem geliebten Klub: Anfield, das Stadion des FC Liverpool
       
       Am Ende kapitulierte Peter Moore. „Wir glauben, dass wir letzte Woche zum
       falschen Schluss gekommen sind“, [1][schrieb der Vorsitzende des FC
       Liverpool] kleinlaut auf der Webseite des Klubs. Es war der Schlusspunkt
       einer turbulenten Woche, in der der in den letzten Monaten so oft hymnisch
       gefeierte Klub plötzlich als gierig und nimmersatt dagestanden hatte.
       
       Der FC Liverpool hatte Tage zuvor verkündet, ein staatliches Hilfsprogramm
       für Corona-geplagte Unternehmen in Anspruch nehmen zu wollen, das für drei
       Monate stolze 80 Prozent des Gehalts der Vereinsmitarbeiter übernimmt, bis
       zu 2.500 Pfund im Monat. Die restlichen 20 Prozent hätte der FC Liverpool
       aufgestockt. Hätte, Konjunktiv. Denn kaum hatte der FC Liverpool
       angekündigt, das Kurzarbeitergeld einfordern zu wollen, brach ein in der
       Klubhistorie selten erlebter Wutsturm los.
       
       „You’ll never walk alone“ schien plötzlich nur noch ein Motto für
       Sonnentage. Die wichtigste Fanorganisation „Spirit of Shankly“
       veröffentlichte einen offenen Protestbrief an Moore. Ehemalige Spieler wie
       Dietmar Hamann schrieben: „Das widerspricht der Moral und den Werten des
       Klubs, die ich kennengelernt habe.“
       
       Und ein ungenannter Mitarbeiter konstatierte in der BBC: „Der Club
       bezeichnet die Mitarbeiter als Familie. Ich fühle mich nicht wie ein
       Familienmitglied.“ Am Ende knickte der FC Liverpool ein und sprach etwas
       kryptisch von „alternativen Betriebsmethoden“, die es nun zu finden gelte.
       Eine schnelle Pleite droht dem Klub sicher nicht. Erst im Februar hatte der
       Spitzenreiter der Premier League stolz einen üppigen Gewinn von 42
       Millionen Pfund verkündet. Gleichwohl ist der Verein in Schwierigkeiten,
       wie die meisten anderen Klubs der Premier League auch.
       
       In keiner anderen großen Liga wird so viel Geld umgesetzt, zahlen
       Fernsehsender mehr, verdienen die Spieler so prächtig. Und in keiner Liga
       stellen sich nach der Vollbremsung des Fußballbetriebs bangere Fragen:
       Werden die Inhaber der TV-Rechte ihr Geld zurückfordern, wenn die Saison
       abgebrochen wird? Bequemen sich die Spieler, auf Teile ihres Gehalts zu
       verzichten? Und wird es überhaupt bald weitergehen mit dem Fußball?
       
       ## Zähe Verhandlungen
       
       Nicht einmal der Verzicht der Profis auf einen Teil ihre bisweilen absurden
       Gehälter ist sicher. Immer noch verhandelt die Spielergewerkschaft mit den
       Klubs um die geforderte Reduzierung um 30 Prozent, mit kurios anmutenden
       Argumenten wie dem, dass durch die Gehaltskürzung auch etwa 200 Millionen
       Pfund an Steuergeldern verloren gingen.
       
       Dass die Profis zum Verzicht gedrängt werden müssen, erweist sich dabei
       schon jetzt als veritabler PR-Gau, schließlich haben inzwischen schon
       mehrere Klubs, wie Tottenham, Newcastle oder Norwich, ihre einfachen
       Angestellten in den Zwangsurlaub geschickt. Sadiq Khan, der Londoner
       Bürgermeister, spricht für viele, wenn er mahnt: „Hoch bezahlte Fußballer
       könnten die schwerste Last tragen. Sie sollten die Ersten sein, die das tun
       – und, bei allem Respekt, ihr Gehalt opfern.“
       
       Dass sie es so lange nicht getan haben, weder gezwungen noch freiwillig,
       könnte Nachwirkungen weit über die aktuelle Situation hinaus haben. Denn in
       der ersten großen Krise, die die Premier League nach ihrer Gründung im Jahr
       1992 und einem endlos anmutenden Boom erlebt, erweisen sich die Akteure als
       schlecht gerüstet – handwerklich und rhetorisch. Und die intakte Beziehung,
       die Nähe zu den Anhängern und zu den einfachen Angestellten der Klubs, die
       die Liga wie ein Mantra in unzähligen PR-Filmchen vor sich hergetragen hat,
       könnte sich in diesen Wochen als hohle Phrase entpuppen.
       
       Natürlich blicken auch die anderen großen europäischen Ligen auf die
       Krisenstrategie der Premier League. Was die Engländer machen, wird in den
       anderen Ländern oft imitiert. Einmal in der Woche tauschen sich die Chefs
       aus Italien, [2][Spanien], [3][Deutschland] oder England aus, und natürlich
       klagen die Ligabosse in kleiner Runde über ähnliche und doch ganz
       unterschiedliche Probleme. Während in England am Ende die Besitzer die
       finanzielle Schieflage werden richten müssen, droht vielen deutschen Klubs,
       die nach wie vor in Vereinsstrukturen eingebettet sind, die baldige
       Insolvenz.
       
       Das mangelhafte Krisenmanagement könnte die Hegemonie der Premier League
       dabei nachhaltig beschädigen. Jeder Tag, an dem die englische Liga es nicht
       schafft, sich ihrer gesellschaftlichen Rolle bewusst zu werden, hinterlässt
       einen Kratzer im Glanzlack einer Liga, die seit vielen Jahren prächtig von
       der Inszenierung ihrer Glaubwürdigkeit und Volksnähe lebt. „Das tut uns
       wirklich leid“, meinte Liverpools Chairman Moore. Das ist löblich, aber es
       wird nicht reichen, damit, wie es im berühmtesten Lied des Klubs heißt, die
       Angestellten und Fans des Liverpool FC beim Marsch durch den Sturm den Kopf
       hochhalten können.
       
       7 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.liverpoolfc.com/news/announcements/392368-a-letter-from-peter-moore-to-liverpool-supporters
   DIR [2] /Geisterspiel-in-Spanien/!5667151
   DIR [3] /Klassenerhalt-wegen-Pandemie-Massnahme/!5674015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jenni Wulfhekel
       
       ## TAGS
       
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