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       # taz.de -- Coronakrise mit Geisterspiel: Der Fußball als Drachentöter
       
       > Trotz Corona sollte die Fußball-Bundesliga bald wieder den Betrieb
       > aufnehmen. Geisterspiele können ein Signal der Normalisierung senden.
       
   IMG Bild: Geisterspiele sind nicht gruselig
       
       Not macht erfinderisch. Während in der Fußball-Bundesliga vor gut einem
       Monat das letzte Spiel stattfand, geht man im US-Sport wohl neue Wege. Die
       Major League Baseball will ihre Saison durchbringen, gegen alle Widerstände
       – und seien sie mit den Corona-Viren auch noch so tückisch. Um der Pandemie
       ein Schnippchen zu schlagen, haben sie einen ausgeklügelten Plan
       ausgeheckt. Sie wollen alle 30 Mannschaften in und um Houston
       einquartieren.
       
       In der texanischen Stadt gibt es viele Ballparks, also Spielfelder für das
       Schlag- und Laufspiel, das zu den uramerikanischen Errungenschaften gehört.
       Seit 1903 wird die [1][World Series] regelmäßig ausgespielt, und es waren
       nicht Weltkriege oder Terroranschläge, die die Liga ins Schleudern
       brachten, sondern 1904 eine Laune der New York Giants, die das Finale gegen
       die Boston Americans nicht ausspielen wollten und 90 Jahre später ein
       Spielerstreik, der ein vorzeitiges Saisonende nötig machte. Baseball wird
       immer gespielt, komme, was wolle, das ist die Maxime der Männer mit den
       Schirmmützen.
       
       ## „Heilungsprozess“ anstoßen
       
       Wird der Plan der MLB in die Tat umgesetzt, würde die Saison nur
       viereinhalb Monate dauern. 2.430 Spiele in kurzer Zeit würden Houston zu
       der Hochburg des Baseball machen. Gespielt würde natürlich ohne Publikum,
       regelmäßig zweimal am Tag. Spieler und Coaches nähmen auf leeren Tribünen
       Platz. Die US-Gesundheitsbehörde soll dem Plan schon zugestimmt haben. Mike
       Matheney, Manager der Kansas City Royals, sagt, er fände es gut, ein
       bisschen Normalität zurückbringen: „Wir sollten etwas tun, was dem
       Heilungsprozess hilft.“
       
       Das klingt pathetisch, trifft aber den Kern. Sportfans weltweit sehnen sich
       nach dem Sport, wie er einmal war, vor der Masseninfektion mit dem Virus.
       Der geregelte Sportbetrieb scheint schon so langsam in der Erinnerung zu
       verblassen. Klassiker aus der Konserve helfen zwar ein wenig, über den
       Ausfall hinwegzutrösten, aber sie sind nur ein Surrogat. Hieß es anfangs
       noch, Geisterspiele seien furchtbar und unzumutbar, so ist man nach über
       vier Wochen der Abstinenz bereit, Kompromisse zu machen und starre
       Haltungen aufzugeben. Selbst die Orthodoxen denken über rollende Bälle in
       leeren Stadien nach. Mit Geisterspielen als Notlösung.
       
       ## Symbolischer Akt
       
       Dagegen ist nichts zu sagen. Es müsste logischerweise nur sichergestellt
       werden, dass sich die Spieler nicht gegenseitig anstecken, weswegen häufige
       Tests nötig wären. Kritiker wenden nun ein, das privilegiere wieder einmal
       eine Elite von Unterhaltungskünstlern und sei das falsche Zeichen in Zeiten
       von Corona.
       
       Das Gegenteil ist richtig, vorausgesetzt, es wären tatsächlich genügend
       Tests vorhanden und sie fehlten nicht in den Epizentren der Krise. Eine
       Bevorzugung von Fußballern, die ja nicht um ihr Leben, sondern nur um den
       Ball kämpfen, wäre zynisch und unverantwortlich, aber gehen wir einmal
       davon aus, die Kapazitäten reichten aus, dann sollte die [2][Deutsche
       Fußball-Liga] alles daran setzen, den Spielbetrieb alsbald mit
       Geisterspielen fortzusetzen.
       
       Dabei geht es nicht so sehr um eine Beendigung der Meisterschaft, sondern
       um einen symbolischen Akt: Es geht langsam wieder aufwärts, eine
       Gesellschaft muss nicht ewig in katatonische Starre verfallen, es gibt
       Hoffnung auf ein Stück Normalität, Corona ist ein mächtiger, aber kein
       übermächtiger Gegner. Dem Fußball fiele, pathetisch gesagt, die Rolle des
       Drachentöters zu. Dem Unwesen wachsen unzählige neue Köpfe nach, aber der
       Held schlägt sie mit seinem Schwert alle ab.
       
       Der Ball sollte wieder rollen. Es wäre, so komisch das klingt, ein Dienst
       an der Gesellschaft. Und die Klubs könnten nach Erhalt ihrer TV-Gelder den
       Corona-Solidarfonds noch ein bisschen aufstocken.
       
       10 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/World_Series
   DIR [2] https://www.bundesliga.com/de/bundesliga/news/dfl-mitgliederversammlung-coronavirus-aussetzung-spielbetrieb-lizenzierung-task-force-stadion-zuschauer-10706
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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