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       # taz.de -- Bilanz des Homeschooling in Berlin: „Weinende Schüler am Telefon“
       
       > Homeschooling verstärkt die Benachteiligung, sagt Lehrerin Katrin S. Ihre
       > Bilanz nach vier Wochen: Man verliere die Schüler, die nicht lernen
       > wollen.
       
   IMG Bild: So lernt es sich nicht besser: Schülerin beim Hausunterricht
       
       taz: Frau S., als die Schulen wegen der Corona-Pandemie Mitte März
       schließen mussten, [1][waren Sie skeptisch], ob das Homeschooling
       funktionieren würde. Ihr Befürchtung: Viele Ihrer SchülerInnen hätten zu
       Hause nicht die besten technischen Möglichkeiten und auch nicht viel
       Unterstützung. Wie lief's denn nun? 
       
       Katrin S.: Nur eine Schülerin hat am Computer getippte Aufgaben per Mail
       geschickt. Die meisten haben ihre bearbeiteten Aufgaben mit dem Handy
       abfotografiert und mir als Foto geschickt. Eine Schülerin hat aber eine
       wunderbare Anleitung für eine Zoom-Konferenz für ihre MitschülerInnen
       geschrieben. Wir haben das noch nicht zum Unterrichten genutzt, aber zu
       Ferienbeginn habe ich mich mit meiner Klasse zum Teetrinken auf Zoom
       verabredet. Die Hälfte war da. Das hat mich sehr gefreut.
       
       Wie regelmäßig standen Sie mit Ihrer Klasse in Kontakt, wie konnten Sie die
       SchülerInnen unterstützen? 
       
       Das hat funktioniert. Ich habe am Anfang jeder Woche alle angerufen: Guten
       Morgen, wo steht ihr, was habt ihr gemacht? Daraus sind dann
       Folgetelefonate geworden: Ich habe dann im Bio-Buch diese oder jene Aufgabe
       noch mal erklärt und gesagt, ich rufe dich in einer halben Stunde zurück.
       
       Klingt ziemlich aufwendig, alle abzutelefonieren. Wie lange hält man das
       durch? 
       
       Sollten die Schulen [2][nach den Ferien weiter geschlossen] sein, müssen
       wir uns etwas anderes überlegen, das ist klar. Ich habe zum Beispiel eine
       Förderschülerin, die ihre Strategien hat, wie sie dem Lernen ausweichen,
       kann. Das kann ich im Unterricht auffangen, aber nicht aus der Ferne am
       Telefon. Unsere Schulleitung überlegt, was da möglich wäre: In jedem Fall
       müssten wir den Unterricht dann wieder stärker am Stundenplan ausrichten.
       Derzeit ist es so, dass gerade Fächer wie Kunst und Sport oft komplett
       wegfallen und sich der Unterricht sehr an den Fächern orientiert, die die
       jeweiligen KlassenleiterInnen unterrichten. Das geht natürlich auf Dauer
       nicht.
       
       Hat sich die Schere zwischen den leistungsstarken und den -schwächeren
       SchülerInnen vergrößert? 
       
       Ich habe zwei, drei Schüler, da muss ich viel hinterher telefonieren, sonst
       wäre das für sie eine komplette Überforderung. Ein Schüler hat mir gesagt:
       „Ich habe doch nur einen Neuntklässlerkopf, das ist doch Ihre Aufgabe, mir
       die Aufgaben zu erklären!“
       
       Was erzählen die Schüler von zu Hause, müssen Sie sich jetzt mehr Sorgen
       anhören? 
       
       Die Sorgen sind auch sonst da. Vielen ist einfach total langweilig. Ein
       Schüler hat mir aber auch erzählt, dass er jetzt die Anträge für seinen
       Vater bei der Investitionsbank stellt, der ist Solo-Selbstständiger.
       
       Nach den Ferien beginnen die Abschlussprüfungen. Wie fair können die dieses
       Jahr ausfallen, mit den ungleichen Vorbereitungsbedingungen? 
       
       Als am letzten „Schultag“ vor den Ferien klar war, dass die BBR-Prüfungen
       (Abschluss nach der 9. Klasse, d. Red.) ausfallen, hatte ich reihenweise
       weinende Neuntklässler am Telefon. Viele gucken am Anfang der neunten
       Klasse noch nicht auf den Notenschnitt und haben andere Dinge im Kopf.
       Jetzt haben sie Angst, nicht zu bestehen.
       
       Für das Abitur und den Mittleren Schulabschluss will die Bildungsverwaltung
       an den Prüfungen festhalten, wenn auch unter strengeren
       Hygienevorschriften. 
       
       Unsere Schulleitung überlegt gerade, ob das für uns überhaupt möglich ist.
       Der Einlass für die teils zentral festgelegten pünktlichen Prüfungsbeginne
       müsste gestaffelt zwischen 6 und 7 Uhr beginnen. Und dann ist ja die Frage,
       gibt es Handschuhe, gibt es Desinfektionsmittel?
       
       Der Landeschülerausschuss fordert deshalb eine Absage der Prüfungen,
       stattdessen ein Durchschnittsabitur mit der Möglichkeit, schlechtere Noten
       auszugleichen. 
       
       Das ist verständlich. Für mich ist aber auch wichtig, dass die Jugendlichen
       mit dem Abitur Unis besuchen können, dass man mit dem Berliner Abi auch in
       Bayern studieren kann.
       
       Was passiert mit den Zeugnissen, wenn der Unterricht weiter ausfällt? 
       
       Gute Frage. Ich halte es jedenfalls nicht für realistisch, dass wir
       Prüfungen und Schulbetrieb nebeneinanderher machen. Anfang Juni müssen wir
       eigentlich die Noten eintragen. Dafür müssen wir sechs Wochen unterrichtet
       haben. Die Abschlussprüfungen laufen bis Ende Mai. Das wird also eng. Die
       Frage ist, geht man zu verbalisierten Zeugnissen zurück..
       
       ... in denen Leistungen beschrieben statt benotet werden.. 
       
       ... oder findet man andere Ausgleichsregeln?
       
       Niedersachsen setzt das Sitzenbleiben in diesem Schuljahr aus, die
       Lehrergewerkschaft GEW hat vorgeschlagen, ganz auf Noten zu verzichten. 
       
       Ich bin da zwiegespalten. Viele meiner Jugendlichen sind gerade in so einen
       tollen Arbeitsmodus gekommen. Die sind wirklich fleißig. Ich habe ein
       bisschen Sorge, dass das dann sehr unbefriedigend für sie ist, wenn es
       überhaupt keine Noten gibt.
       
       Katrin S. ist Lehrerin an einer Sekundarschule mit Oberstufe in Neukölln.
       Sie möchte, auch zum Schutz ihrer SchülerInnen, anonym bleiben.
       
       15 Apr 2020
       
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