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       # taz.de -- Wegen Corona rennen alle vor mir weg: Hamstern mal anders
       
       > Wer mich sieht, lässt seine Einkäufe fallen und ergreift die Flucht. Ich
       > sammle alles auf – und komme gar nicht mehr dazu, selbst einzukaufen.
       
   IMG Bild: Mission erfüllt: Ein Hamster nach dem Hamstern
       
       Jeder, der mich auf der Straße sieht, läuft weg, als wäre der Teufel hinter
       ihm her. Auf jeden Fall wechselt er die Straßenseite, als hätte ich die
       Pest oder zumindest das berühmt-berüchtigte Corona-Virus, weshalb das ganze
       Land, ach was, die ganze Welt am Durchdrehen ist.
       
       „Hey, Nedim“, rufe ich von weitem. Aber bevor ich ‚Hey‘ sagen kann, ist er
       schon um die Ecke geflitzt. Er rennt derart rekordverdächtig, ohne nach
       rechts und links zu schauen, dass ihm sämtliche Äpfel und Birnen und
       Mandarinen und massenweise Toilettenpapier aus den riesigen Einkaufstüten
       kullern. Sofort sammele ich alles ein. Meine Frau Eminanim wird sich auf
       das frische Obst und die begehrten Kloartikel in Zeiten von Corona sehr
       freuen.
       
       „Hey, Hümeyranim, Hallooo“, brülle ich, als ich unsere Nachbarin auf der
       gegenüberliegenden Straßenseite erblicke. Hümeyranim ist viel praktischer
       als Nedim. Sie lässt zwei der Einkaufstüten einfach auf dem Boden liegen,
       rennt dann erleichtert weg wie’n Weltmeister. Notgedrungen nehme ich die
       beiden Tüten auch mit. Nennt man das Hamstern?
       
       Es ist schon richtig, dass man in Zeiten von Corona sehr vorsichtig sein
       muss, aber wie die sich benehmen, finde ich schon arg übertrieben. Als ob
       ich sie gegen ihren Willen kräftig umarmen und ihre Gesichter mit meinen
       virenverseuchten Küssen besudeln würde!
       
       ## Angsthasen!
       
       Von mir aus. Es kommt mir total gelegen, dass die türkischen Angsthasen
       sich blitzschnell aus dem Staub machen. So kann mich wenigstens niemand
       anstecken. Die deutschen Angsthasen sind aber auch kein bisschen besser.
       Mein Kumpel Hans, der mit dem Fahrrad unterwegs ist, lässt gleich seinen
       ganzen prallgefüllten Korb auf den Boden plumpsen, als er versucht,
       hektisch über die hohe Bordsteinkante zu flüchten. Vor lauter Sachen
       aufsammeln komme ich gar nicht dazu, selber einzukaufen.
       
       Zu Hause übergebe ich alle meine Eroberungen an meine Frau Eminanim und sie
       überreicht mir dafür lediglich einen Zettel. „Welcher Idiot hat das wohl
       überall hingeklebt?“, schimpft sie. „Ich, Osman, hab die Corona-Pest. Bitte
       kommt zu mir und tröstet“, steht drauf.
       
       „Eminanim, du hast recht. Wer hat wohl diese unverschämte Lüge verbreitet –
       und warum?“, schimpfe ich zurück. Ich weiß nicht, vielleicht war ich es ja
       selber. Aber ich wollte doch nicht, dass alle meine Bekannten auf der
       Stelle ihre Einkäufe für mich auf die Straße werfen. Ich wollte nur dem
       vorbeugen, dass sie mich andauernd gegen meinen Willen umarmen und mein
       Gesicht mit ihren virenverseuchten Küssen besudeln.
       
       16 Apr 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Osman Engin
       
       ## TAGS
       
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