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       # taz.de -- Projekte der sexpositiven Szene: Hilfreiches Pornogucken
       
       > In Zeiten der Kontaktsperre verlegen auch sexpositive Theatermacher:innen
       > und Sexshop-Betreiber:innen ihre Workshops und Performances ins Internet.
       
   IMG Bild: Feministische Bilder für das eigene Begehren: Die Performance „Oh My“ vom Kollektiv Henrike Iglesias
       
       Hamburg taz | Sex kann eine soziale Sache sein, muss er aber nicht. Zum
       Glück, denn soziale Sachen sind dieser Tage eher schwierig. Außer sie haben
       mit dem Internet zu tun: [1][Das feministische Sexshop-Kollektiv „Fuck
       Yeah“] aus Hamburg etwa verkauft seine Dildos, Analplugs oder Harnesse
       normalerweise im Hamburger Gängeviertel – und jetzt eben nur online.
       Beraten werden Kund:innen etwa [2][über Instagram].
       
       Fuck Yeah veranstaltet auch Workshops: von Einführungen zu Sextoys über
       „Dildos gegen das Patriarchat“ bis hin zu ganzen Gesprächswochenenden. Aus
       „Fuck Yeah!“ ist erst mal „stay the fuck at home“ geworden. „Wir überlegen
       jetzt, wie wir die Workshops auch digital anbieten können“, sagt Zarah
       Henschen vom Kollektiv. Vertreten ist das Kollektiv auch auf den anderen
       großen Social-media-Plattformen [3][Facebook] und [4][Twitter].
       
       [5][Über Sex reden]: Das wollte man dieses Frühjahr auch in der [6][Bremer
       Schwankhalle]. Körper, Alter, Essen, Porno: Um all das geht es – sollte es
       gehen – im Schwerpunkt „Unverschämt“, der immerhin zur Hälfte stattfinden
       konnte, bevor das Coronavirus die Kulturbranche zumindest live völlig
       ausgeknockt hat. „Abgeknickt“: So nennt Janna Schmidt von der Schwankhalle,
       was mit der Spielzeit passiert ist.
       
       Auch Pornos sollten da vom Netz auf die Bühne geholt werden, Sex sollte
       thematisiert werden und mit anderen diskutiert. Stattdessen: Abbruch und
       viel Ratlosigkeit. „Unverschämt“ sind jetzt also nicht die Frauen*, die
       sich Macht über ihren Körper zurückholen. Unverschämt ist ein Virus, das,
       na ja, eben diese Macht beansprucht. Um dieser unvorhergesehenen Lage zu
       trotzen, braucht es jetzt quasi eine Rolle rückwärts: Von der
       Zwischenmenschlichkeit zurück in die Digitalität. „Das kann bei Porno doch
       nicht so schwierig sein“, werden jetzt einige sagen. Ist es aber eben doch.
       
       ## Austausch über persönliche Erfahrungen
       
       Sex ist politisch, Porno ist politisch. Ums Politische soll es aber nicht
       gehen in den Gesprächsreihen des Projekts „letstalk“, Teil des havarierten
       „Unverschämt“-Programmschwerpunkts der Schwankhalle. In kleinen Gruppen
       sollen sich stattdessen Teilnehmer:innen über persönliche Erfahrungen
       austauschen. Wichtig dabei: Niemand muss über Dinge reden, die unangenehm
       sind. Stattdessen ist es explizit erwünscht, „Impulsen“ zu folgen – also
       auch rauszugehen, wenn das gerade nötig ist. Teil eins, über „Sex und
       Arbeit“, kam noch zustande, „Sex und Porno“ sowie „Sex und Alter“ fallen
       erst mal flach.
       
       Und nun? Den Initiatorinnen Klara Landwehr und Frauke Schussmann ist ein
       Austausch über Sex auch außerhalb des Theaters wichtig: „Für viele ist es
       erleichternd, über Sexualität zu sprechen“, sagt Landwehr. „Deswegen haben
       wir die Veranstaltung überhaupt erst gegründet.“ Per Mail
       ([7][letstalk@posteo.de]) lassen sich die Fragen, die sonst in den Gruppen
       diskutiert werden, jetzt auch nach Hause bestellen. Warum also nicht
       einfach mal in der WG sprechen – über Sexualität und die eigenen
       Pornovorlieben? Das auch mal außerhalb der Beziehung oder enger
       Freundschaften zu tun, hat System: „Für manche ist es gerade dann
       erleichternd“, sagt Landwehr, „wenn sie mit Fremden darüber sprechen.“
       
       Mit Fremdheit spielt auch das [8][Theaterkollektiv Henrike Iglesias] aus
       Berlin in [9][„Oh My“, einem theatralen Live-Porno], der neben der
       Performance „Fressen“ Teil von „Unverschämt“ hätte sein sollen: Dabei sind
       die Zuschauer:*innen durch Kopfhörer zumindest räumlich voneinander
       getrennt. Auf der Bühne experimentieren die Performer:innen währenddessen
       mit Pornografie als Empowerment-Strategie und machen sich selbst daran,
       erotische Bilder zu produzieren.
       
       Nicht nur Nacktheit spielt dabei eine Rolle, auch ästhetische Abstraktion.
       Den Bildern aus der Mainstream-Produktion soll gezielt etwas
       entgegengesetzt werden. „Die Pornolandschaft muss diverser werden“, sagt
       Marielle Schavan von Henrike Iglesias. „Wir sind auf einem guten Weg dahin,
       aber gerade der Mainstream-Bereich ist immer noch viel von Sexismen und
       Rassismen geprägt.“
       
       Um Tabus zu brechen, hilft Reden. Geht es um das Tabuthema Sexualität,
       hilft neben Reden auch gemeinsames Pornogucken – um überhaupt etwas zum
       Reden zu haben. Porno ist aber natürlich nicht gleich Porno. Und
       feministische Pornos sind keine winzige Nische mehr.
       
       Lexi Venus vom Team des Berliner „[10][PorYes Awards“] hatte die drei Filme
       für das Feminist Porn Watching in der Schwankhalle schon rausgesucht. „Ich
       wähle die Filme so aus, dass sie zum Reden bringen, egal ob die Leute am
       Ende begeistert, erregt oder irritiert sind.“ Bei feministischen Pornos ist
       das Wie wichtig, es geht um die Produktionsbedingungen vor und hinter der
       Kamera, um diverse Körper und diverse Sexualität abseits von Gendernormen.
       „Wir wollen Lust sehen, safer Sex, Kommunikation“, sagt Lexi Venus – „und
       vor allem wollen wir Konsens sehen.“ Ob totaler Trash oder hoch
       künstlerisch, die Form sei da nicht die Frage.
       
       ## Zeit für Onanie
       
       Nachdem es in Deutschland lange ein Zugangsproblem zu feministischen Pornos
       gab, gibt es etwa mit [11][Pink Label TV] mittlerweile auch
       Streaming-Plattformen. „Die hätte ich den Leuten jetzt sowieso empfohlen“,
       sagt Lexi Venus. „Jetzt können sie eben die Praxis vor der Theorie machen.“
       Onanie sei gerade jetzt in der physischen Isolation besonders wichtig.
       „Feministische Pornos können da eine tolle Inspiration sein.“
       
       Pornos gucken und über Sex reden: Das passiert in der Bremer Schwankhalle
       in nächster Zeit also nicht. Auch wenn es richtiger Ersatz ist: Beides
       lässt sich auch zu Hause machen. „Oh My“ stößt bei einer möglichen
       Onlineversion aber an Widersprüche: „Unsere Performance lebt von der
       leiblichen Ko-Präsenz von Zuschauer:innen und Performer:innen“, sagt
       Marielle Schavan, „und davon, dass sie ein Medium, das sonst kaum live
       konsumiert wird, auf diese Weise konsumierbar und zugänglich macht.“
       
       Wie geht es weiter? „Wenn das noch länger geht, werden wir uns darüber aber
       Gedanken machen.“ Das hänge aber auch davon ab, ob für etwaige
       Uminszenierungen finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Schavan macht
       sich darüber hinaus aber Sorgen um die sexpositive Szene insgesamt: „Wir
       waren da zumindest in Berlin an einem guten Punkt.“ Die Szene lebe
       allerdings auch von der Live-Begegnung und davon, Berührungsängste und
       Schamgefühle abzubauen. „Ich habe Angst, dass die Rhetorik um das
       Coronavirus diese Fortschritte wieder einfriert“, sagt die Performerin,
       „und uns auch nach der Ausnahmesituation noch lange begleiten wird.“
       
       17 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Sexshopkollektiv-ueber-Sexshop-Gruendung/!5522575
   DIR [2] https://www.instagram.com/FuckYeah_Sexshop/
   DIR [3] http://www.facebook.com/fxckyeahhamburg
   DIR [4] https://twitter.com/FuckYeahSexshop
   DIR [5] https://youtu.be/tPUchVgTxm8
   DIR [6] https://schwankhalle.de/
   DIR [7] /letstalk@posteo.de
   DIR [8] https://henrikeiglesias.com/about-henrike/
   DIR [9] https://vimeo.com/297928901
   DIR [10] /!s=PorYes/
   DIR [11] http://PinkLabel.tv
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Teresa Wolny
       
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