URI: 
       # taz.de -- Indigene in Kolumbien: Angst vor der Doppelkatastrophe
       
       > Die Indigenen in Kolumbien kämpfen nicht nur gegen das Corona-Virus. Seit
       > fast zwei Wochen brennt die nahe gelegene Sierra. Hilfe bleibt aus.
       
   IMG Bild: Sierra Nevada de Santa Marta im März 2019: Hier brennt es jetzt wieder
       
       Bogotá taz | Im höchsten Küstengebirge der Welt kämpfen sie derzeit nicht
       nur gegen das Coronavirus, sondern gegen den Verlust ihrer Lebensgrundlage:
       Denn Feuer kommen den Dörfern und den Anbauflächen der Indigenen an der
       kolumbianischen Küste immer näher. Vier indigene Ethnien leben dort in
       selbstverwalteten Reservaten: die Kankuamo, die Wiwa, die Kogui und die
       Arhuaco.
       
       Feuerwehr, Armee und Zivilverteidigung kämpfen gegen die Flammen – ohne
       Wasser, sondern mit Erde und Spaten. Die Indigenen säubern mit Macheten das
       Unterholz und heben Gräben aus, um die Brände zu bremsen, berichtet Ana
       Ilba Torres Torres der taz. Die Anwältin ist Anführerin in ihrer
       Gemeinschaft und organisiert von Bogotá aus humanitäre Hilfe für das
       Gebiet.
       
       Doch wie derzeit fast überall nimmt auch in Kolumbien die
       Coronavirus-Pandemie alle Aufmerksamkeit in Anspruch. Eine Woche dauerte es
       laut Medienberichten, bis aus der Hauptstadt Bogotá zwei Löschflugzeuge
       eintrafen.
       
       Zwei Wochen nach Beginn der Brände sind diese immer noch außer Kontrolle.
       Die Feuer sind im Gebirge schwer zugänglich, der starke Wind befeuert sie.
       Die trockenen Bäume und das Laub brennen wie Zunder.
       
       ## Jetzt auch noch Waldbrände
       
       Wiwa-Familien mussten bereits vor Rauch und Feuer fliehen, berichtet der
       Arhuaco-Anführer und internationale Aktivist Asdrubal Torres Torres. Es
       seien schätzungsweise 1000 Hektar Wald abgebrannt. Die Feuerwehr vermutet,
       dass Bauern die Feuer gelegt haben, um Land für Ackerbau vorzubereiten –
       was verboten ist.
       
       Vor gut einem Jahr brannte die Sierra Nevada schon einmal. Die Feuer
       zerstörten die traditionellen Häuser mit Grasdächern von mindestens 200
       indigenen Familien und über 1.000 Hektar Wald. Ein unwiederbringlicher
       Verlust, da damit die Arbeit von Jahrzehnten und ein Teil des kollektiven
       spirituellen Erbes verloren ging.
       
       Die indigenen Völker der Sierra Nevada sind bedroht. Sie müssen ihren
       Lebensraum gegen die Begehrlichkeiten von Behörden und Bergbaukonzernen
       verteidigen. Ihr größter Gegner, das betonen sie auch jetzt, ist aber die
       Erderwärmung. Die Dürreperioden werden immer drastischer, manche
       Nutzpflanzen können sie schon nicht mehr anbauen.
       
       Die Sierra Nevada de Santa Marta ist ein einzigartiger Ort. Sie beherbergt
       nicht nur mit der Ciudad Perdida eine der wichtigsten präkolumbianischen
       archäologischen Stätten des Kontinents, vergleichbar mit der Inkastadt
       Machu Picchu in Peru. Die Berge sind auch ein Hotspot der Biodiversität –
       mit vielen endemischen Tier- und Pflanzenarten auf relativ kleiner Fläche.
       
       ## Hohe Artenvielfalt
       
       Etwa 50 Vogelarten und Unterarten leben nur hier. Bei etwa einem Dutzend
       Vogelarten kommt sie im deutschen Namen vor – vom Santa-Marta-Kolibri über
       den Santa-Marta-Zaunkönig bis hin zu einer dort erst kürzlich neu
       entdeckten Eulenart.
       
       Wegen dieser Vielfalt kommen Vogelfreund*innen aus aller Welt in die Sierra
       Nevada. Dort befindet sich mit 5.800 Metern auch der höchste Berg
       Kolumbiens – und mit die letzten schneebedeckten Gipfel. Die Indigenen
       tragen deshalb traditionell weiße Gewänder, manche spitze Hüte als Symbol
       der Gipfel.
       
       Doch die Gletscher sind rasant geschrumpft. Die Feuer bedrohen sie
       zusätzlich. Im unteren Bereich der Sierra haben sie mindestens 200 Hektar
       tropischen Trockenwald zerstört. Er gilt als grüne Lunge der
       Regionshauptstadt Santa Marta.
       
       Die Brände sind bereits bis auf acht Kilometer an das Bergdörfchen Minca
       herangerückt, das bei Rucksacktourist*innen beliebt ist als Ausgangspunkt
       für Wanderungen und Vogelbeobachtung. Während das Wasser in der Bucht von
       Santa Marta wegen der Corona-Quarantänemaßnahmen so klar und sauber ist wie
       schon lange nicht mehr, leiden die Menschen in den Bergen unter Rauch.
       
       Etwa 30.000 Indigene leben in der Sierra Nevada de Santa Marta. Wie alle
       indigenen Völker Lateinamerikas sind sie Infektionen besonders schutzlos
       ausgeliefert. Es gibt dort weder Krankenhäuser noch ausreichend Ärzt*innen.
       Viele Mitglieder sind alt.
       
       Wegen der Pandemie haben sich die Indigenen in ihre Dörfer in Quarantäne
       begeben und ihre Territorien abgeriegelt. Der Gouverneur hat auf ihre
       Bitten die Nationalparks Tayrona und Sierra Nevada geschlossen und den
       Gesundheits-Notstand ausgerufen. Das soll vermeiden, dass ausländische
       Tourist*innen das Coronavirus in die indigenen Territorien tragen.
       
       Die meisten Gemeinschaften leben von dem, was sie anbauen oder in den
       Bergen finden. Wegen der Quarantäne ist damit Schluss. Die Indigenen rufen
       deshalb um humanitäre Hilfe – und hoffen, dass ihre Äcker nicht abbrennen.
       
       Von den rund 115 indigenen Gruppen Kolumbiens hat bisher nur das
       Nomadenvolk der Yukpa zwei bestätigte Infektions-Fälle. Die Nationale
       Indigenen-Organisation ONIC warnt besonders die Gemeinschaften an der
       Grenze zu Ecuador vor Ansteckung – im Nachbarland war die Zahl der
       Infektionen zuletzt rapide angestiegen.
       
       2 Apr 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Wojczenko
       
       ## TAGS
       
   DIR Reiseland Kolumbien
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Indigene Kultur
   DIR Indigene
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Kolumbien
   DIR China
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Corona-Krise in Lateinamerika: Die Friedhöfe sind voll
       
       In Guayaquil in Ecuador weiß keiner genau, wie viele Menschen schon an der
       Virusinfektion gestorben sind. Und alle fragen sich: Wohin mit den Leichen?
       
   DIR Morde in Kolumbien: Die tödliche Kraft des Virus
       
       Die Anzahl von Anschlägen steigt in Kolumbien in Corona-Zeiten noch stärker
       an. Die Opfer sind schutzlos und in der Quarantäne ein leichtes Ziel.
       
   DIR Corona in Lateinamerika: Die soziale Zeitbombe
       
       Bis zu zwei Drittel der Bevölkerung in Lateinamerika lebt von der Hand in
       den Mund. Die Corona-Quarantäne wird für viele zur Überlebensfrage.
       
   DIR Corona und Naturschutz: Animal Distancing
       
       Bundesumweltministerin Schulze mahnt, aus der Pandemie zu lernen.
       Naturschutz brauche mehr Gewicht, weil viele Erreger aus der Wildnis
       kommen.
       
   DIR ELN-Rebellen in Kolumbien: Corona schafft Waffenstillstand
       
       Die verbliebene Guerilla ELN verkündet wegen Corona einen Waffenstillstand.
       Besonders gefährdet durch die Pandemie sind Vertriebene.
       
   DIR Corona-Pandemie in China: Noch weit von Normalität entfernt
       
       In China scheint der Höhepunkt der Corona-Pandemie vorerst überwunden. Den
       Alltag beeinträchtigt sie allerdings weiter massiv.
       
   DIR Weltweite Folgen der Corona-Krise: Einmal ums Eck bitte
       
       Die Corona-Pandemie verändert weltweit das Leben. Wir haben Korrespondenten
       gebeten, um ihren Häuserblock zu gehen und ihre Eindrücke zu schildern.
       
   DIR Hitze und Brände in Australien: Erst die Klimakrise, dann die Feuer
       
       Zufall oder der Klimawandel? Ein Forschungsteam hat die australische
       Wetterlage während der verheerenden Waldbrände untersucht – mit klarem
       Ergebnis.