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       # taz.de -- Fußball in Madagaskar: Jenseits vom Afrikacup
       
       > Die Nationalelf des Inselstaates ist stark, doch die Vereine schwach.
       > Eine Profiliga soll in Madagaskar helfen, aber auch hier schlug Corona
       > zu.
       
   IMG Bild: Fans, Platz, Tore, Spieler. Alles da in Nandihizana
       
       Antananarivo taz | Es ist Sonntagvormittag. Ein schöner Tag deutet sich an.
       Keine Niederschläge, aber dafür Höchsttemperaturen um die 25 Grad sind
       vorhergesagt. 40 Kilometer außerhalb von Antananarivo, der Hauptstadt
       Madagaskars, liegt das kleine Örtchen Nandihizana. Die meisten Menschen
       hier leben von der Landwirtschaft. Der Kunstrasenplatz, der mit
       Fifa-Mitteln in den Ort gesetzt wurde, wirkt wie ein Fremdkörper. An diesem
       Tag spielen hier sechs Mannschaften ihre Partien im madagassischen
       Pokalwettbewerb. Im Zweistundentakt gehen die Spiele über die Bühne.
       
       Die Stimmung ist entspannt. Ein improvisierter Getränkestand bietet warme
       Cola an, und auch das Bier ist warm. Die 50 bis 100 Anwesenden, meist wohl
       Verwandte oder Freunde der Spieler, interessieren sich für das Geschehen
       auf dem Rasen. Und für nichts sonst. Keinen Blick auf die Bergkulisse,
       nicht auf den Getränkestand. Fangruppen der vorrangig aus der Hauptstadt
       kommenden Teams sind nicht auszumachen.
       
       Die Schiedsrichter haben wenig zu tun, die Torhüter ebenso. Mal fliegt ein
       Ball meterhoch über das Tor oder daran vorbei. In seltenen Fällen landet er
       doch mal im Tor. Dann setzt höfliches Klatschen ein, und weiter geht es.
       Kommt man aus der beengten und hektischen Hauptstadt, wirkt hier alles
       entschleunigt und unfassbar ruhig. Dabei sind es doch die kleinen Plätze
       und Stadien wie dieses, von denen die Jubelschreie ausgegangen sind, die
       dann angeschwollen, bis sie in Europa zu vernehmen waren.
       
       Im Jahr 2019 hatte die Nationalmannschaft Madagaskars gegen jede
       Wahrscheinlichkeit das [1][Viertelfinale des Africa Cups] erreicht. Das
       Team ohne Stars, trainiert von einem französischen Teilzeitcoach namens
       Nicolas Dupuis, den auch in Frankreich nur die wenigsten Experten kannten,
       konnte in der Vorrunde Schwergewicht Nigeria schlagen. Fans, die es sich
       leisten wollten, konnten für 600 Euro in einem von Staatspräsident Andry
       Rajoelina gecharterten Airbus zum Achtel- und Viertelfinale nach Ägypten
       fliegen. Im Viertelfinale dann, nach einem 0:3 gegen Tunesien, war die
       Reise des Teams, das eine wahre Euphorie ausgelöst hatte, zu Ende.
       
       Was ist geblieben von dieser Euphorie, zehn Monate nach dem größten Erfolg
       der „Barea“, wie die Natioanelf nach den wilden Zebus, Buckelrindern,
       benant ist? Ein einheitliches Bild lässt sich kaum zeichnen.
       Nationalmannschaft und Vereine, Verband und Liga entwickeln sich in
       unterschiedlichem Tempo. Eine Profiliga gab es im vergangenen Jahr noch
       nicht. Kein Wunder, dass noch heute 21 von 23 Nationalspielern nicht in
       Madagaskar spielen. Die meisten sind Profis, kicken in Spieklassen
       unterhalb der französischen Ligue 1, in arabischen Ländern oder in anderen
       Regionen.
       
       ## Gegenentwurf zu den alten Männern in Afrikas Fußball
       
       Die damit verbundenen Reisestrapazen zu den Spielen auf dem afrikanischen
       Kontinent haben Auswirkungen auf die Leistung der Fußballer. Für die
       [2][Fédération Malagasy de Football] sind aber die Kosten die deutlich
       größere Herausforderung. Wenn es nach Mirado Rakotoharimalala, dem Leiter
       des Generalsekretariats der neu geschaffenen Orange Pro League, geht, soll
       sich dieser Zustand schon bald ändern. Der eloquente Mittdreißiger möchte
       den Ligabetrieb auf ein professionelles Niveau bringen.
       
       Er hat in London Sports Management studiert, ist ein profunder Kenner des
       einheimischen und afrikanischen Fußballs und wirkt wie ein Gegenentwurf zu
       den vielen alten Männern im afrikanischen Fußballgeschäft. Das Projekt
       Profiliga möchte er wie ein Start-up behandelt wissen.
       
       Zur Zeit ist er aber so gut wie handlungsunfähig. Alle regionalen und
       internationalen Flüge auf der viertgrößten Insel der Welt sind am 20. März
       eingestellt worden, als die ersten mit dem Coronavirus Infizierten gemeldet
       wurden. Auch hier ruht der Ligabetrieb im Fußball mittlerweile. Die
       nächsten Länderspiele gegen die Elfenbeinküste und Äthiopien in der
       Qualifikation zum Afrika-Cup wurden ebenfalls verschoben. Noch führt nach
       zwei Spieltagen Madagaskar die Tabelle mit sechs Punkten an und hat gute
       Chancen, im Januar 2021 in Kamerun dabei zu sein.
       
       Bis dahin sollte die von einem Telekommunikationsriesen gesponserte Pro
       League längst wieder laufen. Sie ist auch deshalb gegründet worden, weil
       Organisation und Vermarktung des Ligabetriebs durch den nationalen
       Fußballverband unterdurchschnittlich waren. Während für viele aktive
       Fußballfans und Ultras in Europa das „TV-Diktat“ als Teil des Problems
       „moderner Fußball“ gegeißelt wird, trägt das Fernsehen auf Madagaskar
       maßgeblich dazu bei, den einheimischen Fußball in einen zumindest
       semiprofessionellen Bereich zu hieven. Zum ersten Mal überhaupt wurden in
       dieser Saison regelmäßig Spiele übertragen. Die Facebookseite Sport261 darf
       Erstligaspiele streamen, und ein nationaler Fernsehsender überträgt
       sonntags ein ausgewähltes Match. Direkt verdienen kann die Liga damit
       nichts. Sie zahlt dem übertragenden Sender einen fixen Betrag.
       
       ## Das volle Rabemananjara-Stadion
       
       Wie weit der Weg zur Professionalisierung noch ist, zeigt ein Blick auf die
       Kader. Ungefähr 50 Aktive der zwölf Teams sind Vollpofis. Die anderen
       arbeiten nebenher oder sind Vertragssportler beim Militär, der
       Stadtverwaltung von Antananarivo oder der Sozialversicherung. Diese
       Organisationen stellen vier Mannschaften im Ligabetrieb. Die der
       Stadtverwaltung heißt USCA Foot und spielt in der 2. Liga. Trainer Andry
       Hildecoeur Henintsoanarivo berichtet von spezifisch madagassischen
       Problemen.
       
       Die Insel ist anderthalbmal so groß wie Deutschland und verfügt nur über
       ein rudimentär ausgebautes Straßennetz. Aus Kostengründen bieten jedoch
       Inlandsflüge selbst für die großen Teams keine Alternative zu
       Überlandfahrten. So dauert die Anreise zu so manchem Spiel 14 Stunden,
       manchmal sogar 24 Stunden. Die erschöpften Spieler treffen dann auf die
       ausgeruhten Gegner. Auch die klimatischen Unterschiede zwischen
       Küstenregionen und der im Hochland gelegenen Hauptstadt spielen eine Rolle.
       
       Es gibt noch mehr Probleme: Henintsoanarivo sagt, dass es vielen seiner
       Trainerkollegen*innen an moderner Spielanalyse und
       Trainingsgestaltung mangelt. Er selbst nimmt im nächsten Jahr an einer von
       der niederländischen Botschaft unterstützten fünfmonatigen Weiterbildung
       teil. In Leipzig treffen sich dann Trainer*innen aus ganz Afrika.
       Henintsoanarivo hofft, dass in fünf bis zehn Jahren die lokalen
       Trainer*innen den Rückstand zu den internationalen Kollegen*innen
       aufgeholt haben.
       
       Klaus Heimer, Kenner der Insel und Verfasser diverser Reisebücher über
       Madagaskar, sieht die Probleme aber noch an ganz anderer Stelle und spricht
       aus, was sonst oft nur als blauer Elefant auftaucht: Misswirtschaft,
       Veruntreuung und Kungelei. Der aktuelle Präsident des afrikanischen
       Fußballverbands (CAF), [3][Ahmad Ahmad], dürfte wissen, was damit gemeint
       ist. Als einstiger Chef des madagassischen Fußballverbandes und früherer
       Sportminister wurde er 2019 von französischen Behörden zu
       Korruptionsvorwürfen befragt. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Nicht
       nur an dieser Stelle bleibt ein Nachgeschmack bezüglich des
       Sportfunktionärs, dem zusätzlich Fälle sexueller Belästigung vorgeworfen
       werden. Auch mithilfe von Fifa-Chef Gianni Infantino konnte sich der
       madagassische CAF-Präsident im Amt halten.
       
       Doch es gibt auch die positiven Geschichten. Als ein wahres Vorbild im
       einheimischen Fußball gehen gewiss die Fosa Juniors aus Mahajanga an der
       Nordwestküste der Insel durch. Während andere Mannschaften vor ein paar
       Familienmitgliedern oder gerade mal hundert Fans spielen, ist es hier, im
       8.000 Menschen fassenden Stade Rabemananjara, immer voll. Die Fans sind
       frenetisch und loyal, wie der niederländische Manager Arno Steenkist
       bestätigt. Zudem reisen dem Meister von 2019 bis zu 200 Fans zu
       Auswärtsspielen hinterher.
       
       Auch wenn also gewiss nicht alles schlecht ist im madagassischen Fußball,
       gibt es noch viele Baustellen – auch solche, an denen gerade gewerkelt
       werden sollte. Das hauptstädtische Mahamasina-Stadion soll auf 45.000
       Zuschauerplätze ausgebaut und generalüberholt werden. Ein chinesischer
       Konzern wurde mit dem Bau beauftragt, doch die Bauarbeiten stockten früh.
       Lokale Bauarbeiter machten darauf aufmerksam, dass versäumt wurde, die
       rítuelle Schlachtung eines Zebus vorzunehmen. Nachdem die Prozedur
       nachgeholt worden war, stellte sich ein neues Problem ein: Die Arbeiten
       konnten nicht fortgesetzt werden, da chinesische Bauarbeiter aufgrund der
       Coronapandemie nicht einreisen durften beziehungsweise zunächst in
       Quarantäne mussten.
       
       5 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.dw.com/de/madagaskar-die-sensation-beim-afrika-cup/a-49428554
   DIR [2] https://www.fmf.mg/
   DIR [3] https://www.deutschlandfunk.de/paris-polizei-verhoert-fifa-vizepraesident-ahmad.890.de.html?dram%3Aarticle_id=450797
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rico Noack
       
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