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       # taz.de -- Norddeutsche Regionalkrimis als Stream: Gepflegte Morde
       
       > Im Netz sind mit „Friesland“, „Nord bei Nordwest“ und „Deichbullen“ drei
       > sehr unterschiedliche Regionalkrimiserien als Streaming-Angebote zu
       > sehen.
       
   IMG Bild: Unerwarteter Erfolg: Die „Deichbullen“ starteten als Low-Budget-Projekt und laufen nun bei Netflix
       
       Bremen taz | Finden zwei ostfriesische Polizisten beim Klootschießen eine
       Moorleiche und klären dann den Mord an ihr auf. Nein, das ist kein Witz,
       sondern der Plot einer Folge der Regionalkrimiserie „Friesland“. Man kann
       sich gut die Liste mit Stichworten vorstellen, an der sich die
       Drehbuchautoren für die möglichst urig-norddeutschen Themen der 90 Minuten
       langen Episoden abarbeiten: „Krabbenfischer“, „Strandfeuer“, „Güllebecken“
       und „Ruderrennen“ wurden in den bisher zehn Folgen schon abgehakt. Der
       „Grünkohlmörder“ dürfte wohl auch bald kommen.
       
       Regionalkrimis stillen ein ähnliches Verlangen des Publikums nach der
       Idylle wie die Heimatfilme in den 1950er-Jahren. Klischees stören da nicht,
       sondern sind im Gegenteil unbedingt nötig. Realismus sollte dagegen
       möglichst vermieden werden. Die Morde sind gepflegt und mit der Aufklärung
       im letzten Akt ist die Welt wieder in Ordnung. Aber sie haben das gemütlich
       Altbekannte ja auch kaum angekratzt.
       
       [1][„Friesland“] ist ein Musterbeispiel für diese Art von trostreicher
       Fernsehunterhaltung. Die seit 2014 vom ZDF ausgestrahlte Serie ist ein
       Ableger der im Münsterland spielenden Krimireihe „Wilsberg“, von demselben
       Team aus den Autoren Arne Nolting und Jan Martin Scharf sowie Regisseur
       Dominic Müller. Wie schon dort ist Situationskomik wichtiger als eine
       spannende Kriminalgeschichte: In der neuesten Folge „Aus dem Ruder“, die
       Ende Februar über den Sender ging, wird etwa minutenlang gezeigt, wie eine
       Ermittlerin sich selber in einem Spind einschließt und trotz lauten Rufens
       lange nicht befreit wird.
       
       „Friesland“ spielt im ostfriesischen Leer und wird in der dortigen
       Altstadt, auf Norderney und am Hafen von Ditzum gedreht. Die Fälle löst ein
       uniformiertes Polizistenpaar: Sophie Dahl spielt die Streifenbeamtin Süher
       Özlügül, Florian Lukas den Polizisten Jens Jensen. In der zweiten Staffel
       wurde er durch Maxim Mehmet als Henk Cassens ersetzt. Süher Özlügül ist die
       Tochter des türkischstämmigen Hafenmeisters von Leer, der schon mal ein
       paar kleine Knirpse in einen Verschlag sperrt, weil sie ins Hafenbecken
       gepinkelt haben.
       
       ## TV-Unterhaltung in Schmunzellaune
       
       Für komische Verwicklungen sorgen auch die Apothekerin Insa Scherzinger
       (Theresa Underberg), die unbedingt alle Mordopfer untersuchen will, weil
       sie glaubt, sie wäre eine Rechtsmedizinerin, ein Bestatter (Matthias
       Matschke und in der zweiten Staffel Holger Stockhaus), der ständig auf der
       Suche nach Kundschaft ist und Hauptkommissar Jan Brockhaus (Felix Vörtler),
       der auf der Wache ein strenges Regiment führt und davon träumt, wieder
       zurück in die Großstadt Wilhelmshaven versetzt zu werden. Unter diesem
       Stammpersonal köchelt die Handlung im Stil einer Sitcom meist vor sich hin,
       so dass die Morde wie Nebensachen wirken und dann auch eher beiläufig
       gelöst werden.
       
       Die für die ARD an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste gedrehte
       Krimireihe [2][„Nord bei Nordwest“] ist ambitionierter inszeniert und
       besser geschrieben. Aber es gibt Parallelen zwischen beiden Serien: Auch
       hier gibt es Bestatter (Stefan A. Tölle und Regine Hentschel als Parodien
       auf Laurel und Hardy) die bei jedem Mordfall ein Geschäft wittern und mit
       Cem-Ali Gültekin einen komischen Türken, der als Running Gag in jeder
       Episode eine neue Geschäftsidee ausprobiert. Die Handlung spielt im
       fiktiven Ostseestädtchen Schwanitz, gedreht wurde auf dem Priwall, in
       Travemünde, Orth, und Petersdorf auf Fehmarn.
       
       Diesmal wurde der erfahrene Polizist aus der Großstadt – Prinzip: fish out
       of the water – einmal nicht, wie in Regionalkrimis üblich, in die Provinz
       strafversetzt, sondern der Hamburger Ex-Ermittler Hauke Jacobs (Hinnerk
       Schönemann) ist ein traumatisierter Aussteiger, der sich in Schwanitz als
       Tierarzt niederlässt. Mit der Dorfpolizistin Lona Voght (Henny Reents) und
       der Tierarzthelferin Jule Christiansen (Marleen Lohse) hat er zwei
       rothaarige, alleinstehende Gehilfinnen, die ständig für romantische
       Spannung sorgen. Hier werden Kriminalfälle ernst genommen, das Niveau der
       Drehbücher entspricht dem von besseren Tatort-Folgen und die Komik wird als
       Stilmittel eingesetzt, nicht als Hauptattraktion.
       
       Seit der ersten Folge 2014 hat es zudem eine Entwicklung gegeben: Die
       Episoden wurden immer düsterer und statt wie am Anfang eher putzig zu
       inszenieren, trauten sich RegisseurInnen wie Felix Herzogenrath, Nina
       Wolfrum und Markus Imboden immer mehr, komplexe und tragische Geschichten
       zu erzählen. Statt sich auf dem Erfolg der Serie auszuruhen, versuchten sie
       deren Möglichkeiten und Grenzen auszuloten. Sie arbeiteten dabei etwa mit
       Elementen des Actionkinos und des psychologischen Thrillers. Das schlechte
       Deutsch des Titels (warum nicht „Mord bei Nordwest“?) erklärt sich übrigens
       dadurch, dass hier der Titel des Hitchcock-Klassikers „North by Northwest“
       wörtlich übersetzt wurde.
       
       Die Serie [3][„Deichbullen“] wurde dagegen originär für das Netz gemacht.
       Der Kieler Filmemacher Michael Söth drehte 2015 zehn Fünf-Minuten-Episoden,
       die er bei Youtube einstellte. Für sein Projekt über zwei Hamburger
       Polizisten, die in das nordfriesische Kollmar strafversetzt (!) werden,
       bekam er keine Förderung.
       
       Also drehte er so billig wie möglich mit der Hilfe von Freunden und
       Bekannten, zu denen auch der Schauspieler Ben Becker gehört. Der brummelt
       nicht nur für das Intro einen hochironischen Text („Schleswig Holstein,
       Perle der Natur …“), sondern tritt auch in einer Episode als mörderischer
       Kiezschläger „Perle“ auf. Die Web-Episoden waren so erfolgreich, dass sich
       die Produktionsfirma Studio Hamburg des Projekts annahm. So konnte Söth
       vier neue, etwa 20 Minuten lange Episoden drehen, die Netflix angekauft
       hat.
       
       Die beiden Protagonisten der Serie, René Chambalu und Reverend Christian
       Dabeler, sind eher Selbstdarsteller als Schauspieler, und so lässt Söth sie
       meist einfach nur reden, wenn sie etwa in der Dorfkneipe ihr „Hamburger
       Gedeck“ (Bier und Korn) zu sich nehmen.
       
       Es gibt zwar schlimme Verbrechen in Kollmar: Ganze Busladungen von
       Touristen verschwinden, und nachts werden von Fischerbooten blutige
       Körperteile ins Meer geschüttet, aber die Deichbullen kriegen von all dem
       nichts mit und konfiszieren höchstens mal Kinderspielzeug, das in
       Hofeinfahrten herumliegt. Es gab kein Geld für Ausstattung, und drehte Söth
       in den Wohnungen der KollmarerInnen, die dann gleich mitspielen durften. So
       hat „Deichbullen“ nicht die polierte Postkartenoptik, die
       Fernsehproduktionen so steril wirken lassen. Und das macht ihn zu einem
       Heimatfilm im guten Sinn des Wortes.
       
       18 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.zdf.de/serien/friesland
   DIR [2] https://www.daserste.de/unterhaltung/film/nord-bei-nordwest/index.html
   DIR [3] https://www.deichbullen.com/#trailer-1
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wilfried Hippen
       
       ## TAGS
       
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