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       # taz.de -- Vorkaufsrecht in Neukölln: Für Pears nur saure Birnen
       
       > Die Ausübung des Vorkaufsrechts gestaltet sich in Corona- Zeiten nochmal
       > schwieriger. Beim Luftbrückenhaus im Schillerkiez klappt es dennoch.
       
   IMG Bild: Der Block Leine/Oder hat sich herausgeputzt
       
       Berlin taz | Während das öffentliche Leben weiterhin nahezu stillsteht,
       dreht sich das Immobilienkarussell weiter. Wie in Vor-Corona- und
       Vor-Mietendeckel-Zeiten landen Anzeigen über Käufe von Wohnhäusern in
       Milieuschutzgebieten auf den Schreibtischen der Baustadträte der Bezirke.
       Wie gehabt versuchen viele Bewohnerschaften in den zwei Monaten, die dann
       zur Ausübung des kommunalen Vorkaufsrechtes verbleiben, die Politik zum
       Handeln zu bewegen.
       
       Doch das ist aus gleich drei Gründen schwieriger geworden: So kann Protest
       aufgrund der Coronaverordnung nicht wie gewohnt stattfinden; eine große
       öffentliche Aufmerksamkeit ist kaum noch zu erzielen. Dazu kommt, dass
       Bezirksämter und Wohnungsbaugenossenschaften momentan nur eingeschränkt
       arbeitsfähig sind. Und drittens – das ist entscheidend – müssen potenzielle
       staatliche oder genossenschaftliche Käufer aufgrund der Einnahmeverluste
       durch den Mietendeckel noch strenger prüfen, ob sie zusätzliche Ankäufe
       stemmen können.
       
       Beim aktuell prominentesten Fall handelt es sich um das sogenannte
       Luftbrückenhaus an der Ecke Leine-/Oderstraße im Neuköllner Schillerkiez –
       ein markanter gelber Block mit 164 Wohnungen und 320 BewohnerInnen.
       
       Erst vor Kurzem hatten diese mithilfe des Wissenschaftlers Christoph
       Trautvetter von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgefunden, wer ihr Haus
       erworben hat: Es sind die Pears-Brüder, bekannt geworden durch ihren
       Versuch, [1][die Kiezkneipe Syndikat] aus ihren Räumlichkeiten zu
       schmeißen. In Berlin besitzen die Londoner über diverse Unternehmen mehr
       als 3.000 Wohnungen; viele davon sind bereits zu Eigentumswohnungen
       umgewandelt worden. Im Schillerkiez sind bereits ein Drittel aller
       [2][Wohnungen umgewandelt], fast doppelt so viele wie noch 2016. Das hatte
       Bezirksbaustadtrat Jochen Biedermann (Grüne) erst kürzlich beklagt.
       
       ## Pears-Brüder gehen leer aus
       
       Dieses Szenario müssen die BewohnerInnen im Leine-Oder-Block aber nun wohl
       nicht mehr fürchten. Wie Biedermann am Mittwoch im Gespräch mit der taz
       verkündete, ließen die Pears-Brüder die Frist zur Unterzeichnung einer
       Abwendungsvereinbarung, mit der sie sich zu bestimmten
       MieterInnenschutzzielen verpflichtet hätten, ungenutzt. Es sei „nchts
       eingegangen“, so Biedermann.
       
       Somit übe der Bezirk das Vorkaufsrecht aus, zugunsten des
       Beamten-Wohnungs-Vereins, einer Genossenschaft mit einem Bestand von mehr
       als 7.000 Wohnungen. Die Kaufsumme liege im „deutlich zweistelligen
       Millionenbereich“, so Biedermann. Er sprach von „viel Herzblut meiner
       Kolleg*innen aus dem Stadtentwicklungsamt“, die in diesem Vorgang stecke
       und dazu geführt habe, dass Neukölln zum ersten Mal das Vorkaufsrecht für
       eine Genossenschaft ausüben konnte.
       
       Dagegen können die Pears-Brüder nun zwar noch Widerspruch einlegen,
       allerdings mit mäßigen Erfolgsaussichten. Die BewohnerInnen werden damit
       belohnt für eine professionelle Protest-Kampagne, die sie in den
       vergangenen Wochen gestemmt hatten, inklusive mehrerer lautstarker
       Balkon-Proteste. Noch am Dienstagabend erhielten sie [3][Beistand von
       AktivistInnen mittels einer Videokundgebung]. An die Bewohnerschaft
       gerichtet hieß es da: „Ihr seid schon jetzt Risikokapital.“
       
       ## Sorge in Kreuzberg
       
       Weiter auf ihre Rettung hoffen die MieterInnen eines Hauses an der Ecke
       Manteuffel-/Muskauer Straße in Kreuzberg. Für das Gebäude mit 21 Wohnungen
       will der Käufer Florian Grotmann dem Vernehmen nach fünf Millionen Euro auf
       den Tisch legen. Eine Abwendungsvereinbarung zur Verhinderung des
       Vorkaufes, die etwa aufwändige Modernisierungen für die nächsten 20 Jahre
       und den Verkauf einzelner Wohnungen für zehn Jahre ausschließen würde, will
       Grotmann nicht unterschreiben. Ein weiterer Kaufinteressent dagegen habe
       dies angeboten, teilten die BewohnerInnen mit.
       
       In einem Brief appellieren sie an die Politik: „Lassen Sie es nicht zu,
       dass unsere Stadt zusehends weiter zersetzt wird durch die Kräfte der
       Immobilienspekulation.“ Die Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts läuft
       am kommenden Montag aus. Laut Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) prüft die
       Gewobag einen Erwerb.
       
       Vergangene Woche hatte das Bezirksamt Pankow das Vorkaufsrecht für zwei
       Häuser ausgeübt. Ein Haus in der Hadlichstraße 29 nahe des Rathauses Pankow
       mit 28 Wohnungen ging in den Besitz der landeseigenen
       Wohnungsbaugesellschaft Gesobau über. Baustadtrat Vollrad Kuhn hatte darauf
       verwiesen, dass in dem Gebäude „ausschließlich sozial schwächere
       Einkommensschichten“ lebten. Mieterhöhungen hätten „unmittelbar eine
       verdrängende Wirkung auf die Bewohnerschaft“.
       
       Bei einem Objekt an der Ecke Lychener Straße/ Stargarder Straße im
       Milieuschutzgebiet Helmholtzplatz erhielt die Genossenschaft Am Ostseeplatz
       den Zuschlag. 28 Wohnungen und fünf Gewerberäume wurden dadurch vor der
       Privatisierung geschützt.
       
       15 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Linke-Kneipe-enttarnt-Immobilienriesen/!5548679/
   DIR [2] /Gentrifizierung-in-Berlin-Neukoelln/!5454670/
   DIR [3] https://twitter.com/retep_kire/status/1250145117203283975?s=20
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
       ## TAGS
       
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