# taz.de -- Spätere Erinnerung an die Coronazeit: Das Virus museal gesehen
> Was werden die Bilder, was die Schicksale sein, die später für die Zeit
> der Kontaktsperre stehen? Rundgang in einem imaginären Museum.
IMG Bild: Eine Skulptur am Spreeufer in Berlin hat für das Foto einen Mundschutz bekommen
Irgendjemand hat auf Instagram das Cover des King-Crimson-Albums „In the
Court of the Crimson King“ mit einem Mundschutz verziert, was ich vor allem
farblich unpassend finde: Auf dem Cover dieses Debüts prangt das gemalte
Bild eines verzerrten Gesichts, die Augen sind schreckgeweitet, der Mund
ist im stummen Schrei geöffnet. Vorherrschend sind Rottöne und ein paar
schattenhafte Blaunuancen. Der türkisfarbene Mundschutz auf dem Insta-Bild
beißt sich also scheußlich mit der Fratze. Auch wenn der Impuls richtig
ist: Der gequälte Mann schleudert garantiert gerade ein paar Tröpfchen
heraus.
Ich frage mich eh, wie andere Menschen das mit der Color-Abstimmung machen.
Nachdem ich vorgestern [1][meine erste Maske (aus einem Stoffrest in
goldgrünem 60er-Jahre-Muster) handgenäht] habe, brauche ich noch ungefähr
7.452 weitere, passend zu den restlichen Outfits. In meinem Nähtempo ist
die Seuche längst vorbei, bis ich fertig bin. Doch das macht nichts, man
kann später einen Quilt aus den Stoffresten basteln, der einen an diese
Zeit erinnert.
Überhaupt denke ich momentan viel darüber nach, was später, in 10, 50,
vielleicht 100 Jahren, im Berliner Coronamuseum ausgestellt wird. Dass
mindestens eine große Vitrine voller „Selbst genähter Atemschutzmasken“
(plus meinem Quilt) dabei ist, versteht sich von selbst. Dazu Fotos vom
menschenleeren Ku’damm, den verwaisten Flugplätzen, geschlossenen
Restaurants und Kneipen, Särgen und von trotzigen Picknicker*innen mit
bunten Masken im Park, die gerade von Polizist*innen kontrolliert werden.
Zudem jede Menge Bildschirmsnapshots und Papierdokumente – von der
Warteliste für die IBB-Coronazuschuss-Anträge bis hin zur
Insolvenz-Anmeldung. Mindestens ein eigener, kleiner Raum wird dem Thema
„Umgang mit Toilettenpapier“ gewidmet, inklusive soziologischer,
psychologischer und historischer Deutungsansätze und technischer Folgen für
die sechs Berliner Klärwerke, die momentan ständig Zeitungspapier,
zerrissene T-Shirts und anderen Quatsch aus dem Mist fischen müssen.
## Fotografin wird zur Erntehelferin
Und ich gehe davon aus, dass jemand die Bauarbeiten für die Coronaklinik in
der Halle 26 des Messegeländes mit einer feststehenden Kamera beobachtet,
sodass der Zeitrafferfilm später ebenfalls gezeigt werden kann.
In einem Themenraum namens „Berliner Schicksale“ könnten stellvertretend
für unterschiedliche Berufszweige Berliner*innen vorgestellt werden: eine
freie Fotografin, die auf Erntehelferin umsatteln musste; eine
Start-up-Gründerin, die ihre praktische Corona-Kontakt-App zur
Krisengewinnlerin machte; ein Beamter oder Festangestellter, dem seine
finanzielle Sorgenfreiheit ermöglichte, sich zu engagieren. Definitiv auch
jemanden, der Mitte März nach zehn Jahren aus der JVA Moabit entlassen
wurde, der Arme. Mir ist noch nicht ganz klar, ob das eine Dauer- oder
Sonderausstellung wird – vielleicht hängt das vom Verlauf ab.
Die [2][Sonderausstellung „Pest!“ im LWL-Muesum für Archäologie in Herne,]
zu der wirklich interessante Rahmenveranstaltungen wie der
„Familiensonntag: Gib der Pest den Rest!“ und eine Lesung aus dem
„Decameron“ geplant waren, ist übrigens momentan geschlossen, klar.
Offiziell ginge sie noch bis zum 10. Mai.
Ich habe vor, sie mir gegebenenfalls unbedingt noch anzuschauen, und zwar
erstens aus Solidarität mit den Ausstellungsmacher*innen, die ja auch
nichts für ihr unheimliches Timing können. Und zweitens als
Inspirationsquelle.
12 Apr 2020
## LINKS
DIR [1] /Atemschutzmasken-zu-Hause-machen/!5673871
DIR [2] https://pest-ausstellung.lwl.org/de/
## AUTOREN
DIR Jenni Zylka
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