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       # taz.de -- Lieferando torpediert Betriebsratswahl: Ausgelieferte Mitarbeiter
       
       > Der Fahrradkurierdienst zahlt nur knapp über Mindestlohn und überwacht
       > seine Fahrer. Nun sollte die Wahl eines Betriebsrats torpediert werden.
       
   IMG Bild: Ein Job an der frischen Luft sieht besser aus, als er ist
       
       Bochum taz | Mit massivem Druck auf Beschäftigte und Gewerkschafter*innen
       hat der Fahrradkurier-Bestelldienst Lieferando versucht, Betriebsratswahlen
       am Standort Köln zu verhindern. „Das Lieferando-Management hat zunächst
       selbst die Herausgabe einer Wählerliste verweigert“, sagt Semih Yalcin,
       dessen Fahrradkurier-Wahlliste mit dem spacigen Namen „Riders – Guardians
       of the Galaxy“ als gewerkschaftsnah gilt.
       
       Die Liste der Wahlberechtigten könne nicht erstellt werden, hatte
       Lieferando argumentiert: Die Tochterfirma des niederländischen
       Essensauslieferers [1][Takeaway] N.V. um den Unternehmer Jitse Groen hatte
       2018 die Konkurrenz von [2][Delivery] Hero mit seiner Hauptmarke Foodora
       geschluckt. Bis heute argumentiert Lieferando deshalb, in Köln würden zwei
       Firmen betrieben – dabei nutzen die Fahrradkuriere am Rhein längst die
       gleiche App, tragen die gleiche Kleidung.
       
       Vom Arbeitsgericht wurde die Firma deshalb zur Herausgabe der Wählerliste
       verdonnert. Danach tauchte prompt eine arbeitgebernahe Wahlliste mit dem
       Namen „Lieferando.de Register“ auf. Von deren 17 Kandidat*innen bekleiden
       neun Leitungsfunktionen. Mit dem „City-Coordinator“ Tarek Souissi
       kandidierte auch der ranghöchste Lieferando-Mitarbeiter in ganz Köln.
       Während die „Register“-Liste über den Lieferando-Verteiler Wahlwerbung
       machen durfte, bekamen die gewerkschaftsnahen „Riders“ weder Mailadressen
       noch Telefonnummern.
       
       Auch am Tag der Betriebsratswahl soll der „City-Coordinator“ Souissi massiv
       Einfluss genommen haben – offiziell natürlich in seiner Eigenschaft als
       Betriebsratskandidat. „‚Du weißt, was zu tun ist‘, soll er Leuten gesagt
       haben“, erzählt Riders-Mann Yalcin. Vorwürfe, er habe Konkurrenten „Prügel
       angedroht“, weißt der „City-Coordinator“ als „natürlich nicht korrekt“
       zurück. Er sei „im rechtlichen Sinne“ kein „leitender Angestellter“, findet
       der ranghöchste Mann von Lieferando in Köln – so dürfe er nicht über
       Einstellungen und Kündigungen entscheiden.
       
       ## Alle 15 Sekunden getrackt
       
       Zwar stimmten nur rund 40 Prozent der etwa 380 Kölner
       Lieferando-Beschäftigten ab. Allerdings konnten die „Riders“ mit 72
       Kurieren mehr überzeugen – das „Register“ kam nur auf 65 Stimmen. Sechs
       gewerkschafts- und fünf arbeitgebernahe Betriebsräte stehen sich jetzt
       gegenüber. „Die Jobs bei Lieferando sind prekär“, sagt Elmar Jost, der bei
       der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). „Die Bezahlung der
       Fahrer liegt mit 10 Euro in der Stunde nur knapp über [3][Mindestlohn], und
       viele arbeiten nur auf Minijob-Basis.“
       
       Über die auf ihren privaten Smartphones laufende Auslieferungs-App werden
       die Fahrer permanent überwacht. „Wir werden alle 15 Sekunden getrackt“,
       sagt Semih Yalcin. Vor Gericht fordert der Mann der „Riders“-Liste gerade,
       dass Lieferando wenigstens teilweise an den Kosten für das Telefon und den
       Handyvertrag beteiligt. Den Verschleiß der privaten Fahrräder der Kuriere
       erstattet Lieferando erst ab April – zunächst in Form von
       Amazon-Gutscheinen. Bis zu 44 Euro im Monat soll es ab Juni geben.
       
       Außerdem steht am 7. Mai vor dem Arbeitsgericht Köln die Entscheidung an,
       ob es sich beim Kölner-Lieferando-Standort tatsächlich um „zwei Betriebe
       handelt“. Immerhin: In dieser Frage scheint „City-Coordinator“ Souissi
       voraus. „Meiner Meinung nach stellen die ehemaligen ‚Foodora‘-Mitarbeiter
       keinen eigenen Betrieb im Unternehmen dar“, schrieb er der taz. „Sie sind
       elementarer Bestandteil der Fahrerflotte bei Lieferando.de.“
       
       17 Apr 2020
       
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