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       # taz.de -- Berlin öffnet ab 27. April die Schulen: Hygiene soll Schule machen
       
       > Mehr Abstand in den Klassenräumen und auf dem Pausenhof – und
       > Desinfektionsmittel und Seife auf den Toiletten. Kann das klappen? Ein
       > Wochenkommentar.
       
   IMG Bild: Richtig so, gründliches Händewaschen schützt vor einer Infektion. In Schulen – und auch sonst
       
       Berlin taz | Kinder und Hygiene – das ist zu guten Teilen ein Widerspruch
       in sich. Schule und Hygiene in Berlin zu guten Teilen leider auch. In der
       Anlaufphase nach dem Lockdown kommen nun alle drei Faktoren zusammen und
       stellen Bildungsverwaltung, Schulen, Eltern, LehrerInnen und natürlich die
       Kinder vor Herausforderungen, die sich nicht wirklich bewältigen lassen.
       
       Bund und Länder haben am Mittwoch beschlossen, dass ab 4. Mai die Schulen
       wieder schrittweise geöffnet werden können. In Berlin werden das die 11.
       Klassen an Gymnasien, die 9. und 12. Klassen an Integrierten
       Sekundarschulen sowie die 6. Grundschulklassen sein, wie Bildungssenatorin
       Sandra Scheeres (SPD) am Donnerstag mitteilte. Die 10. Klassen starten
       wegen der Vorbereitung auf den Mittleren Schulabschluss (MSA) sogar schon
       am 27. April. Aber natürlich kann das nur ein Anfang sein, weitere Klassen
       sollen bald folgen – schließlich sind am 25. Juni bereits Sommerferien in
       Berlin.
       
       Vor der Öffnung aber muss jede einzelne Schule einen „Hygieneplan“
       aufstellen, haben Bund und Länder entschieden. Wie der genau aussieht, ist
       unklar. Sicher ist: Schulen müssen besser als bisher sicherstellen, dass
       auf Toiletten Papier, Desinfektionsmittel und Seife wirklich vorhanden
       sind. Das ist zwar keine leichte, aber immerhin eine lösbare, weil
       organisierbare Aufgabe.
       
       Schwieriger wird es beim Abstandhalten: Um die vorgeschriebene
       1,5-Meter-Distanz in den Klassenzimmern zu gewährleisten, müssen die
       vollgepackten Klassen halbiert und getrennt voneinander unterrichtet
       werden. Entsprechend mehr Lehrkräfte und Räume werden dafür gebraucht.
       Dabei sind LehrerInnen seit Jahren Mangelware, Ähnliches gilt für den Platz
       in Schulen.
       
       Besonders für GrundschülerInnen dürfte es schwierig sein und auch Ängste
       hervorrufen, allein an einem Tisch zu sitzen, besteht ein guter Teil der
       Aufgaben doch im gemeinsamen Lernen, etwa im Austausch mit den
       Sitznachbarn. Und wie das Abstandhalten auf dem Schulhof funktionieren
       soll, wo es gerade ums Austoben, ums Rennen, ums Lachen geht, ist völlig
       unvorstellbar. Selbst wenn alle Kinder angehalten sein sollten, einen
       Mund-Nasen-Schutz zu tragen: Wer bitte soll das kontrollieren?
       
       (Grundschul-)LehrerInnen stellt die Schulanfangsphase in der Coronazeit vor
       eine Zerreißprobe: Sie sollen ab Mai auch wieder physisch in der Klasse
       anwesend sein, Fragen beantworten, Nähe zeigen, aber gleichzeitig auf
       Distanz bleiben, auch zum Eigenschutz. Und an sich wäre es aus sozialen
       Gründen sinnvoll, die Schulen schnell für alle Kinder, gerade für solche
       aus bildungsfernen Schichten, zu öffnen – diese Forderung ignoriert aber
       die Sicherheit der LehrerInnen. Ganz abgesehen von der Frage, was passieren
       würde, wenn ein Kind oder ein Elternteil positiv auf das Coronavirus
       getestet würde: Wäre dann die ganze Schule wieder dicht?
       
       Das Beispiel Schule zeigt, wie sehr unser früheres Leben auf Nähe aufbaute
       und wie schwierig es ist, auf diese Nähe zu verzichten. Und es belegt, dass
       ein Umgang mit dem Coronavirus, der individuelle Bürger- und
       Freiheitsrechte nicht völlig missachtet, vielfach eben nicht zu klaren,
       einheitlichen Lösungen führen kann, sondern Kompromisse aufzwingt, die erst
       im Nachhinein als richtig oder falsch bewertet werden können. Deshalb wird
       über diese Kompromisse immer diskutiert und verhandelt werden, was richtig
       ist und ganz im Sinne einer Demokratie in der Krise.
       
       18 Apr 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bert Schulz
       
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