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       # taz.de -- Staffelfinale von TV-Serie „Homeland“: Obsession und Paranoia
       
       > Gerade läuft die letzte Staffel der US-Serie „Homeland“. Die
       > Aufmerksamkeit ließ zuletzt nach. Dabei lohnt sich das Dranbleiben – eine
       > Würdigung.
       
   IMG Bild: Ein Symbol für ein anhaltendes Kriegstrauma: „Homeland“-Hauptfigur Carrie
       
       Als am Ende der dritten Staffel der ehemalige US-Soldat Nicholas Brody an
       einem Kran mitten in Teheran baumelt und sein Tod von iranischen Passanten
       freudig bejubelt wird, sitze ich mit Freunden in einer kleinen Küche in
       Berlin vor einem Laptop. Wir starren entsetzt auf den Bildschirm, fast
       fangen wir an zu heulen. Brody ist tot. Krass. Dieses Scheiß-Mullah-Regime.
       
       Das war 2013 und wir kein Auskennergrüppchen, das sich nach langem Buffern
       (das Laden eines Videos in einem nicht durch und durch legalen Internet),
       irgendeine Nischenserie reinzieht, über die sonst keiner redet. Wir
       gehörten zu einem weltweiten Massenpublikum, das auf jede neue Folge der
       erfolgreichsten Serie des US-Senders Showtime gierte wie die Leute heute
       nach Toilettenpapier: „Homeland“.
       
       Für alle, die die Serie, [1][die seit 2011 in 12-teiligen Staffeln läuft],
       nicht kennen: Niemand fand Brody wirklich gut. Auch wir nicht. Zu
       rothaarig, zu sommersprossig, zu kuhäugig, zu nervig, zu weich, zu ätzend,
       zu anstrengend, wahrscheinlich umgedreht. Und trotzdem, so einen Tod hatte
       er nicht verdient. Drei Jahre lang bestand die Spannung der Serie in der
       Unklarheit über Brodys Identität.
       
       War er in seiner achtjährigen Gefangenschaft von al-Qaida im Nahen Osten
       zum Terroristen gemacht worden oder war das nur die Paranoia der
       US-Behörden, die ihrem militärischen Helden nicht mehr vertrauten, seit er
       in die Hände des Feindes geraten war? Bis zum bitteren Ende und auch
       darüber hinaus gab es immer die eine und die andere Möglichkeit.
       
       ## Die Realität vorweggenommen
       
       „Homeland“ lieferte ein Abbild der Obsession mit und der Paranoia vor dem
       islamistischen Terrorismus in den US-amerikanischen Geheimdiensten, der
       Politik und der Gesellschaft nach 9/11. Die Serie zeigte, wie sich die
       nachvollziehbare Angst in Gift verwandelte, das keinen mehr klar
       durchblicken ließ, wo Prävention endete und Attacke begann, wer Freund und
       wer Feind ist. Eine großartige Erzählung, deren atemberaubende Wendungen
       der Stoff sind, aus dem atemberaubende Literatur gemacht ist.
       
       Nicht zuletzt nahm „Homeland“ immer wieder Ereignisse der amerikanischen
       Politik vorweg. So tauchte zwei Jahre nach dem Beginn von „Homeland“ ein
       echter Nicholas Brody auf. Er heißt Bowe Bergdahl und ist ein US-Soldat,
       der fünf Jahre von den Taliban gefangen gehalten wurde. Und obwohl damals
       Präsident Obama die Rückkehr eines verlorenen Sohns inszenierte, rissen
       Gerüchte um eine mögliche Gehirnwäsche des Soldaten nicht ab.
       
       Damals, 2013 in der Küche, hatten wir es uns dunkel gemacht. Um Kinogefühl
       zu simulieren, aber auch, weil „Homeland“ viel im Dunkeln spielte, in
       fiesen Verliesen und Verhauen, in Basar- und Häusereingängen, in
       Afghanistan, Pakistan und im Libanon, in dunklen Wohnungen, Kanalschächten
       und Garagen. Dunkel war der islamistische Terror, die Machenschaften der
       CIA.
       
       ## Es fühlt sich an wie Verrat
       
       In diesen Wochen des äußerst dunkel zu werden drohenden Jahres 2020 läuft
       gerade die achte und definitiv letzte Staffel der Serie, die als
       Agententhriller allein wegen ihrer weiblicher Hauptrolle aus dem Meer
       anderer Politserien herausragt. In all den aktuellen Empfehlungen zum
       Streamen in der Corona-Quarantäne fehlt sie aber weitgehend.
       
       Schon seit einigen Staffeln gucke ich „Homeland“ allein. Als ich meine
       alten Streamingfreunde kürzlich fragte, ob wir uns in sechs Wochen
       wenigstens die allerletzte Folge zusammen im Livechat angucken, war eine
       Antwort: „Muss erst mal nachgucken, ob ich die letzte Staffel überhaupt
       gesehen habe.“
       
       Es fühlt sich an wie Verrat. Man musste doch Carrie treu bleiben, der
       bipolaren CIA-Agentin. Jedenfalls dann, wenn man ihr verfallen ist. Nicht
       irgendein Politmacker, kein CIA-Boss und keiner ihrer Sniper ist so
       brillant beim Anvisieren des Feindes wie Carrie. In ihren schmerzhaft
       manischen Phasen ist sie die Einzige, die sehen kann, was die anderen nicht
       sehen wollen: die Wahrheit. Und die ist zwischen all den Geheimdiensten,
       Schläfern, Verschwörungen und geheimen Kreuz-und Querverbindungen oft kaum
       zu erkennen.
       
       Allerlei echte Mediziner fanden das natürlich eine völlig falsche
       Darstellung der Möglichkeiten und Schwierigkeiten von echten Bipolaren.
       Carries Schwester aber brachte es auf den Punkt, um was für eine Figur es
       sich bei Carrie handelt: „Es gibt keine Diagnose für das, was bei dir nicht
       stimmt.“ Eine grandiose Diagnose.
       
       Carrie ist keine Folie für irgendwas. Sie ist weder Heldin noch Antiheldin.
       Sie hat keinen Humor, sie ist keine Freundin, keine gute Mutter, keine
       Liebhaberin, keine perfekte Agentin. Sie ist das Beste, was einer Frau aus
       feministischer Sicht passieren kann: Sie bietet keine
       Identifikationsfläche.
       
       Aber vor allem ist Carrie das Symbol dafür, dass ein Kriegstrauma nicht
       einfach so verschwindet. Immer wieder kehren Foltererfahrungen in ihren
       Träumen zurück. Carrie ist die erste Figur in der US-Seriengeschichte, die
       klarmacht, dass diese Nation nicht unbeschadet aus dem Einsatz in
       Afghanistan hervorgegangen ist. Mittlerweile gibt es auch eine Serie wie
       „[2][Homecoming]“, in der es um das Geschäft mit Veteranen mit
       posttraumatischen Belastungsstörungen geht, die wieder ins zivile Leben
       zurückgeführt werden müssen.
       
       Der Spiegel, den „Homeland“ der US-Gesellschaft vorhielt, wurde nicht
       wirklich gekauft. Im Gegenteil. Die Serie wurde eins zu eins gelesen. Und
       sie wurde jahrelang massiv kritisiert: [3][als rassistisch], sexistisch,
       imperialistisch, weiß, schwarz-weiß, frauen-, islam- und faktenfeindlich.
       
       Dass es in „Homeland“ so einige Fehler gab, stimmt. Aber nicht nur in der
       Darstellung Beiruts oder Kabuls. Sondern auch in der Darstellung Berlins.
       
       ## Holzschnittartige Kritik
       
       Im Jahr 2016 gab es keine „Homeland“-Staffel. Auch weil die Schauspieler
       psychisch nicht mehr damit klarkamen, dass Wetten abgeschlossen wurden,
       welche in „Homeland“ erzählte Fiktion Wirklichkeit werden sollte. [4][Die
       Berlin-Staffel] von 2015 handelte davon, dass Islamisten ein Terrorattentat
       in Europa planen. Während die Staffel lief, kam es zu einem großen
       Terroranschlag in Europa, im November 2015 in Paris.
       
       Ungefähr so holzschnittartig, wie man der Serie vorwarf, dass sie Muslime
       zeichnen würde, war auch die Kritik an ihr. Es würden alle Namen immer
       falsch ausgesprochen, alle Muslime in der Serie seien Terroristen, der Nahe
       Osten als ein einziger staubiger Basar gezeichnet, wo in Wahrheit fancy
       Shoppingmeilen glitzerten.
       
       Dass in Stereotypen erzählt wurde, stimmt aber nur dann, wenn man alle
       Protagonisten weglässt, die diese Stereotype nicht bedienten: die
       exiliranische Studentin, die gegen den Willen ihres Vaters zur CIA geht,
       die vielen muslimischen Informanten, die Carrie unter Lebensgefahr helfen,
       oder der Terrorist in Berlin, der bis zuletzt versucht, seine Kumpels von
       dem Anschlag abzubringen.
       
       Die Serie reagierte aber auf die Kritik: Sie erhöhte die Anzahl der Zitate,
       in denen von den rassistischen Stereotypen der Amerikaner die Rede ist –
       und davon, dass die USA nur so lange Alliierte sind, wie es ihren
       Interessen dient. Sie deckte terroristische Verschwörungen innerhalb der
       CIA auf und nahm die Rolle von Internetbots im US-Wahlkampf vorweg.
       
       Und nun, so viel Spoiler sei verraten, wurde in der letzten Staffel der
       Rückzug der US-Truppen aus Afghanistan angekündigt. Etwa zwei Wochen bevor
       Donald Trump das in Wirklichkeit tat. In „Homeland“ hört man dazu Carries
       Mentor Saul Berenson sagen: „Jedes Detail ist wichtig. Wir sind durch all
       das schon nach 9/11 gegangen. Wir haben alles falsch gemacht.“
       
       „Homeland“ wurde erst richtig stark, als alle aufhörten, es zu gucken.
       Jetzt, wo es so scheint, als könnte ein katastrophales Pandemie-Management
       und nicht ein Terroranschlag die Amtszeit des US-Präsidenten beenden, ist
       die beste Zeit, wieder einzusteigen.
       
       17 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /US-Serie-Homeland/!5074057
   DIR [2] https://www.sueddeutsche.de/medien/homecoming-serie-julia-roberts-amazon-1.4194265
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       ## AUTOREN
       
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