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       # taz.de -- Die Wahrheit: Das Paket meiner Mutter
       
       > Dreiste Krisengewinnler: Das Elend der Coronakrise wird noch verstärkt
       > durch die Lieferdienste und ihre immer absurderen Ausreden.
       
       Der Paketdienst DHL ist ein vorbildlicher Arbeitgeber. Er stellt bevorzugt
       Behinderte ein, vor allem Menschen mit Treppenphobie oder Klingelfurcht.
       Pakete können daher nur noch in Ausnahmefällen zugestellt werden. In
       Coronazeiten, da viele Geschäfte geschlossen sind, ist das besonders
       misslich.
       
       Meine Mutter ist kein Ausnahmefall. Sie ist 92 Jahre alt und wohnt in einer
       Seniorenwohngemeinschaft im ersten Stock in Berlin-Charlottenburg. Die
       Bewohner werden rund um die Uhr betreut. Dennoch lag neulich ein Zettel im
       Briefkasten: „Wir haben Sie leider nicht angetroffen.“ Das Paket könne im
       Postamt abgeholt werden. Vermutlich hatte es sich bei DHL noch nicht
       herumgesprochen, dass alte Menschen zurzeit wegen einer Viruskrise zu Hause
       bleiben sollen.
       
       Da ich in Irland lebe, konnte ich ihr nicht helfen. Aber ich rief wütend
       bei DHL an, was komischerweise leise Freude auslöste. Ich erfuhr später,
       dass DHL den Leuten im Kundendienst eine Prämie pro erbostem Kunden zahlt.
       
       Frau D., die sich am Telefon anhörte, als ob sie im Spreewald in einem
       Gurkenfass saß, lachte: Ohne Auftragsnummer sei nichts zu machen. Die stand
       aber nicht auf dem Abholschein. Zu der dreisten Lüge, dass die gesamte WG
       ausgeflogen sei, als der Zusteller das Paket abgeben wollte, schwieg sie.
       Vielleicht hat sie mich wegen der miesen Telefonverbindung nicht gehört.
       
       Dafür redete aber Bodo Brinkmann, ein DHL-Paketzusteller, dessen Name hier
       geändert ist. „DHL will die Lieferwagen schrittweise abschaffen“, sagt er.
       „Die Hälfte der Zusteller ist bereits mit Fahrrädern ausgerüstet worden.
       Jeden Abend schickt man ihnen eine Mail mit den Namen und Adressen der
       Kunden für den nächsten Tag. Sie füllen dann die Abholscheine aus und
       müssen sie am nächsten Tag nur noch einwerfen.“
       
       Brinkmann ist davon überzeugt, dass dieses System auch nach der Coronakrise
       beibehalten wird. „Sie arbeiten doch schon seit Jahren daran, die
       Kundschaft zur Paketabholung zu erziehen“, sagt er. „Sie werden es als
       Maßnahme zum Klimaschutz verkaufen.“
       
       DHL operiert seit 1979 auch in Irland. Da es auf der Grünen Insel weniger
       Wohnblocks, sondern mehr Einfamilienhäuser gibt, hätten es die Zusteller
       theoretisch einfacher. Eine zufriedene Kundschaft gehört aber nicht zur
       Arbeitsplatzbeschreibung, deshalb hat man sich andere Strategien der
       Peinigung ausgedacht.
       
       ## Niemals funktionierende Links
       
       Es fängt mit der freundlichen Ankündigung per E-Mail an, dass am nächsten
       Tag ein Paket zugestellt werde. Falls einem der Termin nicht passe, könne
       man den Link anklicken, um den Termin zu ändern. Der Link funktioniert
       nicht. Links funktionieren bei irischen Webseiten nie, weder bei Behörden
       noch bei Firmen. Es liegt vermutlich am feuchten Klima, weswegen die Links
       einrosten.
       
       Hat man dann resigniert und sich den angekündigten Tag freigenommen, kommt
       der Paketbote selbstverständlich nicht. Brinkmann sagt, dass es einen
       internen Wettbewerb unter den DHL-Mitarbeitern gebe: „Gewinner ist, wer am
       schnellsten einen Kunden zum Verfassen eines wütenden Beschwerdebriefs
       getrieben hat. Es gibt einen Sonderpreis für den beleidigendsten Brief.“
       
       Ein Paketzusteller hatte die Spielregeln missverstanden und selbst einen
       Brief als Antwort auf die Beschwerde eines Kunden geschrieben: „Die einzige
       Scheiße hier ist Ihr Rumgeheule“, erklärte er: „,Voraussichtlich …'
       als,feste Daten' wahrzunehmen, grenzt schon sehr an Realitätsverlust. Und
       jetzt zurück zu Mami an die Brust.“
       
       Einen Preis bekam er dafür nicht. Stattdessen wurde er in eine Abteilung
       strafversetzt, in der er nie mehr mit der Kundschaft in Kontakt kommt. Bei
       den Onlinebewertungen schnitt DHL entsprechend schlecht ab: 91 Prozent
       gaben die Note „ungenügend“; 4 Prozent hatten allerdings „hervorragend“
       gewählt. Es handelte sich dabei offenbar um Mitglieder der „Arbeitsgruppe
       legasthenischer Masochisten“ (ALM).
       
       Ich hatte auch mal einen Anflug von Masochismus und bestellte eine
       Kaffeemaschine mit allen Schikanen aus Deutschland, weil sie trotz des
       Portos um fast die Hälfte billiger war als in Irland. Sie werde am Montag
       geliefert, verkündete DHL angeberisch. Am Montag folgte eine Mail mit dem
       Hinweis, das Paket sei am Freitag zugestellt worden, und Marsha habe
       unterschrieben. Ich kenne keine Marsha, niemand im Dorf kennt sie. Aber der
       DHL-Lieferant macht seitdem morgens einen aufgeweckten Eindruck.
       
       DHL steht übrigens nicht für „Das höllische Logistikunternehmen“, sondern
       es sind die Anfangsbuchstaben der Nachnamen von Adrian Dalsey, Larry
       Hillblom und Robert Lynn, die das Unternehmen 1969 in San Francisco
       gegründet haben.
       
       Dann gibt es noch General Logistics Systems (GLS). Das Unternehmen gehört
       der britischen Royal Mail. Mit denen hat meine Mutter bereits vor einigen
       Jahren Erfahrungen gemacht, als sie noch in ihrer eigenen Wohnung lebte. Da
       GLS grundsätzlich keine Pakete zustellt, fand sie in ihrem Briefkasten den
       üblichen „Wir haben Sie nicht angetroffen“-Zettel, der schon Millionen
       Menschen zur Weißglut getrieben hat. Dabei war sie den ganzen Tag zu Hause
       gewesen. Als geübter Beschwerdeführer übernahm ich den Anruf bei GLS. Die
       Mitarbeiterin entpuppte sich als medizinische Fachkraft und stellte eine
       Ferndiagnose: „Ihre Mutter ist 88?“, fragte sie scheinheilig. „In dem Alter
       hört man nicht mehr so gut. Vielleicht hat sie einfach nur vergessen, dass
       es geklingelt hat. Wahrscheinlich ist sie auch schon ein bisschen
       plemplem.“
       
       Beim zum Otto-Versand gehörenden Lieferdienst Hermes hingegen verschwinden
       Pakete öfter. In Anbetracht des miesen Stundenlohns kann man das den Boten
       nicht mal verdenken. Dafür hat Hermes aber eine der schönsten
       Benachrichtigungen über eine bevorstehende Paketlieferung nach Irland
       geschickt: „Die Ware ist dem Inselspediteur übergeben worden. Die
       Zustellung hängt von den Gezeiten ab.“ Da stellt man sich vor, dass der
       Paketbote bei Ebbe beherzt übers Wattenmeer stapft. Oder wartet er auf die
       Flut und kommt im Ruderboot?
       
       ## Wunschzeit am Wunschtag
       
       Zum Schluss noch mal eine Nachricht von DHL: „Fortlaufend arbeiten wir
       daran, unsere Services zu verbessern. Zukünftig können Sie den Service
       Wunschzeit in Kombination mit dem Wunschtag auswählen und bekommen Ihre
       Pakete im gewünschten Zeitraum zugestellt.“
       
       Fehlt nur, dass sie vierblättrige Kleeblätter oder linke Hasenpfoten als
       Glücksbringer verteilen, damit die Wünsche tatsächlich in Erfüllung gehen.
       Lotto spielen verspricht jedenfalls mehr Erfolg. So bleibt nur die
       Erkenntnis, dass die Kundschaft sämtlicher Paketdienste grundsätzlich nie
       zu Hause ist, selbst zu Coronazeiten mit Ausgangssperre nicht.
       
       18 Apr 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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