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       # taz.de -- Keine Rettung im Mittelmeer: Flüchtlinge verzweifeln in Seenot
       
       > Wegen Corona haben Malta und Italien Rettungsaktionen offiziell
       > eingestellt. Am Osterwochenende trieben hunderte Menschen auf dem
       > Mittelmeer.
       
   IMG Bild: Besatzungsmitglieder des Rettungsschiffs „Alan Kurdi“ bei einem Einsatz im Dezember
       
       Berlin taz | Seit Karfreitag sind vier Flüchtlingsboote mit rund 250
       Menschen im Mittelmeer in Seenot geraten, ohne dass Rettungsmaßnahmen
       eingeleitet wurden. Ein Boot mit 85 Menschen ist möglicherweise gesunken.
       Das geht aus Berichten der Initiative [1][Alarm Phone] hervor, die seit
       Tagen über Satellitentelefon mit den Schiffbrüchigen in Kontakt stand.
       
       Eines der Boote hatte den Angaben zufolge bereits am Freitag um 23 Uhr
       einen Notruf abgesetzt. Bis Sonntagmittag war keine Rettung für die 45
       Insassen gekommen. Diese verzweifelten: „Wir sind so müde, die Situation
       ist die Hölle“, sagte einer der Insassen per Telefon dem Alarm Phone. Ihr
       Boot laufe voller Wasser. „Es gibt weder Wasser noch Nahrung. Einige
       Menschen haben das Bewusstsein verloren. Wir werden sterben.“ Ähnlich war
       die Lage auf den drei anderen Booten, zu denen die Initiative am Sonntag
       noch Verbindung hatte. Drei der vier Boote befanden sich den Positionsdaten
       der Satellitentelefone zufolge in der maltesischen Rettungszone.
       
       Malta hatte am Donnerstag [2][angekündigt,] wegen der Corona-Pandemie
       vorerst keine Rettungen im Mittelmeer durchzuführen. Die Regierung sagte,
       sie könne keinen Migranten mehr helfen, die von Afrika nach Europa
       übersetzen. Polizei und Militär konzentrierten ihre Ressourcen auf die
       Bekämpfung von Sars-CoV-2. Zudem gebe es keinen sicheren Ort auf
       maltesischem Territorium für Immigranten auf Booten oder Schiffen. Laut der
       Berliner Tagezeitung Tagesspiegel hatte die maltesische Regierung eine
       entsprechende „[3][Verbalnote]“, eine diplomatische Mitteilung, auch an die
       Bundesregierung übersandt.
       
       ## Corona als Ausrede
       
       Insgesamt, so Alarm Phone, hätten in den vergangenen sieben Tagen über
       1.000 Menschen versucht, mit Booten aus Libyen zu fliehen. Europe benutze
       Covid19 als Ausrede, um nicht mehr zu retten, heißt es in einer
       [4][Erklärung] von Alarm Phone. „Boote werden treibend zurückgelassen oder
       sabotiert. Migranten werden aufgefordert, auf See zu sterben. Mehrere
       Todesfälle werden von Überlebenden gemeldet.“ Seuchenschutzmaßnahmen, die
       im Namen der „Rettung von Leben“ angeordnet würden, hätten den
       gegenteiligen Effekt: Menschen seien „ernsthaft gefährdet, in Seenot zu
       sterben.“
       
       Am Donnerstag hatten Insassen eines Flüchtlingsbootes schwere Vorwürfe
       gegen die maltesische Küstenwache erhoben. Diese sei zur Unglücksstelle
       gefahren, habe dort aber keine Hilfe geleistet. Stattdessen hätten
       maltesische Militärs das Kabel ihres Motors durchschnitten und gesagt: „Wir
       lassen Euch hier sterben. Keiner von Euch wird nach Malta gelangen.“
       Allerdings rettete die Küstenwache die 70 Insassen dieses Bootes in den
       folgenden Stunden doch und brachte sie nach Valetta.
       
       Danach verkündete die Regierung den Stop aller weiterer Rettungsaktionen.
       Alarm Phone geht davon aus, dass der Bericht der Bootsinsassen zutreffend
       war, die Küstenwache aber wegen [5][der medialen Aufmerksamkeit] auf den
       Fall die Menschen am Ende doch gerettet habe.
       
       Bereits am Dienstagabend hatte das italienische Innenministerium erklärt,
       dass die italienischen Häfen wegen der Coronavirus-Pandemie nicht mehr als
       „sicher“ gelten könnten. Schiffe mit aus Seenot geretteten Flüchtlingen an
       Bord dürfen demnach nicht mehr in italienischen Häfen anlegen.
       
       Mehrere Seenotrettungsorganisationen hatten dies scharf kritisiert. Die
       wegen der Corona-Krise leidenden Bürger Italiens dürften nicht der Grund
       dafür sein, „jenen Hilfe zu verwehren, die nicht Gefahr laufen, in einem
       Intensivbett zu ersticken, sondern zu ertrinken“, heißt es in einer
       gemeinsamen Erklärung der Organisationen Ärzte ohne Grenzen, SOS
       Méditerranée, Sea Watch und Open Arms.
       
       ## Post vom Papst
       
       Unterdessen wandte sich Papst Franziskus in einem Schreiben an italienische
       Seenotretter und sagte seine Unterstützung zu. „Danke für alles, was ihr
       tut. Ich möchte euch sagen, dass ich immer bereit bin, euch zu helfen.
       Zählt auf mich“, zitierte die deutsche NGO Sea Eye aus dem Schreiben.
       
       Deren Rettungsschiff „Alan Kurdi“ hatte bereits am vergangenen Montag knapp
       150 Menschen im Mittelmeer gerettet und war seither auf der Suche nach
       einem Hafen für diese. Am Sonntagmittag teilte das italienische
       Verkehrsministerium mit, die Geretteten sollen „in den nächsten Stunden“
       auf ein anderes Schiff verlegt und dort unter Quarantäne gestellt werden.
       Bei der Verlegung soll die italienische Küstenwache „technische
       Unterstützung“ leisten.
       
       Auf dem Schiff würden die Migranten vom italienischen Roten Kreuz und von
       Gesundheitsbehörden untersucht. Wegen der Corona-Pandemie könnte dies nicht
       in einem italienischen Hafen erfolgen. Einen der Migranten hatte die
       italienische Küstenwache bereits aus gesundheitlichen Gründen abgeholt.
       
       Gorden Isler von Sea-Eye begrüßte die Übernahme der Migranten. „Wenn die
       italienische Küstenwache die geretteten Menschen an Bord der „Alan Kurdi“
       übernähme, würde diese Pattsituation endlich ein Ende haben“, sagte Isler
       der dpa am Telefon. Die großen Schiffe der italienischen Küstenwache seien
       viel besser geeignet und die Geretteten dort sicher. „Wir wären für eine
       solche Lösung sehr dankbar.“
       
       ## Unklare Perspektive
       
       Offen bleibt, wo die Menschen letztlich an Land gehen können. Die Regierung
       in [6][Rom sieht Deutschland als Flaggenstaat der „Alan Kurdi“ in der
       Pflicht]. Italien und Malta hätten schon frühzeitig private
       Seenotrettungsorganisationen gewarnt, dass ihre Häfen für
       Flüchtlingsschiffe wegen der Corona-Krise geschlossen seien.
       
       Die Bundesregierung hatte die EU-Kommission um „koordinierende
       Unterstützung“ gebeten bei der Frage, wo die Flüchtlinge an Land gehen
       könnten, wie ein Sprecher am Freitag sagte. Das Bundesinnenministerium
       hatte erklärt, die Bundesregierung prüfe alternative Orte und stehe dazu in
       Kontakt mit verschiedenen europäischen Partnern. Deutschland sei bereit,
       einen „konstruktiven Beitrag“ zu leisten. (Mit Material von epd und dpa).
       
       12 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://alarmphone.org/de/
   DIR [2] https://www.reuters.com/article/us-health-coronavirus-malta-migrants/malta-says-it-can-no-longer-rescue-accept-migrants-idUSKCN21R3DO
   DIR [3] https://www.tagesspiegel.de/politik/ein-appell-menschen-ertrinken-zu-lassen-seehofer-ministerium-fordert-stopp-der-seenotrettung-im-mittelmeer/25729784.html
   DIR [4] https://alarmphone.org/en/2020/04/11/the-covid-19-excuse/?post_type_release_type=post
   DIR [5] /Fluechtlinge-in-der-Corona-Krise/!5672393
   DIR [6] /Seenotrettung-auf-dem-Mittelmeer/!5677713
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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