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       # taz.de -- Corona-Blues von Lagos bis Maputo: Time tough in Afrika
       
       > Das kulturelle Leben ist wegen des Corona-Shutdowns in weiten Teilen
       > Afrikas zum Erliegen gekommen. Musiker*innen trifft das hart.
       
   IMG Bild: Die Rapperin Dama do Bling aus Mosambik kümmert sich gerade vor allem um ihre Kinder
       
       Ein Afrojazz-Saxofonist aus Kamerun, ein kongolesischer Soukous-Sänger und
       ein Oud-Meister aus Somalia: Mit dem 86jährigen [1][Manu Dibango], Aurlus
       Mabélé, 66 Jahre, und dem 92jährigen Ahmed Ismail Hussein Hudeydi sind
       bereits drei afrikanische Legenden dem Coronavirus erlegen.
       
       Allerdings verstarben die Musiker nicht in ihren Heimatländern, sondern in
       Europa. Dibango, Komponist des stilprägenden Songs „Soul Makossa“,
       erwischte der Virus wie Mabélé in Paris, den „King of Oud“ genannten
       Hudeydi in London.
       
       Ist das ein Vorgeschmack darauf, was nun mit Zeitverzögerung auf Afrika
       zukommt? Auch hier ist das kulturelle Leben inzwischen weitgehend zum
       Erliegen gekommen, Clubs und Tanzlokale sind geschlossen, Festivals
       abgesagt – „Gnaoua et Musiques du Monde“ in Marokko ebenso wie [2][„FEMUA“]
       in Abidjan, Elfenbeinküste, und das südafrikanische Cape Town Jazz
       Festival.
       
       „Größte Herausforderung ist aktuell, mit der Unsicherheit angesichts der
       unsichtbaren Gefahr umzugehen“, erklärt Eddie Hatitye, Direktor der
       Internetplattform Music in Africa. Seine Wohnung in Johannesburg hat
       Hatitye seit vier Wochen kaum noch verlassen. Der Kap-Staat hat Ende März
       eine der weltweit strengsten Ausgangssperren verhängt, selbst der Verkauf
       von Alkohol und Zigaretten ist untersagt.
       
       ## Vom Hand in den Mund
       
       Für den Musiksektor Südafrikas – der größte auf dem Kontinent – sind die
       Folgen des Shutdowns katastrophal, nicht nur für die Musiker*innen, sondern
       auch für Veranstalter und Booker, DJs, Bühnen- und Tontechniker. „Viele
       haben keinerlei Rücklagen und leben von der Hand in den Mund.“ Staatliche
       Nothilfen für Künstler*innen gebe es so gut wie keine.
       
       Bei der von Music in Afrika ausgerichteten [3][„ACCES-Musikkonferenz“] im
       ghanaischen Accra war im November 2019 noch ein Hot Topic, wie der
       Austausch innerhalb Afrikas und durch eine liberalere Visavergabe mit
       Europa ausgeweitet werden könnte – jetzt haben viele der 54 afrikanischen
       Länder Grenzen und Flughäfen geschlossen.
       
       Umso schwerwiegender für Afrikas seit Jahren wachsenden Musikmarkt, weil
       Festivals als Schaufenster in die Welt dienen. Dort werden Talente entdeckt
       und devisenträchtige Auftritte im Ausland vereinbart.
       
       Dama do Bling aus Mosambik ist regelmäßig auf solchen Festivals
       aufgetreten. Jetzt sitzt die populärste mosambikanische Rapperin in ihrem
       Haus in Maputo fest. In Mosambik wurde der Ausnahmezustand ausgerufen, de
       facto gibt es noch keine Ausgangssperre, öffentliche Veranstaltungen sind
       untersagt. „Die Regierung hat uns Musiker*innen schon vorher kaum
       unterstützt und jetzt umso weniger.“
       
       Die Coronakrise führe laut Dama do Bling besonders für Frauen zur
       Doppelbelastung: „Ich muss mich jetzt um den Haushalt und meine drei Kinder
       kümmern, meine künstlerische Arbeit läuft nebenher.“ Geld verdiene nur
       noch, wer einen Sponsor für Onlinekonzerte bei Social-Media-Multis gewinne.
       
       ## Streamen bringt wenig ein
       
       Auch Nigeria hat sich wegen der Pandemie abgeschottet. In der
       20-Millionen-Metropole Lagos sitzt Adé Bantu beim Videointerview mit freiem
       Oberkörper vor dem Bildschirm – gerade versagt die Klimaanlage wegen
       Stromausfall. Der deutsch-nigerianische Musiker wollte eigentlich sein
       [4][neues Album] fertigstellen – doch dafür müsste er nach Deutschland
       reisen, wo ein Teil seiner 13-köpfigen Afrobeat-Band lebt.
       
       Das [5][„Afropolitan Vibes“]-Festival, das er einmal im Jahr in Lagos
       veranstaltet, musste er bereits absagen. Dabei bringen den meisten Musikern
       gerade Konzerte ihr täglich Brot ein, sagt Bantu. „Am Streamen verdienen
       nur wenige Superstars.“ Sollte sich das Virus in Nigeria rasant verbreiten,
       schwant Bantu nichts Gutes: „Das Gesundheitssystem wurde in den Ruin
       getrieben. Es gibt Krankenhäuser, die noch nicht einmal Ventilatoren
       haben.“
       
       Noch zählt man relativ wenige Infizierte in Afrika, doch die WHO rechnet
       mit bis zu zehn Millionen Fällen im nächsten halben Jahr – die
       Gesundheitsversorgung würde kollabieren. Dabei wurden vielerorts zeitig
       teils drastische Maßnahmen gegen die Sars-CoV-2-Ausbreitung erlassen und
       die Hoffnung bleibt, dass die junge Bevölkerung Infektionen besser
       wegsteckt und sich das Virus bei warmem Klima langsamer verbreitet.
       
       Zunächst waren es oft die Eliten, die Corona von Auslandsreisen mit nach
       Hause brachten. Die Reichen können Kontaktverbote und Hygieneregeln in
       ihren Villen nun gut einhalten, in den Armenvierteln quer über den
       Kontinent ist das unmöglich – die Wohnverhältnisse sind beengt, und es gibt
       selten sauberes Wasser. BewohnerInnen müssen nach draußen, um irgendwie ihr
       Überleben zu sichern – sich vor dem Virus schützen oder hungern, lautet
       hier die Frage.
       
       ## Vorwand für Repressionen
       
       In der Folge kommt es zu Übergriffen von Polizei und Armee. Laut Amnesty
       International werden Restriktionen gegen die Ausbreitung des Virus
       mancherorts auch als Vorwand für Repressionen genutzt. So seien in Uganda
       Homosexuelle verhaftet und in Südafrika Obdachlose mit Gummigeschossen
       attackiert worden, während es in Kenia bereits am ersten Tag des
       nächtlichen Ausgangsverbots zu Ausschreitungen kam.
       
       Joseph Kamaru alias [6][KMRU] kommt aus Kenias Hauptstadt Nairobi, wo er
       seit einem Monat im Haus seiner Eltern ausharrt. Dabei hatte der junge
       Produzent und Künstler andere Pläne, denn er war im April zum „Ableton
       Loop“ nach Berlin eingeladen, wo er bereits 2019 als Gast beim CTM-Festival
       war. Jetzt versucht er das wenige Geld zusammenzuhalten, das er sich durch
       Konzerte angespart hat und tüftelt weiter an experimentellen
       [7][Ambient-Tracks].
       
       „Meine Musik wird nicht im kenianischen Radio gespielt, darum bin ich auf
       Stipendien und Zuschüsse angewiesen.“ Die Regierung habe zwar ein
       Hilfsprogramm aufgelegt, weil sich so viele dafür bewerben, hat KMRU es
       erst gar nicht probiert, zumal es umgerechnet nur etwa 20 US-Dollar pro
       Person gibt. „Das macht überhaupt keinen Sinn.“
       
       Finanziell brachte es ihm einiges, als er vor Kurzem seine Musik beim
       Onlinedienst Bandcamp zum Verkauf [8][hochlud]. Darüber erhalte er nun
       „wenigstens regelmäßig kleinere Summen“, wenn auch nur, weil ihn dort
       Freunde und treue Fans unterstützen. Eine Chance sieht er darin, dass sich
       alternative Künstler*innen wieder stärker der lokalen Szene zuwenden und
       sich gegenseitig unterstützen. Alles in allem sei es für Kenias Musiker
       aber eine „really tough time“.
       
       ## Rassistische Herblassung
       
       Ein Vorteil Afrikas bei der Corona-Bekämpfung könnte sein, dass es lange
       Erfahrung im Umgang mit Infektionskrankheiten hat – von Malaria bis Ebola.
       Und das hilft auch mental. Afrika habe jedenfalls eine „größere
       Belastbarkeit Schocks gegenüber“, schreibt der senegalesische
       Sozialwissenschaftler Felwine Sarr in seiner [9][Corona-Chronik] für die
       Süddeutsche Zeitung. Dass in Bezug auf Afrika – wie sonst auch – jetzt nur
       das Schlimmste prophezeit werde, sei der alten „rassistischen Herablassung“
       geschuldet.
       
       In eine ähnliche Richtung zielt eine [10][Petition] afrikanischer
       Intellektueller. Sarr frohlockt darum: „Wir sprechen uns nach der Krise!“
       Adé Bantu wiederum kann darüber nur den Kopf schütteln: „Wie müssen die
       Bedrohung ernst nehmen.“
       
       Doch wie man die Lage auch einschätzt: Wer bei Afrika immer nur an Seuchen,
       Gewalt und Armut denkt, liegt falsch und unterschätzt die dynamischen
       Veränderungen auf dem Kontinent, gerade in den Metropolen. Der 34-jährige
       Südafrikaner Eddie Hatitye sagt: „Ich habe in meinem Leben weder Kriege
       noch Epidemien wie Corona erlebt – und das geht vielen Afrikanern meiner
       Generation so.“
       
       26 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!5670816/
   DIR [2] /Musikfestival-in-der-Elfenbeinkueste/!5589354/
   DIR [3] /Musikkonferenz-Acces-in-Accra/!5646360/
   DIR [4] https://www.youtube.com/watch?v=QeNVVa_pb1Q
   DIR [5] http://www.afropolitanvibes.com/
   DIR [6] https://www.residentadvisor.net/dj/kmru
   DIR [7] https://soundcloud.com/kamarujoseph
   DIR [8] https://kmru.bandcamp.com/
   DIR [9] https://www.sueddeutsche.de/kultur/coronavirus-senegal-gesellschaft-1.4869649
   DIR [10] https://www.theafricareport.com/26143/coronavirus-together-we-can-come-out-stronger-and-united/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ole Schulz
       
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