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       # taz.de -- Denkmalschutz für Berliner Mäusebunker: Wehrhaftes Architekturerbe
       
       > Abriss oder Erhalt als Beispiel der Nachkriegsmoderne? Über ein
       > stillgelegtes Labor für Tierversuche ist eine Debatte entbrannt.
       
   IMG Bild: Abriss oder Erhalt: Das Tierversuchslabor der Freien Universität Berlin im April 2020
       
       Der Bau sieht tatsächlich aus wie ein gestrandeter Panzerkreuzer. Mit dem
       Bug voran ragt an der Krahmerstraße in Berlin-Lichterfelde ein
       schiffähnliches Ungetüm von 143 Metern Länge und 38 Metern Breite vor den
       Passierenden auf. Seine Aufbauten fluchten wie in neuestem Stealth Design
       schnittig in die Höhe. Bekrönt wird das mit Betonplatten gepanzerte Gebilde
       von Schornsteinen auf dem Dach, und rechts und links aus dem Rumpf ragt
       etwas heraus, das wie Geschützrohre aussieht. Es gibt sogar eine Art
       Kommandobrücke mit Fensterband, während an den Seiten nur kleine dreieckige
       Fensterluken Licht in den Rumpf lassen.
       
       Was sich der Architekt Gerd Hänska (teils mit seiner Frau Magdalena) ab
       Mitte der sechziger Jahre hier ausgedacht hat, wurde erst 1981
       fertiggestellt, nach fast zehnjähriger Bauzeit und mit Kosten, die um das
       32-Fache gestiegen waren auf 126,5 Millionen D-Mark. Aber auch die
       Funktion, die diese Architektur hat, birgt das Zeug für Albträume: Einige
       Tausend Tiere – hauptsächlich Ratten und Mäuse – wurden hier permanent für
       Forschung und Experimente gehalten, man kann auch sagen: beständig erzeugt
       und verbraucht.
       
       Das hat dem „Zentralen Tierlaboratorien“ der Freien Universität auch seinen
       Spitznamen eingetragen: [1][„Mäusebunker“.] Seit 2003
       „Forschungseinrichtung für Experimentelle Medizin“ der Charité fand der
       unheimliche Bau in der Vergangenheit nur dann einmal Beachtung, wenn wieder
       einmal Tierschützer davor demonstrierten. Nun, da die Charité ihre
       Tierversuche ganz nach Berlin-Buch verlegt, soll das Gebäude abgerissen
       werden.
       
       ## Betretbar nur mit Sauerstoffmaske
       
       Der Bau sei „nicht nachnutzbar“, erklärte Jochen Brinkmann, Leiter der
       Bauabteilung der Charité, noch einmal am 20. April. Wenn das Gebäude
       (wahrscheinlich im Sommer) komplett leer geräumt ist und die Klimaanlage
       abgestellt wird, wird das Haus nicht mehr betretbar sein – oder nur noch
       mit Sauerstoffmaske.
       
       Denn die dringendste Aufgabe des Mäusebunkers bestand darin, die Außenwelt
       vor seiner Innenwelt zu schützen, inklusive der Viren und Keime, und was
       man sich sonst nicht gern einfangen möchte. Die Geschützrohre sind deshalb
       auch in Wahrheit lange Luftansaugstützen für die ständig wegen der
       Körperwärme der Tiere zu kühlenden Labore. Aber die Gebäudetechnik ist
       veraltet und hat allein im letzten Jahr, nach Aussage von Brinkmann, rund 1
       Million Euro zur Kompensation von Havarien verbraucht.
       
       Auch deshalb hatte der Senat im Januar erklärt: „Eine mögliche und zudem
       wirtschaftliche Alternativnutzung des Bestandsgebäudes wird für die Bedarfe
       der Wissenschaft nicht gesehen.“ Und die Charité selbst erklärte bis vor
       Kurzem, sie plane „den Rückbau des Gebäudes, um auf der Grundstücksfläche
       einen Forschungscampus zu entwickeln“.
       
       ## Auftritt der Architekturhistoriker
       
       Doch inzwischen haben sich die Ereignisse überschlagen. Eine
       Initiativgruppe [2][„Rettet den Mäusebunker!“] hat im März eine
       Onlinepetition gestartet. In einem offenen Brief an den Regierenden
       Bürgermeister Michael Müller wird der Erhalt des Gebäudes gefordert (und
       des gegenüber auf der anderen Straßenseite gelegenen Instituts für Hygiene
       und Mikrobiologie der Architekturgemeinschaft Fehling & Gogel von 1974
       gleich dazu). Beide Gebäude waren ursprünglich Teil eines zusammen
       konzipierten Humanmedizinischen Zentrums und seien „unverzüglich unter
       Denkmalschutz zu stellen“.
       
       Mitte April folgten zwei weitere offene Briefe an den Regierenden: einer
       von K[3][ristin Feireiss von der Berliner Architekturgalerie AEDES und dem
       Architekturhistoriker Adrian von Buttlar] mit dem Appell „Wege der
       Bewahrung, Sanierung und nachhaltigen Umnutzung zu suchen“ und ein zweiter
       von Katalin Gennburg, der stadtentwicklungspolitischen Sprecherin der
       Berliner Linksfraktion, und Anh-Linh Ngo, Chefredakteur der
       Architekturzeitschritft ARCH+ mit der Bitte, „einen voreiligen Abriss (...)
       nicht zuzulassen“. Schon im letzten November hatte übrigens auch der
       Berliner Landesdenkmalrat eine Empfehlung zum Erhalt der Bauten abgegeben.
       
       ## Ideenworkshop der Charité
       
       Die Kampagnen für den Mäusebunker haben inzwischen dazu geführt, dass auch
       die Charité nun erst mal einen Ideenworkshop veranstalten will, wie der
       Standort an der Krahmerstraße zukünftig überhaupt zu entwickeln sei.
       Abrisse sind derweil ausgesetzt. Zusammen mit dem Senat und
       Landesdenkmalamt suche man nach möglichen Lösungen und Kompromissen zum
       Erhalt der plötzlich so hochgeschätzten Architekturikonen.
       
       Mäusebunker und Hygieneinstitut werden [4][gemeinhin dem Brutalismus]
       zugeordnet. Vor allem in den 1960er Jahren hatte dieser Architekturstil
       Konjunktur. Der leicht missverständliche Name geht auf den „beton brut“
       zurück, also den Sichtbeton, der bei Architekten wie Corbusier geradezu
       skulpturale Qualitäten entwickeln konnte und wegen seiner Rohheit,
       Offenheit und Ehrlichkeit seinerzeit geschätzt wurde. Vielleicht ist es
       gerade diese Mischung aus ästhetischer Individualität und einer Funktionen
       sichtbar machenden Gesinnung, die dem Brutalismus in letzter Zeit eine
       erstaunliche Fangemeinde eingebracht hat.
       
       Das [5][Frankfurter Architekturmuseum eröffnete 2017] dazu die
       [6][Ausstellung „SOS Brutalismus“.] Die zugrunde liegende Website listet
       1.700 Gebäude rund um den Globus auf und beklagt ihre Gefährdung.
       Vielleicht liegt die wachsende Beliebtheit des Brutalismus auch daran, dass
       er das Gegenteil dessen ist, was heute im Baugeschehen dominiert: banale
       Einheitsarchitektur mit verlogenen Steintapeten.
       
       So gesehen ergibt sich für den Erhalt des Mäusebunkers eine naheliegende
       Lösung: Natürlich müsste er als Mahnmal gegen Tierversuche begriffen
       werden, aber er sollte zugleich als Denkmal an eine Zeit erinnern, als
       Architektur – auch eine modern-funktionalistische – noch etwas mit Baukunst
       zu tun hatte.
       
       25 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-Wahrheit/!5593414
   DIR [2] http://xn--musebunker-q5a.de
   DIR [3] http://xn--musebunker-q5a.de/
   DIR [4] /Historikerin-ueber-Brutalismus/!5656203
   DIR [5] /Architekturausstellung-in-Frankfurt/M/!5469081
   DIR [6] http://www.sosbrutalism.org
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ronald Berg
       
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