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       # taz.de -- Pressearbeit in Corona-Krise: 120 Anfragen an einem Tag
       
       > Die Sprecherin des Robert-Koch-Instituts schafft es nicht mehr, alle
       > Anfragen zu beantworten. Wird aus der Corona-Krise eine
       > Informationskrise?
       
   IMG Bild: Beim Corona-Pressebriefing: Sprecherin Susanne Glasmacher und RKI-Vizepräsident Lars Schaade
       
       BERLIN taz | Susanne Glasmacher leitet die Pressestelle des
       Robert-Koch-Instituts (RKI) schon seit 20 Jahren. Krisen hatte sie immer
       wieder: Sars, die Schweinegrippe und auch Ehec. Doch nichts davon war so
       belastend wie Corona. „Damals gab es mal einen Tag mit 100 Anfragen, jetzt
       schon seit über drei Monaten täglich.“ Allein an einem „vergleichsweise
       ruhigen Tag“ Mitte April habe ihre Pressestelle 120 E-Mails erreicht. „Das
       ist schon brutal viel.“
       
       Für das Abarbeiten von Presseanfragen seien sie eigentlich nur zu zweit. In
       Krisen kämen noch mal ein bis zwei Kolleginnen dazu. „Das war’s“, sagt
       Glasmacher. Und dann erzählt sie von der aktuellen Überforderung. „Mein
       Leitbild war stets: Antworte allen. Das haben wir auch eine ganze Weile
       noch geschafft. Aber irgendwann mussten wir das aufgeben. Es ist nicht mehr
       zu schaffen.“ Sie sortiere nun, vor allem nach der Reichweite der Medien.
       
       Die Wissenschaftspressekonferenz hat mit der Coronakrise einen
       „Krisenstammtisch“ gegründet. An den Videokonferenzen nehmen bis zu 30
       Fachjournalist:innen teil. „Viele haben erzählt, dass sie bei einzelnen
       Pressestellen telefonisch gar nicht mehr durchkommen und auch auf E-Mails
       oft keine oder nur sehr knappe Reaktionen erhalten“, sagt
       Medizinjournalistin und Vorstand Nicola Kuhrt.
       
       Die Lage am [1][RKI, dem „derzeit für die wissenschaftliche
       Berichterstattung entscheidenden Nadelöhr“], sei schwierig, aber auch bei
       anderen Instituten, Universitäten und Gesundheitsministerien beim Bund und
       bei den Ländern.
       
       ## Die Großen haben es leichter
       
       „Wir sind dort gut vernetzt“, sagt Kuhrt, die selbst das Portal Medwatch
       mitgegründet hat und sonst für diverse Magazine berichtet. Expert:innen
       wollten sich bei öffentlichen Äußerungen aber mit ihrer Pressestelle
       abstimmen. „Das ist natürlich völlig in Ordnung. Es hilft aber nicht, wenn
       die Pressestelle dann drei Tage nicht erreichbar ist.“
       
       Vor allem in den großen Sendern halten sich die Schwierigkeiten in Grenzen.
       Der WDR, bei dem die Wissenschaftsredaktion Quarks angesiedelt ist, meldet
       mit der Frage, welche relevanten Fragen im Kontakt von Politik und RKI auf
       der Strecke blieben: „Nach unseren bisherigen Erfahrungen keine.“ Und für
       den Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, Theo Koll, sind die
       Informationszugänge „insgesamt gut in dieser Krisenphase“, auch zu
       politischen Akteuren – „als hätten sie plötzlich abends alle Zeit“. Es gibt
       aber auch andere Erfahrungen.
       
       NDR-Journalist Christian Baars recherchiert für „Tagesschau“ und
       „Panorama“. „Manchmal geht es richtig schnell, bei anderen Anfragen muss
       ich nachhaken“, sagt er über das RKI – wenngleich er Verständnis habe:
       „Gerade das RKI wird zugeballert mit Anfragen.“
       
       Ein größeres Problem habe er ohnehin mit dem Bundesgesundheitsministerium:
       „Dass da konkrete Fragen beantwortet würden, kann ich leider nicht
       berichten.“ Schon „ein paarmal“ habe er gar keine Antwort erhalten, und
       wenn, dann nur „allgemeine Statements“. Das sei schon früher so gewesen.
       „Aber es ist gerade in dieser Situation wahnsinnig unbefriedigend.“
       
       ## Verweis auf Zeitungsartikel
       
       Als Baars zu Beatmungsgeräten recherchierte, habe er nur einen Verweis auf
       eine Pressekonferenz und auf einen Zeitungsartikel erhalten – „nach ganzen
       zwei Tagen“. Medizinjournalistin Kuhrt hatte für den Stern zum selben
       Komplex Fragen gestellt. „Die Antwort kam auch, aber eine Woche später“,
       berichtet sie. „Da war das Stück längst gedruckt.“ Was sie nicht weiß:
       Warum die Antwort dauerte. „Solche Hinweise bleiben derzeit auf der
       Strecke. Da hält sich mein Verständnis für Verzögerungen eher in Grenzen.“
       
       Die Wissenschaftspressekonferenz hat in einem offenen Brief bessere
       Informationszugänge angemahnt. „Nach der Veröffentlichung gab es einige
       Gespräche“, berichtet Kuhrt. „Wir wissen, dass sich viele ernsthaft
       bemühen. Und dennoch sagen wir auch heute noch: Wir wünschen uns eine
       größere Unterstützung und auch eine Wertschätzung unserer Arbeit.“ Mit
       besseren Erklärungen könne zudem die Akzeptanz der Maßnahmen steigen.
       
       Könnten Journalist:innen ihre Anfragen koordinieren? RKI-Sprecherin
       Glasmacher berichtet immerhin: Sie erreiche „aus größeren Häusern Anfragen
       zur gleichen Fragestellung aus ganz unterschiedlichen Redaktionen“. Bei den
       Journalist:innen heißt es indes: Die Anforderungen etwa einer
       Nachrichtensendung oder -seite für schnelle Reaktionen sei anders als die
       eines Polit- oder Nachrichtenmagazins, das eher an Details interessiert
       sei. Also ist das eher keine Lösung.
       
       Eine andere Möglichkeit wären Datenbanken mit Antworten auf bereits
       gestellte Fragen. Damit würden Kapazitäten frei für neue Recherchen. Die
       Wissenschaftspressekonferenz überlegt zudem, gemeinsam mit der
       Bundespressekonferenz Vertreter:innen aus Wissenschaft und Politik
       einzuladen. „So könnten Kolleg:innen sowohl des Wissenschafts- als auch des
       Politikressorts gleichzeitig teilnehmen“, sagt Kuhrt. „Expertinnen und
       Experten müssten sich dann auch nicht mehr überlegen, wofür sie überhaupt
       Zeit haben.“
       
       ## Machtverschiebung in der Kommunikation
       
       Das Kölner Science Media Center, das auf eine Initiative der
       Wissenschaftspressekonferenz zurückgeht und von Stiftungen und
       Spender:innen finanziert wird, organisiert bereits seit Jahresbeginn
       „Pressebriefings“ zu Corona. An den Veranstaltungen nehmen neben
       Wissenschaftler:innen zwischen 25 und 90 Journalist:innen teil.
       
       Volker Stollorz, Leiter des Zentrums, beobachtet aber auch „eine
       Machtverschiebung“: Institutionen laden zunehmend selbst zu Runden ein.
       Dann würden aber nicht Journalist:innen moderieren, sondern die
       Wissenschaft sich selbst. Vor allem bei den Pressekonferenzen des RKI rate
       er zur Umsicht. Da es dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt sei,
       falle es eher nicht unter die Wissenschaftsfreiheit. Klar erkennbar sei
       dann auch das „One Voice Prinzip“: Auf den pro Woche zwei Pressekonferenzen
       des RKI spreche nur die Hausleitung. Abweichende Meinungen seinen keine zu
       hören, [2][obwohl Diskurs zwingend Teil der Wissenschaft sei].
       
       RKI-Sprecherin Glasmacher sagt wiederum, ihre Expert:innen müssten in
       dieser Lage sehr viel bewältigen und daneben auch wissenschaftlich
       publizieren. Gespräche mit Medien seien „in dieser Situation nur im
       Ausnahmefall möglich“. Ihren kleinen Apparat mal eben aufstocken, das
       funktioniere auch nicht. Und PR-Agenturen wären eher Risiko statt Hilfe:
       „Jede ungeschickte oder unpräzise Aussage wäre in der angespannten Lage ein
       Problem.“
       
       Wenn sie sich etwas wünschen könnte, sagt Glasmacher, dann wäre es, dass
       mehr Journalist:innen Verständnis hätten für ihre Situation. Sie tue
       jedenfalls mit ihrem Team, was sie könne, um so viele Anfragen wie möglich
       abzuarbeiten. Allein: „Wenn uns dann noch Einzelne in vier Tagen fünf
       Fragenkataloge schicken und dazu mehrfach anrufen, um ihrer Sache Nachdruck
       zu verleihen, dann fragen wir uns schon, ob das sein muss.“
       
       24 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
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   DIR Daniel Bouhs
       
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