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       # taz.de -- Radsport in der Coronakrise: Wer braucht Straßen?
       
       > Die großen Rundfahrten der Radprofis finden derzeit digital statt. Am
       > Sonntag endete die Tour de Suisse: Spitzensport mit einigen
       > Besonderheiten.
       
   IMG Bild: Gegenwind vom Ventilator: Profi Fabian Lienhard bei der digitalen Tour de Suisse
       
       Der Schweiß ist echt, die Abstände sind errechnet, und manchmal kochen
       sogar Emotionen hoch. Die Rede ist von der virtuellen Tour de Suisse für
       Radprofis, die von Mittwoch bis Sonntag stattfand.
       
       Das Modell [1][digitaler Radrennen] wird in diesen Coronazeiten populär.
       Sportlicher Höhepunkt der Rennserie war bislang der vierte Durchgang der
       Digital Swiss, der am Samstag mit einem packenden Zweikampf zwischen dem
       Australier Michael Matthews und dem Schweizer Stefan Küng endete.
       
       Matthews sah lange wie der sichere Sieger auf dem 36,8 Kilometer langen
       Kurs zwischen Oberlangenegg und Langnau aus. Etwa einen Kilometer vor dem
       Ziel zog Küng vorbei und durfte bereits zum zweiten Mal bei diesem
       virtuellen Rennen jubeln.
       
       Die Kommentatoren gerieten schier aus dem Häuschen, hielten die Aktion für
       spannender als viele Zeitfahren bei analogen Rennen – zu Recht. Die
       Differenz zwischen Matthews und Küng war stets in Metern angegeben. Für das
       in Sachen Raumdaten besser „verdrahtete“ menschliche Hirn ist dies intuitiv
       leichter verarbeitbar als die Sekundenabstände, die in „echten“ Rennen
       angegeben werden. Und auch auf der virtuellen Bühne waren die Avatare der
       beiden Profis in unmittelbarer Nähe dargestellt.
       
       Bei allen fünf Digital-Swiss-Zeitfahren fuhren die Athleten als Solisten,
       Windschatteneffekte gab es nicht. Jeder trat für sich. Weil sie das
       parallel taten, konnten die Avatare dann auf der virtuellen Karte
       übereinander gelegt werden – und wenn sie nahe waren, sogar nebeneinander.
       
       ## Grobschlächtiger Avatar
       
       Immer wieder wurden die Fahrer eingeblendet, wie sie auf ihren Rollen
       saßen. Manche in der Garage, manche im Wohnzimmer, die glücklicheren auf
       der Terrasse. Diese Umschnitte hatten zuweilen drollige Effekte. Als Rohan
       Dennis, Sieger der ersten Etappe der Digital Swiss, den Zielstrich
       überquerte, hob sein Avatar grobschlächtig animiert die Arme. Der originale
       Dennis hielt die Hände hingegen weiter am Lenker.
       
       Den einen oder anderen Lacher lösten auch Autos und Fahrräder aus, die in
       der Animation in Gegenrichtung vorbeisausten. Sie waren bei der
       Aufzeichnung der Strecke mit 360-Grad-Kameras eben unterwegs gewesen und
       wurden aus dem Parcours nicht herausgerechnet.
       
       Sogar erste „Virtuals“ gab es, Pannen also, die von Problemen des
       technischen Setups herrührten. Der Schweizer Mathias Frank verschwand sehr
       schnell bei Tag eins der Digital Swiss – wahrscheinlich hatte sein WLAN
       ausgesetzt.
       
       Es gibt noch mehr Defizite: Weil es keinen Windschatten gibt – solche
       Effekte errechnet bislang nur die nicht verwendete Plattform Zwift –,
       entfällt der Teamaspekt komplett. Auch Fahrkünste in Kurven und bei
       Abfahrten spielen keine Rolle. Das Lenken übernimmt das Programm, der
       Mensch muss nur treten. Deshalb waren gute Zeitfahrer oft auch in den
       Klassements vorn.
       
       Bei den Anstiegen mussten die Sportler umdenken. „Du musst die Strecke
       antizipieren und viel früher den richtigen Gang auflegen“, erklärt Domenico
       Pozzovivo, der beim virtuellen Giro d'Italia mitfährt. Kommt auf dem
       virtuellen Kurs ein Anstieg, wird der Widerstand auf den Pedalen ruckartig
       größer. Wer da noch nicht umgeschaltet hat, dessen Muskulatur erwartet
       einen heftigen Schlag. „Beim Rennen draußen siehst du ja, wann der Berg
       beginnt, und kannst dich darauf einstellen“, sagt Pozzovivo.
       
       Ein großes Problem der virtuellen Rennen ist, dass die jeweiligen Geräte
       nicht kalibriert sind. Messunterschiede von 2,5 Prozent sind möglich, bei
       400 Watt sind das bis zu 20 Watt, die der eine mehr und der andere im
       Klassement weniger haben kann, obwohl beide die gleiche Leistung erbringen.
       Deshalb, und auch weil Tricksereien bei der Gewichtsangabe schwer zu
       überprüfen sind, herrscht bei vielen Profis Skepsis.
       
       Als Abwechslung zum Lockdown sind digitale Rennen für viele jedoch
       attraktiv. Und der virtuelle Giro d’Italia, der bis zum 10. Mai verlängert
       wurde, setzt sogar Zukunftszeichen. An ihm nehmen [2][weibliche und
       männliche Profis zugleich] teil. Sie werden auch gleichberechtigt in die
       Live-Übertragung eingebunden. Am Ende gibt es das Klassement für Frauen und
       das für die Männer.
       
       26 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tom Mustroph
       
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