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       # taz.de -- Zahlen zu antimuslimischen Rassismus: Muslime erfahren immer mehr Hass
       
       > Verdoppelung der Vorfälle: Die Diskriminierung nimmt beänstigend zu, sagt
       > das Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (Inssan).
       
   IMG Bild: Im Bereich Bildung reichen die Vorfälle von abfälligen Bemerkungen bis hin zu Kopftuchverboten
       
       Berlin taz | Eine Frau arbeitet seit zwölf Jahren bei einem großen
       Unternehmen der Digitalwirtschaft in Mitte. Als sie ihren Arbeitgeber 2019
       informiert, dass sie aufgrund ihres muslimischen Glaubens künftig lange
       Kleidung und Kopftuch tragen wird, widerspricht er: Sie solle sich einen
       neuen Job suchen.
       
       Fälle wie dieser sind keine Seltenheit – im Gegenteil. Die Beschwerden über
       antismuslimischen Rassismus, die beim Netzwerk gegen Diskriminierung und
       Islamfeindlichkeit (Inssan), einlaufen, nehmen Jahr für Jahr zu. Seit 2016
       erfasst die Anlaufstelle systematisch Beleidigungen, Anfeindungen,
       Benachteiligungen bis tätliche Angriffe auf Muslim*innen und Menschen, die
       als solche angesehen werden.
       
       Am Dienstag stellte Inssan die Zahlen erstmals bei einer
       Online-Pressekonferenz vor. Danach wurden 2019 insgesamt 265 Vorfälle
       gemeldet, das waren 50 Prozent mehr als im Vorjahr (2018: 176), und über
       100 Prozent mehr als 2017 (115) und 2016 (110). „Antimuslimische
       Ressentiments sind in breiten Gesellschaftsschichten verankert. Hunderte
       Menschen werden tagtäglich in Berlin als fremd und nicht zugehörig
       markiert, ihr grundlegendes Recht auf gleiche Teilhabe immer wieder
       angegriffen“, sagte Seynep Cetin, Projektleiterin von Inssan. Dabei seien
       die Vorfälle, die Inssan gemeldet werden, sicher nicht repräsentativ: Die
       Dunkelziffer dürfte weit höher liegen.
       
       Nach Auswertung aller Beschwerden ereignen sich laut Inssan 51 Prozent der
       Vorkommnisse im „sozialen Nahraum“, also auf der Straße, im öffentlichen
       Nahverkehr, im Haus oder auf dem Spielplatz. Hassmails und Drohungen im
       Internet, die erst seit 2018 erfasst werden, machen inzwischen 19 Prozent
       der Vorfälle aus.
       
       ## Antidiskriminierungsgesetz des Landes geplant
       
       Im Bereich Bildung, erklärte Cetin, reichten die Vorfälle von abfälligen
       Bemerkungen seitens der LehrerInnen über schlechtere Noten bis hin zu
       Kopftuchverboten. Auf Nachfrage der taz sagte sie, dass sie allein im
       vorigen Jahr vier Beschwerden bekommen hätten, dass Schulen Mädchen das
       Kopftuchtragen verboten hätten – entgegen den gesetzlichen Bestimmungen.
       „In einem Fall mussten wir sogar die Schulaufsicht einschalten, weil der
       Schulleiter nicht wollte, dass ein Mädchen mit Kopftuch am Unterricht
       teilnimmt.“
       
       Sie hoffe, so Cetin, dass sich solche Vorkommnisse mit dem geplanten
       Landesantidiskriminierungsgesetz erledigen werden. Das Gesetz sieht eine
       Klagemöglichkeit für Betroffene gegenüber diskriminierenden Behörden und
       staatlichen Institutionen, etwa Schulen, vor. Es sollte im November
       verabschiedet werden, doch offenbar gibt es noch Beratungsbedarf innerhalb
       der rot-rot-grünen Koalition.
       
       Was die Diskriminierungsgründe angeht, so hat Inssan festgestellt, dass
       diese oft intersektional verschränkt sind, sprich: Diskriminierung aufgrund
       der Religion, Ethnizität, des Geschlechts oder sozialen Status überlappen
       sich. So wurden laut der Zahlen für das vorige Jahr 225 der meldenden
       Personen vordergründig aufgrund ihrer islamischen Religionszugehörigkeit
       diskriminiert. 162 Muslim*innen erfuhren zudem auch aufgrund ihrer
       (zugeschriebenen) ethnischen Herkunft Anfeindungen und 124 Personen auch
       aufgrund ihres Geschlechtes. Insgesamt sind laut Bericht Frauen mit 54,7
       Prozent öfter Opfer von Diskriminierung – oder meldeten sich häufiger.
       
       Vom Senat fordert Inssan mehr Geld, um die Beratungs- und
       Dokumentationsstelle ausbauen zu können und „eine gesicherte Förderung der
       oft ehrenamtlich geleisteten Beratungsarbeit“, so Cetin. Es müssten aber
       auch antimuslimisch-rassistische Debatten vor allem in Politik und
       staatlichen Einrichtungen als solche klar benannt und entschieden
       angegangen werden.
       
       Kati Becker, Leiterin der Berliner Registerstellen, die ebenfalls seit
       Jahren rassistische Vorfälle dokumentieren, bestätigte bei der PK die von
       Inssan beobachtete Tendenz: Im Bereich antimuslimischer Rassismus hätten
       die Register 2019 im Vergleich zu 2018 eine Verdoppelung der Vorfälle
       registriert.
       
       28 Apr 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
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