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       # taz.de -- Streit über Abtreibungen in Polen: Von der Wut der Frauen überrollt
       
       > Seit Jahren will Polens Regierungspartei PiS das ohnehin restriktive
       > Abtreibungsrecht weiter verschärfen. Doch der massive Protest zeigt
       > Wirkung.
       
   IMG Bild: Protest trotz Corona: Autokorso gegen das neue Abtreibungsgesetz in Warschau
       
       WARSCHAU taz | Mit einem [1][so massiven Frauenprotest hatten Polens
       Nationalpopulisten] von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS)
       nicht gerechnet. Vielmehr schien ihnen der Corona-Ausnahmezustand mit
       aufgehobenem Demonstrationsrecht ein geradezu idealer Zeitpunkt zu sein, um
       erneut über ein fast totales Abtreibungsverbot zu debattieren.
       
       Ein paar Feministinnen, die hupend einen Warschauer Kreisverkehr
       blockierten oder mit umgehängten Plakaten zum nächsten Laden liefen, um
       sich dort im Abstand von zwei Metern in die Schlange zu stellen und
       lautstark zu protestieren – das glaubten die Politiker aushalten zu können.
       Doch dann überlasteten abertausende Protest-E-Mails ihre Posteingänge. Ihre
       Facebook-, Twitter- und Instagram-Seiten verwandelten sich in
       Protest-Tapeten wütender Frauen.
       
       Die PiS hat wieder einmal Polens geballte Frauenpower unterschätzt. Schon
       2016, als die Verschärfung des ohnehin sehr restriktiven Abtreibungsrechts
       zur Debatte stand, hatten hunderttausende Polinnen mit ihren „schwarzen
       Protesten“ die PiS dazu gezwungen, das Gesetzesprojekt fallen zu lassen.
       Auch 2018 schwenkten sie vor dem Sejm, dem polnischen Unterhaus,
       Blechkleiderbügel und warnten damit vor einer brutalen „Selbsthilfe“,
       sollten Schwangere zum Austragen schwerbehinderter Kinder gezwungen werden.
       
       Dieses Mal lehnte sich Präsident Andrzej Duda kurz vor der erneuten Debatte
       besonders weit aus dem Fenster. Dem katholischen Wochenblatt Der Sonntag
       sagte er: „Ich bin ein entschiedener Gegner der eugenischen Abtreibung und
       glaube, dass das Töten von Kindern mit Behinderungen einfach Mord ist. Wenn
       dieses Gesetzesprojekt auf meinem Schreibtisch liegt, wird es auf jeden
       Fall von mir unterzeichnet werden.“
       
       ## Gesetz für den „Gefrierschrank“
       
       Schon jetzt ist ein Schwangerschaftsabbruch in Polen nur in drei Fällen
       legal: wenn Gefahr für Leib und Leben der werdenden Mutter droht, bei einer
       schweren Missbildung des Fötus oder nach einer Vergewaltigung.
       
       Initiatorin der erneuten Gesetzesinitiative ist Kaja Godek und ihr
       Pro-Life-Verein „Stiftung Leben und Familie“. Angeblich, so Godek während
       der Debatte im Sejm, würden in Polen „Menschen lebendig und ohne Betäubung
       zerstückelt“. Es gebe nur eine Wahl: „Bist Du für das Töten oder bist Du
       dagegen?“ Laut einer Statistik des Gesundheitsministeriums nahmen polnische
       Kliniken 2018 gerade einmal 1.100 Abtreibungen vor. In rund 1.050 Fällen
       lautete die Diagnose „Fehlbildung des Fötus“, darunter knapp 200 Ungeborene
       mit Downsyndrom.
       
       Am Donnerstag nahm der Sejm zwar mit der Mehrheit der PiS-Stimmen das
       Gesetzesprojekt in erster Lesung an, verwies es aber in gleich zwei
       Sejm-Ausschüsse. Die ersten beiden Godek-Projekte lagen mehrere Jahre in
       diesem „Gefrierschrank“, wie man in Polen sagt, und wurden schließlich
       wegen der „schwarzen Proteste““ abgelehnt. Das kann auch diesem Projekt
       passieren.
       
       Duda, der [2][Mitte Mai erneut zum Präsidenten Polens gewählt werden will],
       sieht sich nun auf seinem Instagram-Konto mit tausenden Protest-Bildern
       empörter Frauen konfrontiert. Umfragen zufolge wollen die meisten Polen und
       Polinnen keine Verschärfung des Abtreibungsrechts, sondern eine
       Fristenlösung, so wie sie in vielen Ländern Westeuropas üblich ist. Das
       könnte Duda die Wahl kosten.
       
       17 Apr 2020
       
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   DIR Gabriele Lesser
       
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