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       # taz.de -- Frauenhäuser in Brandenburg: Für die Frauen da sein
       
       > Generationswechsel in vielen Brandenburger Frauenhäusern:
       > Mitarbeiterinnen der ersten Stunde hören auf. Nicht überall finden sich
       > Nachfolgerinnen.
       
   IMG Bild: Christiane Mück-Hannemann (li.) und Juliane Moosdorf vom Frauenhaus Brandenburg an der Havel
       
       Rathenow/Brandenburg an der Havel taz | In ihren Bereitschaftswochen hat
       Catrin Seeger das Telefon immer griffbereit. „Ich trage es in der Tasche im
       Saunabademantel, nehme es mit ins Fitnessstudio, auf dem Fahrrad oder es
       liegt auf den Nachttisch“, sagt sie. „Oft laufe ich abends noch nach unten,
       weil ich es im Flur liegen gelassen habe.“
       
       Catrin Seeger leitet das Beratungs- und Krisenzentrum für Frauen in
       Rathenow. Wenn das Bereitschaftstelefon klingelt, kann alles passieren.
       „Manchmal ruft die Polizei an und wir müssen nachts raus, um eine Frau
       aufzunehmen. Oder wir müssen ins Krankenhaus oder eine Frau irgendwohin
       begleiten. Da muss man einfach spontan sein“, sagt Seeger. Für den
       Bereitschaftsdienst bekommt sie kein Geld, nur einen Tag Freizeitausgleich
       pro Woche Telefondienst.
       
       Das Frauenhaus in Rathenow wurde 1993 eröffnet. Seeger hat es mit
       aufgebaut, mit drei weiteren Mitstreiterinnen, neben ihrer Arbeit als
       Erzieherin. „Am Anfang sind wir alle im Helfersyndrom untergegangen“, sagt
       sie. Und nicht nur ihr Verein in Rathenow. Ähnliche frauenpolitische
       Vereine entstanden derzeit in vielen Orten, etwa in Eisenhüttenstadt,
       Frankfurt (Oder), Wittenberge, Fürstenwalde, Brandenburg an der Havel. Die
       Aktivistinnen, die sich damals zusammenfanden, dachten, dass sie für
       gewaltbetroffenen Frauen alles regeln könnten.
       
       Dann wurden die Vereine professioneller und setzten auf Hilfe zur
       Selbsthilfe. Sie selbst erhielten Unterstützung vom Land, das in den 1990er
       Jahren eine Fortbildung für Frauenhausmitarbeiterinnen finanzierte, in der
       viele der Vereinsgründerinnen ein Zertifikat zur Diplomsozialarbeiterin
       erwarben und etwa Gesprächsführung und Supervision lernten. „Die
       Fortbildung war eine tolle Zeit“, erinnert sich Seeger. „Wir kamen ja alle
       querbeet aus unterschiedlichen Berufen, aber hatten alle ein Ziel.“
       
       ## „Mich hat die Aufgabe gepackt“
       
       Aus der Fortbildung ist im März 1995 das Netzwerk der brandenburgischen
       Frauenhäuser (NBF) hervorgegangen. Seeger selbst war eigentlich Erzieherin,
       gab den Job aber für den Verein auf. Sie war nicht die Einzige, die sich
       von der Aufbruchstimmung damals anstecken ließ.
       
       Irmtraud Paschke, die sich im Verein für ein Frauenhaus in Eisenhüttenstadt
       engagierte, kündigte ihre Stelle als Unterstufenlehrerin, um als ABM-Kraft
       im neu gegründeten Frauenhaus anzufangen. „Das Finanzielle war mir damals
       nicht so wichtig“, sagt Paschke. „Mich hat die Aufgabe gepackt. Ich hatte
       früh drei Kinder bekommen und das Gefühl, sowohl in meinem Beruf als
       Lehrerin als auch zu Hause die ganze Zeit nur Hausaufgaben zu
       kontrollieren“, sagt sie. „Ich wollte etwas anderes, und was ich über
       Frauenhäuser gelesen habe, hat mich sehr bewegt.“
       
       Zur Professionalisierung habe auch der Kontakt zu Frauenhäusern in
       Westberlin und Westdeutschland beigetragen. „War waren dort auf Tagungen,
       aber wir hatten es dort auch nicht leicht, denn unsere Vereine und
       Frauenhäuser hatten ja eine ganz andere Entstehungsgeschichte, vieles war
       nicht vergleichbar“, sagt Seeger.
       
       Zum Beispiel hätten sie in Brandenburg von Anfang an mit der Verwaltung in
       den Kommunen und mit den Ministerien geredet. Das kam bei den Frauenhäusern
       im Westen nicht so gut an. Auch dass sie mit Jungen gearbeitet hätten, sei
       oft auf Unverständnis gestoßen. „Dort sah man in den Jungen schon die Täter
       von morgen“, erinnert sich Seeger. „Die Häuser dort hatten meist auch eine
       Quote für lesbische Mitarbeiterinnen. Uns gaben sie das Gefühl: Ihr lebt in
       Hetero-Beziehungen und als verheiratete Frauen könnt ihr gar nicht
       frauenparteilich arbeiten“, sagt sie. „Das war die Haltung, mit der sie uns
       im Westen begegnet sind, und das hat mir damals sehr wehgetan.“
       
       In Brandenburg saß der Widerstand anfangs teils in den
       Stadtverordnetenversammlungen, dort galten wir als Emanzen und
       Männerhasserinnen und mussten immer wieder begründen, warum wir
       Frauenhäuser brauchen“, sagt Paschke. „Oft hieß es einfach: Die hatten wir
       doch vorher auch nicht!“
       
       ## Keine Frauenhäuser in der DDR
       
       Denn in der DDR hatte es keine Frauenhäuser gegeben. Das Problem allerdings
       schon, sagt Seeger. „Ich bin auch so ein Kind: mein Vater hat meine Mama
       verprügelt.“ Jahrelang habe er die Mutter misshandelt. „Bei ihr habe ich es
       ja gesehen: Es gab nichts, wo sie hätte hingehen können.“
       
       Die Frauenvereine bekamen aber nicht nur Gegenwind. Die Stadt Rathenow etwa
       wollte unbedingt ein Frauenhaus und übergab Seegers Verein 1992 eine
       ehemalige Kinderkrippe erst zur kostenfreien Nutzung, später mit
       Erbbaupachtvertrag. „Privat wollte ich nie ein Haus haben – und nun hatten
       wir auf einmal eins, Baujahr 1903, mit Garten bis ans Wasser, das wir dann
       auch noch umbauen mussten“, sagt Seeger. „Plötzlich mussten wir uns mit
       einer Sickergrube auseinandersetzen. Ständig stand das Wasser in der
       Küche.“
       
       Trotz eigener Häuser und trotz der wachsenden Anerkennung ist die
       Finanzierung ihrer Arbeit bis heute wacklig. „Über die Jahre haben wir den
       zweiten Arbeitsmarkt regelrecht abgegrast, wir hatten alles, auch
       1-Euro-Jobs“, sagt Seeger, die wie Irmtraud Paschke zunächst selbst auf
       einer ABM-Stelle arbeitete. Planungssicherheit gab es nie, die meisten
       Mitarbeiterinnen bekommen nur Einjahresverträge. Und im Laufe der Zeit
       kamen zu den Schutzwohnungen immer mehr Arbeitsbereiche hinzu: ambulante
       Beratung, die Interventionsstelle mit proaktiver Beratung,
       Migrationssozialarbeit und Öffentlichkeitsarbeit. „Wir haben immer mehr
       gemacht, aber nie mehr bekommen“, sagt Seeger.
       
       ## Freiwillige Leistungen
       
       Frauenhäuser werden pro Landkreis oder kreisfreier Stadt mit einem
       Sockelbeitrag zu 60 Prozent vom Land Brandenburg unterstützt, wenn die
       Kommunen 40 Prozent beisteuern – doch das ist eine freiwillige Leistung.
       Dazu kommen teilweise noch Tagessätze und Spenden. Die Frauenhäuser fordern
       deshalb ein Frauenhausfinanzierungsgesetz, das sie zu einer verpflichtenden
       Leistung machen würde.
       
       Sie befürchten gerade jetzt, dass die freiwilligen Leistungen als Erstes
       wegfallen, wenn in den Kommunen wegen der Coronakrise die Finanzen knapper
       werden. Außerdem führt diese Förderlogik dazu, dass eigentlich nur ein Haus
       pro Kreis die volle Summe bekommt, in den Kreisen Oder-Spree oder
       Teltow-Fläming mit je zwei Häusern müssen diese sich das Geld aufteilen.
       
       Brandenburgs Gesundheits- und Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne)
       hofft, dass die Frauenhäuser unbeschadet durch die Krise kommen, und will
       sich weiter für ihren Erhalt einsetzen. Für 2021 wird sie eine
       Frauenhausförderrichtlinie erlassen, die besser auf regionale Bedarfe
       eingehen soll. Auch ein Frauenhausfinanzierungsgesetz befürwortet
       Nonnemacher, sieht hier aber den Bund in der Pflicht.
       
       „Wir haben die Förderung der Frauenhäuser im Koalitionsvertrag
       festgeschrieben, perspektivisch wollen wir die Platzangaben der
       Istanbul-Konvention erfüllen“, sagt die Ministerin gegenüber der taz. Um
       dies zu erreichen, müsste allerdings nach Angaben des Netzwerks die Zahl
       der Zimmer verdoppelt werden. Seit 2019 ermöglicht das Land den Häusern
       außerdem, eine Erzieherin einzustellen, die mit den Kindern arbeiten. „Dies
       ist wichtig, um die neue Generation zu schützen“, sagt Nonnemacher.
       
       ## Wohlfahrtsverbände kommen ins Spiel
       
       Inzwischen haben viele Frauenhausmitarbeiterinnen der ersten Stunde in
       Brandenburg das Rentnerinnenalter erreicht. Und damit bröckelt auch
       teilweise die Struktur der Frauenhäuser im Land – und der Leitgedanke der
       Eigenverantwortung: Waren anfangs noch mehr als die Hälfte von Vereinen wie
       „Frauen helfen Frauen“, oder „Frauenstammtisch Ludwigsfelde“ getragen, sind
       inzwischen nur noch 10 der insgesamt 22 Frauenhäuser in autonomer
       Trägerschaft.
       
       Nicht überall konnten Nachfolgerinnen gefunden werden, nicht überall wird
       die Arbeit der in den 1990ern gegründeten Vereine weitergeführt. Das Haus
       in Frankfurt (Oder), das anfangs vielen als Vorbild galt, war zwischendurch
       ein Jahr ganz geschlossen und wurde 2019 von den Johannitern übernommen.
       
       Die Frauennotwohnung in Spremberg wird von der Volkssolidarität
       weitergeführt, der dahinterstehende Verein löst sich auf. Zuletzt ist das
       Frauenhaus in Luckenwalde und Ludwigsfelde an einen Bildungsträger aus
       Strausberg übergegangen. „Das tut uns von den autonomen Vereinen, die wir
       einen anderen Anspruch haben, schon weh“, sagt Seeger.
       
       Die Vereine haben ihre Arbeit immer als dezidiert feministisch verstanden
       und immer Partei für die Frauen ergriffen. Dies könnte sich aufweichen,
       wenn mehr Wohlfahrtsverbände ins Spiel kommen, fürchtet sie. „Es war
       anfangs schon ein Kampf, ob wir auch andere Träger ins Netzwerk aufnehmen.
       Denn damit haben wir ja eventuell männliche Geschäftsführer mit drin, die
       in unseren Belangen mitmischen.“
       
       ## Sie macht weiter
       
       In Rathenow haben sie lange nach einer neuen Mitarbeiterin gesucht. „Wir
       hatten eine Bewerberin, aber sie war alleinerziehend mit einer vierjährigen
       Tochter. Das geht dann nicht mit dem Bereitschaftstelefon, sie kann die
       Tochter ja nachts nicht allein lassen, falls sie losmuss“, sagt Seeger.
       Auch sonst könnten sie keine Kernarbeitszeiten anbieten. „Es findet sich
       oft niemand, der zu diesen Bedingungen arbeiten möchte oder arbeiten kann“,
       sagt sie. Erschwerend komme hinzu, dass zwingend eine Sozialarbeiterin in
       den Frauenhäusern arbeiten müsse, auch wenn sie inzwischen Erzieherinnen
       für die Kinder einstellen könnten. „Wir merken, dass überall pädagogisches
       Personal gesucht wird“, sagt Seeger.
       
       Irmtraud Paschke aus Eisenhüttenstadt wollte eigentlich schon mit 65 Jahren
       aufhören – das war 2014. Doch da sich keine Sozialarbeiterin als
       Nachfolgerin fand, machte sie weiter, inzwischen ist sie 70 Jahre alt. Das
       ganze letzte Jahr suchten sie über Anzeigen vergebens, ein Aushang an der
       Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) brachte im Dezember
       schließlich eine Bewerbung ein: Eine junge Studentin aus Aserbaidschan
       stellte sich vor. Bis April dauerte es noch, bis sie alle nötigen Papiere
       beisammenhatte.
       
       Paschke ist erleichtert und freut sich über die Kollegin, die neben ihrer
       Muttersprache auch Deutsch, Russisch, Englisch und Türkisch spricht und
       internationale soziale Arbeit studiert hat. Gute Voraussetzungen, denn
       inzwischen kommen auch viele Frauen, die nicht Deutsch sprechen, bei den
       Frauenhäusern und in der Beratung an. „Wenn wir niemanden gefunden hätten,
       hätten wir aufhören müssen“, sagt Paschke.
       
       Catrin Seeger ist 60 Jahre alt. „Ich werde es bis zum Ende machen, das wäre
       im November 2025. Und dann müsste ich wohl aus Rathenow wegziehen, um
       loslassen zu können“, sagt sie.
       
       Bis dahin hat sie weiter Pläne. „Ich möchte ein neues, barrierefreies Haus,
       und ich möchte, dass alles gut vorbereitet ist für die Nachfolge, damit sie
       mehr inhaltlich arbeiten können als wir“, sagt Seeger. Das sei ihr Ziel von
       Anfang an gewesen. „Wir wollten für die Frauen da sein. Aber wir machen
       alle Verwaltung, Abrechnungen, Reparaturen und Lobbyarbeit, wir müssen bei
       den Kommunen Gelder einwerben und Glühbirnen austauschen und nebenbei einer
       gerade angekommenen Frau den Gewaltkreislauf erklären. Das kann es nicht
       sein“, sagt Seeger. „Mein Job ist, für die Frauen da zu sein, und alle
       zusätzliche Kraft sollte ich in Präventionsarbeit stecken.“ Uta
       Schleiermacher
       
       ## Protokoll Eins: „Viele warten und zögern lange“
       
       ## Christel Mück-Hannemann (68) hat das Frauenhaus in Brandenburg an der
       Havel mit aufgebaut und geht in Ruhestand
       
       Mit der Wende habe ich mit der Frauenarbeit angefangen. Ich habe damals im
       Stahlwerk in Brandenburg an der Havel gearbeitet. Wir haben gesehen, dass
       Frauen schnell entlassen worden sind, und mit Gleichgesinnten haben wir
       einen unabhängigen Frauenverband gegründet, um uns politisch für Frauen
       stark zu machen, für arbeitssuchende und gewaltbetroffene Frauen. Aber uns
       hat politisch die Kraft gefehlt, alle Themen anzugehen, und so haben wir
       uns auf die Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen konzentriert.
       
       In der DDR gab es ja keine Frauenhäuser. Ich habe den Eindruck, dass die
       soziale Kontrolle höher war. Frauen hatten die Möglichkeit, sich der
       Gewerkschaft oder einer Vertrauensfrau im Betrieb anzuvertrauen. Es gab
       dann wohl Rügen oder Strafen für die Männer. Aber oft gab es nicht
       ausreichend Wohnungen, sodass Frauen auch nach einer Scheidung weiter mit
       dem Mann unter einem Dach leben mussten. Ich habe nach der Wende Fälle
       erlebt, wo arbeitslos gewordene Männer alles daran gesetzt haben, dass auch
       die Frau ihren Job verliert, weil es sie in ihrer Ehre gekränkt hat.
       
       Mit unserem Verein haben wir beim Ministerium offene Türen eingerannt und
       haben 100.000 DM bekommen – das waren Summen, die wir zunächst gar nicht
       greifen konnten. Gerade in der Anfangszeit war die gegenseitige
       Unterstützung groß, die Maler-Azubis haben bei uns renoviert, andere haben
       Möbel transportiert, die wir brauchten.
       
       Die Beratung kam für uns erst später dazu, weil wir die Frauen, die nicht
       gleich zu uns ziehen konnten oder wollten, nicht im Regen stehenlassen
       wollten. Wichtig ist eine Beratung rund um die Uhr, denn die Frauen können
       nicht erst auf einen Termin warten und können auch nicht zu jeder Zeit. Sie
       brauchen jemanden, wenn sie den Mut finden oder eine kurze Zeit Freiheit
       haben.
       
       Viele warten und zögern lange. Frauen blenden oft die Gefahr aus, wie weit
       Männer gehen können, ich habe oft gehört: „Er droht ja nur.“ Deshalb raten
       wir auch dazu, die letzte Aussprache auf keinen Fall in den eigenen vier
       Wänden zuzulassen, sondern nur da, wo die Frauen auch Hilfe erwarten
       können. Viele Frauen sind auch psychisch instabil oder entwickeln eine
       Sucht, und das kann ihnen zum Verhängnis werden, weil der Mann dann vor
       Gericht das gegen sie verwenden kann. Wir merken, wie wichtig es ist, dass
       wir sie auch zu Behörden begleiten, denn wir achten darauf, dass sie dort
       auch alles erzählen, was wichtig ist.
       
       Wir hatten hier schon Frauen in drei Generationen im Haus, die waren im
       Strudel drin. Da haben die Töchter schon als Kinder die Gewalt
       kennengelernt und später selbst solche Beziehungen geführt.
       
       Die Gesetze zum Schutz von Frauen setzen sich nicht von selbst um: Wir
       haben uns mit Richter*innen, Rechtspfleger*innen und Polizist*innen an
       einen Tisch gesetzt und es hat etwa beim Gewaltschutzgesetz ein Jahr
       gedauert, bis wir mit der Umsetzung zufrieden waren. Auch haben wir
       gelernt, dass wir nicht alles erfüllen müssen. Bei begleitetem Umgang gehen
       wir inzwischen nicht mehr mit, die Männer haben uns sowieso nur beäugt und
       verdächtigt, die Frauen gegen sie aufzuhetzen. Das ist Sache des
       Jugendamts, wir lassen uns da nicht mehr reinschicken.
       
       Seit einem halben Jahr habe ich keine Bereitschaft mehr. Da habe ich erst
       gemerkt, was das für eine Last war. Ich merke auch einen Generationswechsel
       bei unseren Ansprechpartner*innen. Die, die ich kannte, hören auch langsam
       auf; ich bin froh, dass ich kein neues Netzwerk aufbauen muss.
       
       Meine Nachfolgerin ist engagiert, sie wird die Kontakte weiterführen. Sie
       wird sicher andere Wege gehen, und sie hat auch schon gemerkt, wie
       schwierig einiges ist, aber sie ist frauenrelevant eingestellt und erfüllt
       alle Wünsche, die ich an eine Nachfolgerin hätte haben können. Protokoll:
       Uta Schleiermacher
       
       ## Protokoll Zwei: „Prävention geht im Haushalt los“
       
       ## Sozialarbeiterin Juliane Moosdorf (38) arbeitet seit Februar im
       Frauenhaus in Brandenburg – und übernimmt den Staffelstab von Christel
       Mück-Hannemann
       
       Die Arbeit mit Frauen und Mädchen fand ich schon im Studium spannend, ich
       hatte engagierte Professor*innen und Mentor*innen und mich viel mit
       Sexualpädagogik beschäftigt. Bevor ich ins Frauenhaus gekommen bin, habe
       ich Mädchensozialarbeit und Mädchenarbeit in der Stadt gemacht.
       
       Für mich geht Prävention gegen Gewalt gegen Frauen mit gemeinsamem
       Wäschewaschen los, bei der Aufgabenverteilung im Haushalt. Ich finde es
       wichtig, dass die Sorgelast gleichmäßig zwischen Männern und Frauen
       verteilt ist. Geschlechtergerechte Pädagogik ist die Vorstufe.
       
       Vieles im sozialen Bereich funktioniert gut, weil engagierte Menschen
       bereit sind, zu harten Bedingungen zu arbeiten. Das ist eine Stütze, auf
       der sich die Gesellschaft ausruhen kann. Ich finde, es müsste mehr
       Unterstützung in diesen Bereichen geben.
       
       Ich möchte gute Arbeit leisten, aber nicht auf mein Familien- und
       Privatleben verzichten. Wenn ich das Bereitschaftstelefon habe, habe ich
       keine Freizeit. Natürlich ist das eine Belastung. Ich muss bei allem, was
       ich mache, überlegen, ob ich schnell wegkomme. Wenn ich zum Beispiel zu
       einem Geburtstag eingeladen bin, muss ich überlegen, ob es nicht zu weit
       weg ist – und ich könnte kein Bier trinken. Denn das Telefon kann jederzeit
       klingeln und ich weiß nie, was mich erwartet.
       
       Die Arbeit ist vielfältiger, als ich gedacht habe. Die Geschichten sind
       immer anders, und es ist auch viel Beziehungsarbeit. Klar kann das auch
       traurig sein, aber wir sind ein gutes Team und fangen uns gegenseitig auf.
       
       Viele Frauen, die Gewalt erleben, neigen dazu, das herunterzuspielen. Sie
       denken, mir ist ja gar nichts Schlimmes passiert, sie denken, sie schaffen
       das schon und dass ihnen keine Hilfe zusteht. Selten ist es ja auch so,
       dass gleich geprügelt wird, das hat oft eine Vorgeschichte. Durch die
       Beratungsarbeit wird ihnen dann oft das Ausmaß ihrer Erfahrung bewusst; das
       geht auch telefonisch.
       
       Mir ist es wichtig, frauenpolitische Themen anzugehen und mich zu
       positionieren. Sozialarbeit ist immer auch Lobbyarbeit für diejenigen, die
       keine Lobby haben. Da versuche ich die Stimmen der Frauen zu bündeln um auf
       Missstände hinzuweisen. Protokoll: Uta Schleiermacher
       
       ## Protokoll Drei: „Das Fenster zur Flucht“
       
       ## Neun Monate fand diese Frau in einem Brandenburger Frauenhaus Zuflucht.
       Sie möchte daher Namen und Alter nicht öffentlich machen
       
       Das Frauenhaus war für mich der einzig mögliche sichere Ort. Ich hätte auch
       zu Freunden oder zu meinen Eltern gehen können, aber die Adressen wären dem
       Peiniger bekannt gewesen. Einige haben ihr Angebot dann auch tatsächlich
       zurückgezogen, weil es ihnen zu gefährlich schien. Ich bin froh, dass ich
       sie außen vor lassen konnte.
       
       Ich habe das Frauenhaus auch als einen guten Ort für Kinder erlebt. Und ich
       habe hier Unterstützung bekommen in gerichtlichen Dingen, bei der
       Auskunftssperre oder das Umgangsrecht mit den Kindern.
       
       Erst im Frauenhaus konnte ich mich richtig beraten lassen. Vorher wäre das
       wegen der umfassenden Kontrolle des Ex-Mannes nicht möglich gewesen.
       
       Irgendwann öffnet sich das Fenster zur Flucht. Und es ist unglaublich
       wichtig, dass die Tür zum Frauenhaus dann auch offen ist. Protokoll: Uta
       Schleiermacher
       
       Alle Texte stammen aus der Wochenendausgabe der taz berlin vom 2./3. Mai
       2020.
       
       2 May 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uta Schleiermacher
       
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