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       # taz.de -- Rechter Nordkreuz-Prepper Marko G.: „Eine einmalige Verfehlung“
       
       > Ein Polizist bekommt eine Bewährungsstrafe wegen illegalen
       > Waffenbesitzes. Das Gericht hat bei der Motivsuche versagt.
       
   IMG Bild: Marko G. vor dem Landgericht in Schwerin
       
       Berlin taz | Wenn ein Gericht zum ersten Mal gegen einen Angeklagten
       verhandelt, ist es eine so genannte Tatsacheninstanz. Die Beweise der
       Staatsanwaltschaft werden gewürdigt, die Einlassungen des Angeklagten auch.
       Zeugen werden befragt. Über all das werden dann Paragrafen des
       Strafgesetzbuches gelegt wie eine Folie und am Ende wird ein Urteil
       gefällt. Darin steht, ob der Angeklagte schuldig ist und wie er bestraft
       wird. Und vor allem ist darin beschrieben, was er Strafbares getan hat. Das
       Urteil hält die Tatsachen fest.
       
       Im Urteil des Landgerichts Schwerin gegen Marko G. liest man etwa: Es stehe
       fest, „dass es sich bei dieser Tat um eine einmalige – wenn auch zeitlich
       und inhaltlich sehr ausgedehnte – Verfehlung gehandelt“ habe.
       
       Marko G., 49 Jahre alt, ist Polizist, er war lange beim
       Spezialeinsatzkommando (SEK) in Mecklenburg-Vorpommern. Außerdem ist er
       Chef der Prepper-Gruppe Nordkreuz, die als Teil des „Hannibal“-Netzwerkes
       bekannt wurde. Gegen zwei ihrer Mitglieder ermittelt der
       Generalbundesanwalt wegen Terrorverdachts. Marko G. selbst [1][wurde im
       Dezember 2019 zu einem Jahr und neun Monaten Haft auf Bewährung
       verurteilt], wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Dass er
       rund 55.000 Schuss Munition hortete, hat viele Menschen bestürzt. Nicht nur
       PolitikerInnen im ganzen Land wollen wissen: Von welchen Behörden stammte
       diese Munition? Und warum besitzt ein Polizist überhaupt eine illegale
       Maschinenpistole?
       
       Bei der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern laufen gleich mehrere
       Disziplinarverfahren – gegen Marko G. selbst, aber auch gegen mutmaßliche
       Helfer. Diese sind ausgesetzt, solange die Strafverfahren andauern. Ein
       Urteil bietet die Grundlage für weitere Entscheidungen.
       
       Nun liegt das schriftliche Urteil der Großen Strafkammer 4 des Landgerichts
       Schwerin gegen Marko G. vor, es umfasst 64 Seiten. [2][Die taz
       veröffentlicht es hier im Volltext]. Es ist noch nicht rechtskräftig, weil
       die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat. Das Urteil könnte Einfluss
       darauf haben, wie die Nordkreuz-Affäre letztlich gewertet wird: Geht es
       hier um harmlose Prepper, deren schrulliges Hobby es ist, sich auf
       irgendwelche Katastrophen vorzubereiten? Oder ist Nordkreuz eine
       gefährliche Gruppierung von Rechtsextremen?
       
       Deshalb ist es bemerkenswert, dass das Urteil teils widersprüchlich ist und
       manche Aussagen aus dem Prozess unsauber wiedergegeben sind. Zudem hat das
       Gericht einige relevante Feststellungen getroffen, bei denen fraglich ist,
       wie es zu seinen Schlüssen kommt.
       
       ## 1. Das Gericht legt sich fest, das G. eine illegale Maschinenpistole
       nicht bei der Bundeswehr gestohlen hat. Erwiesen ist das aber nicht.
       
       Die RichterInnen bezeichnen es als Fakt, dass Marko G. die
       Uzi-Maschinenpistole aus Bundeswehr-Beständen, die er illegal besaß, 2009
       oder 2010 gekauft hat. Das hat er so im Prozess ausgesagt. Aber stimmt das?
       
       Marko G. war Ende 1993 beim Panzergrenadierbataillon 421 in Brandenburg
       stationiert, wo die Uzi abhanden kam. Das hat ein Mitglied der
       Expertenkommission, die sich mit den rechtsextremen Umtrieben im SEK
       beschäftigte, am 5. Dezember 2019 bei einer Sitzung des Innenausschuss in
       Schwerin gesagt. Im Protokoll ist vermerkt, dass feststehe, „dass Marco G.
       in der Zeit des Verschwindens der Waffe bei der Einheit Dienst getan habe.
       Die weitere Aufklärung obliege nun dem Gericht.“ Das Gericht hat sich an
       dieser Stelle aber allein auf die Aussage des Angeklagten verlassen.
       
       ## 2. Das Gericht legt sich fest, was von G.s Munitionsvorräten zu halten
       ist. Das ist nicht immer von Fakten gedeckt.
       
       Im Urteil steht, Marko G. habe keine „übergroße, gleichsam Un-Menge“ an
       illegalen Waffen und Munition besessen. Einen Mitarbeiter der Waffenbehörde
       zitieren die RichterInnen, dass er bereits mit Personen zu tun gehabt
       hatte, die noch mehr Munition besessen hätten. Tatsächlich hatte der
       Behördenmitarbeiter aber, als er gefragt wurde, ob es für ihn ein großer
       Einsatz gewesen war, geantwortet: „Der zweitgrößte.“ Und legal war ein
       großer Teil der gefundenen Munition am Ende nur, weil die Waffenbehörde
       nach der ersten Durchsuchung bei Marko G. ihm die Erlaubnis zum
       Munitionsbesitz offiziell nicht entzogen hatte. Das fiel erst im Prozess
       auf.
       
       Im Urteil ist auch festgehalten, dass Marko G. „erfolglos“ versucht habe,
       drei Ex-SEK-Kollegen zur [3][illegalen Munitionsbeschaffung] zu gewinnen.
       Ob das erfolglos war, ist aber gar nicht klar. Richtig ist, dass den
       Beschuldigten bislang nichts nachgewiesen werden konnte – denn die
       Ermittlungen der Staatsanwaltschaft laufen dazu noch.
       
       ## 3. Das Gericht erklärt Marko G. zum geständigen Guten. Das war er im
       Strafverfahren aber keineswegs.
       
       Mehrfach wird im Urteil betont, dass Marko G. ein Geständnis abgelegt habe.
       Etwa: „Der Angeklagte hat sich in besonderer Art und Weise vollumfänglich
       geständig eingelassen.“ Nur nebenbei wird erwähnt, dass das Geständnis
       alles andere als „vollumfänglich“ war, da Marko G. „keine weiteren
       konkreten Angaben zur Erlangung insbesondere der Behördenmunition,
       namentlich durch Benennung von Lieferanten, Mengen und Zeitpunkten gemacht
       hat“.
       
       Es wird als positiv herausgestellt, dass Marko G. bei den Durchsuchungen
       kooperiert habe. Dabei erwähnte er 2017 nicht einmal, dass er woanders noch
       mehr Munition und illegale Waffen gelagert hat. Die Uzi etwa fanden die
       Ermittler erst, als sie ihn fast zwei Jahre später erneut durchsuchten. Aus
       seinem angeblich kooperativen Verhalten leiten die RichterInnen sogar ab,
       dass Marko G. „durchgängig auch während der Begehung der Tat im Kern noch
       auf dem Boden des Rechts stand, denn er hat den staatlichen Stellen
       vertraut“.
       
       Das Gericht sagt also: Ein Mann, der sich illegal Waffen und
       Behördenmunition beschafft, steht „im Kern noch auf dem Boden des Rechts“.
       Und das, obwohl er als Polizist besser als jeder andere wissen muss, wo die
       Grenze zwischen Recht und Unrecht verläuft.
       
       Wie das Gericht zu der Auffassung gelangt, Marko G. habe den staatlichen
       Stellen vertraut, bleibt sein Geheimnis. Seine Vorbereitungen auf einen
       „Tag X“ zeugen ja gerade von einem Misstrauen dem Staat gegenüber.
       
       Eine solche sehr wohlwollende Betrachtungsweise zieht sich durch das
       gesamte Urteil. Die RichterInnen nehmen Marko G. ab, „stets einer von den
       Guten gewesen zu sein bzw. dies zu wollen“; ihm wird sehr viel Naivität
       zugestanden. Oder sind die RichterInnen naiv?
       
       Keinen Zweifel sieht das Gericht daran, dass Marko G. fremdenfeindliche und
       rechtsradikale Inhalte ausgetauscht hat, etwa Geburtstagswünsche für Adolf
       Hitler. Relativiert wird das dadurch, dass er „im Wesentlichen nur
       Empfänger solcher Nachrichten“ war und „diese nur vergleichsweise wenig
       positiv kommentiert und/oder weitergeleitet“ hat.
       
       Der ideologische Hintergrund eines Täters ist bei einem Strafverfahren von
       Bedeutung. „Soweit Anhaltspunkte für rassistische, fremdenfeindliche oder
       sonstige menschenverachtende Beweggründe bestehen, sind die Ermittlungen
       auch auf solche Tatumstände zu erstrecken“, heißt es in den
       [4][“Richtlinien für das Strafverfahren“] von Bund und Ländern. Marko G.s
       politische Einstellung sei aber nur relevant, so wird es im Urteil
       ausgeführt, wenn sich aus ihr Rückschlüsse auf das Motiv ziehen lassen. Hat
       seine Einstellung etwas mit dem Horten von Waffen und Munition zu tun? Die
       RichterInnen sagen: Sie sehen „keinen Bezug“.
       
       ## 4. Laut Gericht sollten die Waffen und Munition nicht für illegale
       Zwecke benutzt werden. Das wurde aber gar nicht richtig ermittelt.
       
       Was Marko G. mit den Waffen und der Munition vorhatte, konnte der Prozess
       nicht klären. Marko G. selbst sagte: Sportschießen und ein bisschen
       Abenteuerlust.
       
       Im Urteil wird dies folgendermaßen bewertet: Marko G. habe sich mit dem
       „preppen“ und den Vorbereitungen auf einen „Tag X“ „verrannt“. Es könne
       nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte auf den Eintritt dieses
       Ereignisses hingearbeitet habe oder dass er konkret beabsichtigte, Waffen
       und Munition „bei Eintritt des Tages X in nicht rechtskonformer Art und
       Weise zu nutzen“.
       
       Aber was wäre überhaupt eine legale Nutzung von Gewehren und zehntausenden
       Schuss Munition am „Tag X“? Kurz vor dem Bürgerkrieg noch schnell eine
       Runde mit Freunden auf den Schießstand?
       
       Die Staatsanwaltschaft hat zwar ermittelt, dass Marko G. Munition für seine
       Nordkreuz-Gruppe sammelte. Das wurde vor Gericht grundsätzlich so
       bestätigt. An den fünf Prozesstagen wurde aber keine konsequente
       Beweisführung betrieben. Viele Schlüsselfiguren wurden nicht neu befragt,
       sondern es wurde auf frühere BKA-Vernehmungen zurückgegriffen, die mit
       einem anderen Fokus geführt worden waren.
       
       Aber auch in diesen thematisierte ein Zeuge, dass Marko G. für Nordkreuz
       Depots anlegen wollte, dabei ging es auch um Munition. Auf Listen, die
       Ermittler bei Marko G. fanden, standen sogar Leichensäcke – laut
       Angeklagtem als Schlafsack-Überzug gedacht. Die RichterInnen argumentieren:
       Die „leicht naiv anmutende Protokoll- und Buchführung des Angeklagten“
       spreche „gegen die Planung weiterer Straftaten“.
       
       Aber selbst die in der Hauptverhandlung thematisierten relevanten
       Chatinhalte finden nicht Eingang ins Urteil. Nicht erwähnt wird etwa ein
       Bild mit mehreren Soldaten, von denen einer auf eine am Boden liegende
       Person zielt, dazu der Schriftzug „Asylantrag abgelehnt“. Hier zeichnet
       sich also durchaus ein Zusammenhang ab zwischen der politischen Einstellung
       und einem möglichen Waffengebrauch.
       
       Ebenso keine Erwähnung findet Marko G.s Mitgliedschaft in der Chatgruppe
       „Vier gewinnt“, die als rechtsextrem eingestuft ist. Die vier Mitglieder
       sollen bei einem Treffen [5][mit Blick auf den „Tag X“ Tötungsfantasien]
       ausgetauscht haben. Dazu wurde Marko G. vor Gericht nicht befragt. Er
       konnte unwidersprochen behaupten, diese Chatgruppe sei ausschließlich für
       die Organisation von Reservistenübungen verwendet worden.
       
       Bei der Strafzumessung schließlich legte es das Gericht zu Gunsten des
       Angeklagten aus, dass er zwar unter anderem eine Maschinenpistole besessen
       habe, aber „schließlich auch keine besonders schweren Kriegswaffen wie
       Lenkflugkörper, Kampfpanzer oder Kriegsschiffe“.
       
       24 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Urteil-im-Prepper-Prozess/!5647333
   DIR [2] /static/pdf/taz_Urteil_MarkoG.pdf
   DIR [3] /Rechte-Prepper-Gruppe-Nordkreuz/!5674282
   DIR [4] https://www.bmjv.de/SharedDocs/Archiv/Downloads/RiStBV.pdf?__blob=publicationFile&v=3%20Aus%20einem%20importierten%20Dokument
   DIR [5] /Rechter-Terror-in-Deutschland/!5608261
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sebastian Erb
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