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       # taz.de -- Grüne über Atomwaffen in Deutschland: „Wie aus dem Kalten Krieg“
       
       > Die Groko streitet über US-Atomwaffen, die in Deutschland stationiert
       > sind. Auch die Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger fordert deren Abzug.
       
   IMG Bild: Ein Tornado-Flugzeug in Grossenhain
       
       taz: Frau Brugger, SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat jüngst den Abzug
       aller US-Atomwaffen aus Deutschland gefordert – so wie es die Grünen schon
       lange tun. Er argumentiert, dass nukleare Teilhabe nicht zwangsläufig
       Atomwaffen auf dem eigenen Territorium bedeuten, und führt Kanada als
       Beispiel an. Wie ist die Lage in Deutschland? 
       
       Agnieszka Brugger: Die nukleare Teilhabe in der Nato bedeutet aktuell, dass
       US-Atomwaffen in Büchel stationiert sind und Pilotinnen und Piloten der
       Bundeswehr deren Abwurf üben, auch wenn das wie ein surreales Szenario aus
       dem Kalten Krieg wirkt. Daran nimmt die Bundesregierung teil und
       unterstützt so die gefährliche Entwicklung, dass weltweit
       Atomwaffenarsenale aufgerüstet werden. Von den Versprechen für Abrüstung
       und Rüstungskontrolle aus dem Koalitionsvertrag ist dagegen von dieser
       Regierung einfach nichts zu hören gewesen.
       
       Die Union nennt die nukleare Teilhabe „unverzichtbar“. Besteht die Angst,
       sich ins Abseits zu manövrieren? 
       
       Auch andere Nato-Staaten sind bisher aus der nuklearen Teilhabe
       ausgestiegen, ohne aus den entscheidenden Zirkeln verbannt worden zu sein.
       Wer nur ängstlich auf die Meinung in der Nato schaut, ignoriert fahrlässig,
       welche weltweiten Risiken durch fehlende Abrüstung entstehen.
       
       Der Streit zwischen Union und SPD entzündet sich auch an dem [1][Vorhaben
       der Verteidigungsministerin, veraltete Bundeswehr-Tornados] durch
       F-18-Kampfflugzeuge aus US-Produktion zu ersetzen. Dabei geht es um die
       Frage: Soll die Bundeswehr weiter Flugzeuge besitzen, die notfalls
       amerikanische Atomwaffen transportieren können? Wie lautet Ihre Antwort? 
       
       Es ist ein großes Versäumnis, dass das vor Jahren bestehende Zeitfenster
       für nukleare Abrüstung nicht genutzt wurde und sich Union und FDP vom
       parteiübergreifenden Konsens verabschiedet haben, dass die US-Atomwaffen
       aus Deutschland abgezogen werden sollten. Die Bundesregierung sollte die
       nukleare Teilhabe beenden, ganz egal welches Nachfolgemodell sie für die
       Tornados beschafft.
       
       Mützenich begründet seine Forderung auch mit dem „Eskalationsrisiko“ durch
       US-Präsident Donald Trump. Dessen Nukleardoktrin sieht Atomwaffen nicht
       mehr nur als Abschreckung, sondern auch als Instrument für
       Vergeltungsschläge, etwa bei Cyberangriffen. Kann Deutschland im Fall der
       Fälle überhaupt sagen: Nein, unsere Kampfflugzeuge bleiben am Boden? 
       
       Theoretisch natürlich. Niemand bestreitet, dass die Atomwaffen keinen
       echten militärischen, sondern eher einen politischen und symbolischen Wert
       haben. Es geht ja aber darum, dass sich die Bundesregierung hinter den
       Atommächten versteckt. Ich konnte nichts von dem vielbeschworenen Einfluss
       der Atomwaffen-Fans sehen, als Donald Trump einen hochgefährlichen
       Strategiewechsel und die Aufkündigung des Iran-Abkommens gegen den Willen
       der europäischen Staaten vollzogen hat. [2][Angesichts der aktuellen
       Aufrüstungsspirale] steigt die Gefahr, dass die Bad Guys dieser Welt sich
       selbst Atomwaffen beschaffen.
       
       Widerspruch kam erwartungsgemäß auch aus der Union: „Die SPD ist
       sicherheitspolitisch im Nirwana angekommen“, sagte etwa der CDU-Politiker
       Patrick Sensburg. Bleibt es – auch mit Blick auf 2021, wenn es vielleicht
       darum geht, eine mögliche schwarz-grüne Koalition auszuhandeln – bei Ihrem
       Nein zu F-18 und Atomwaffen? 
       
       Bei den Jamaika-Sondierungen hat es da ordentlich gekracht, da verrate ich,
       glaube ich, nicht zu viel. Wir Grüne werden diese Position nicht einfach
       räumen. Übrigens hat die Union ja 2010 einen Antrag zum Abzug der
       US-Atomwaffen unterzeichnet. Und zwar im Bundestag und nicht im Nirwana.
       
       Trotzdem: Für die Grünen als Antiatomkraft- und als Friedenspartei ist das
       Thema nukleare Abrüstung sensibel. Befürchten Sie nicht, dass an solch
       einer Frage ein schwarz-grünes Projekt scheitern könnte? 
       
       Wir Grüne wollen eine Friedenspolitik, die den Namen verdient, und dazu
       gehören Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir werden darum kämpfen und das
       ganz sicher nicht in vorauseilendem Gehorsam abschichten.
       
       5 May 2020
       
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