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       # taz.de -- Die Coronakrise und der Tourismus: Die Alpenkulisse wartet
       
       > Garmisch bereitet sich auf einen Gästeansturm vor, wenn der Lockdown
       > endet. Es regiert das Prinzip Hoffnung, dass alles genauso wird wie
       > früher.
       
   IMG Bild: Als noch Urlauber kamen: Alpenpanorama oberhalb von Garmisch-Partenkirchen
       
       Bleiben Sie in der Energie“, rät die gute Seele der Tourismusinformation
       Garmisch-Partenkirchen am Telefon, und bevor man glaubt, man habe
       versehentlich ein esoterisches Zentrum angerufen, erklärt die Frau in
       rheinischem Singsang, warum sie frohgemut in die Zukunft blickt. „Im Herbst
       werden sie uns überrennen, wenn noch mehr in Deutschland Urlaub machen.“
       
       Doch schon früher als im Herbst sollen die Gäste in die Orte unterhalb von
       Alpspitze und Zugspitze kommen, damit die Gaststätten, Cafés und Pizzerien
       überleben. Und die Leute sollten länger als die üblichen 3,2 Nächte in
       Garmisch-Partenkirchen bleiben, damit sich die Hotels und Ferienwohnungen
       erholen können.
       
       „Viele Betriebe leben von der Substanz“, sagt Daniel Schimmer, Manager des
       Hotels Garmischer Hof und stellvertretender Kreisvorsitzender des
       Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands. Die Soforthilfen seien
       teilweise noch gar nicht angekommen, das Kurzarbeitergeld für den März
       bisher nicht erstattet. „Meine Eigentümer leben von den Rücklagen“, sagt
       Schimmer, die Arme vor der Brust seines blauen Anzugs verschränkt. Er
       schaut über den gekiesten Parkplatz hinterm Hotel in der Garmischer
       Altstadt, an der Garagenmauer wartet eine Stromtankstelle auf Gäste mit
       Elektroauto.
       
       ## Ruhe zwischen den lehmverputzten Wänden
       
       Schimmer bezieht Gemüse und Obst vom Bioladen in Garmisch, die
       Frühstückseier für die Gäste kommen aus einem Henne-Gockel-Ei-Projekt. Bio
       heißt das Konzept der Familie Seiwald, die den Garmischer Hof seit 1928
       betreibt. Zu 89 Prozent seien die Zimmer ausgelastet gewesen, sagt
       Schimmer. Nun hätten sie die Kreditzahlungen, wo immer das möglich war,
       ausgesetzt und den Mitarbeitenden Kurzarbeit angeboten. Die zehn
       Auszubildenden beschäftigt der Garmischer Hof weiter. Die kommen mal und
       lüften, lassen das Wasser laufen, mähen den Rasen. Ansonsten herrscht Ruhe
       zwischen den lehmverputzten Wänden.
       
       Ostern hätte das Haus voll sein können, der April wäre heuer ideal gewesen,
       auch für Wanderer, erzählt Schimmer am blanken Tisch in der Gaststube. Und
       ab dem 16. Mai hätte er 50 Betten an die BesucherInnen der Passionsspiele
       Oberammergau vermietet. Bis zur letzten Aufführung Anfang Oktober wäre das
       Haus mit Passions-Gästen aus aller Welt gefüllt gewesen. Doch die Passion
       ist auf den Mai 2022 verschoben.
       
       Garmisch-Partenkirchen und die Region im Werdenfelser Land hatten noch vor
       zehn Jahren bei den Touristikern ein Image wie eine Bretzn von gestern. Der
       Landkreis und Markt Garmisch-Partenkirchen haben daraufhin in eine neue
       Dachmarke namens „Zugspitz Region“ investiert und den Slogan „Entdecke
       deine wahre Natur“ entwickelt. „Die Leute sitzen viel und haben einen Drang
       nach draußen – dafür bieten wir die Spielfläche“, sagt Philipp Holz,
       Tourismusmanager der Zugspitz Region.
       
       Skifahren im Winter, Wandern, Bergsteigen, Fahrradfahren in der Hauptsaison
       von Mai bis September. Mittlerweile boomt die Gegend. Allein im letzten
       Jahr haben in Garmisch-Partenkirchen 526.472 Menschen ein Zimmer gemietet
       und damit die grüne und die rote Linie von Übernachtungen und Gästen in den
       Statistiken der GaPa-Tourismus auf ein Hochplateau befördert.
       
       Ein paar der Bauernhöfe und Häuser im alpenländischen Stil stehen noch im
       Ortsteil Garmisch, ansonsten bezieht der Markt seinen Charme aus dem Blick
       auf die Alpspitze und das Zugspitzmassiv. Mittelalter Waschbeton und
       verputzte Fassaden in der Fußgängerzone, Kurpark mit dem Kongresszentrum,
       das Einkaufscenter am Rande der Innenstadt, all das können die
       heißersehnten Touristen mit dem Auto umrunden, wenn sie in die beworbene
       Alpennatur reisen. In drei, vier Jahren können sie den ganzen Ort umkurven,
       wenn denn der von den Garmischern lang ersehnte Kramer-Tunnel mit
       Umgehungsstraße endlich fertig ist.
       
       Mehr alpenkulturelles Flair finden die Gäste im Ortsteil Partenkirchen. Der
       Geruch nach Kuhstall weht dort durch die Fußgängerzone, ein Korbmacher hat
       dort ein Geschäft, ein Seiler einen Laden, ein Hofmetzger fertigt
       Alpenwiener.
       
       Hoteliers und FerienwohnungsbesitzerInnen haben mächtig investiert und
       umgebaut, um neue Gäste anzuziehen. Pool auf dem Dach mit Blick auf die
       Alpspitze, Spa im Keller. Für die Menschen, die Natur lieber nur anschauen
       und das erleben, was Tourismusmanager Holz ein „sicheres Abenteuer“ nennt,
       haben die Touristiker eine Stahl-Glas-Konstruktion an die Alpspitze gebaut,
       auf der BesucherInnen 1.000 Meter über dem Abgrund stehen und auf die
       Zugspitze schauen können.
       
       Die Touristiker setzen auch auf Events wie die BMW Motorrad Days mit 40.000
       Bikern oder das „Alpentestival“, bei dem die Besucher im Olympiastadion
       neues Gerät für Outdoor-Aktivitäten ausprobieren können. Doch auch die
       Klassikfreunde, die sich bisher am Richard Strauß-Festival erfreuen
       konnten, sollen jünger, frischer werden. Deswegen war für diesen Juni ein
       Konzert im Panoroma-Restaurant auf der Zugspitze geplant. Mit Abendessen.
       Ob das Konzept neue Kunden gelockt hätte, ist nun wurscht, das Festival ist
       abgesagt. Überhaupt alle Events sind abgesagt und Corona wird jede Art von
       Massenveranstaltung auf unbestimmte Zeit unmöglich machen.
       
       ## Die Ausfall-Versicherung hilft auch nicht
       
       Die verlorenen Aussichten der Vergangenheit schmerzen. Die Hoteliers ärgern
       sich zudem über die bayerische Politik, die ihre Beherbergungsbetriebe
       nicht etwa geschlossen, sondern den touristischen Betrieb mit Ausgangs- und
       Kontaktbeschränkungen unterbunden hat. Wer sein Hotel im Land von Weißwurst
       und Zugspitze nun wegen des Virus schließt, hat das also selbst
       entschieden. Und deswegen zahlen die Versicherungskonzerne keine
       Entschädigungen aus den Betriebsschließungsversicherungen, die sie im
       Januar als Schutz vor Corona noch verstärkt verkauft haben, bemängelt der
       bayerische Hotel- und Gaststättenverband. Stattdessen bieten die
       Versicherer zehn bis 15 Prozent der Entschädigungssumme an. Offensichtlich
       haben die Konzerne einen besseren Draht in die Bayerische Staatskanzlei als
       der Hotel- und Gaststättenverband.
       
       Der Eibsee bei Grainau, keine vier Kilometer von Garmisch entfernt,
       leuchtet sattgrün. Im flachen Wasser am kiesigen Strand strahlt der See
       türkis und fügt sich harmonisch in das dunkle Grün der Fichten am Ufer. Der
       Eibsee wirkt schon ohne Corona-bedingte Leere märchenhaft, denn außer einem
       Hotelkomplex und ein paar Bootshäusern haben die privaten Besitzer des Sees
       das sieben Kilometer lange Ufer nicht bebaut.
       
       Im Mai 2020 ruht der Eibsee still auf 998 Meter über null und mutet
       paradiesisch an. Über dem See ragt weitere 1.964 Meter höher die Zugspitze
       empor, die in der Abendsonne mal rot, mal dunkelviolett leuchtet.
       Amerikanische, arabische und chinesische Pärchen lieben es, sich im Sommer
       vor dieser Kulisse zu fotografieren.
       
       ## 120 Menschen passen in die Seilbahn, keiner fährt mit
       
       Durch die Schönheit dröhnt auch in Zeiten von Corona das Motorengeräusch
       der nagelneuen Zugspitz-Seilbahn. Groß wie ein Einfamilienhaus düst die
       menschenleere Kabine alle halbe Stunde von der Talstation hinauf zum
       Schneeferner-Haus. Am Nachmittag kommen ein paar Wissenschaftler der
       Wetterstation herunter, mit ihnen zwei Maler, die da oben renovieren. 120
       Leute könnten da auf einmal hinauf- und hinabschweben.
       
       So richtig Halligalli auf der Zugspitze war das letzte Mal am sonnigen
       Sonntag, dem 15. März. Dicht an dicht standen die Menschen in der Schlange
       vor der Talstation, um noch einmal vor der Coronaschließung auf den Berg zu
       kommen. Am Kreuzeck und den anderen Seilbahnen drängten sich die Skifahrer,
       der Parkplatz, groß wie ein kleines Dorf, war überfüllt. Grade einmal 90
       Kilometer sind es von dort bis nach München.
       
       Allein auf die Zugspitze befördert die Bayerische Zugspitzbahn locker
       600.000 Menschen im Jahr. Im April 2019 brachte die Seilbahn 2.000 Menschen
       am Tag auf den höchsten Berg Deutschlands. Hinzu kommen Lifte und Bahnen
       rund um Garmisch mit Veranstaltungs- und Gastronomiebetrieben. Alles
       geschlossen, rund 400 MitarbeiterInnen sind in Kurzarbeit. Corona
       vernichtet bei der Bayerischen Zugspitzbahn Umsätze und Gewinne in
       Millionenhöhe. „Alleine im April haben wir 10 Prozent der Jahresleistung
       nicht befördern können“, teilt das Unternehmen schriftlich mit.
       
       Um auf den erhofften Ansturm nach Ende des Lockdowns vorbereitet zu sein,
       warten und putzen die Bergbahner seit März Schienen, Bahnen und die
       Wirtschaften am Ende und Anfang jeder Seilbahntour. „Wir gehen davon aus,
       dass der Wunsch nach Naturerlebnissen vor allem bei den Naherholern sehr
       stark ausgeprägt sein wird, und erhoffen uns einen Zuwachs beim
       inländischen Tourismus“, schreibt Marketingleiter Klaus Schanda. „Bis das
       Niveau aus 2019 im internationalen Reiseverkehr wiederhergestellt ist,
       können fünf Jahre vergehen.“
       
       Keine Gäste, das bedeutet auch null Euro Kurtaxe, keine Gewerbesteuer, null
       Anteil an der Einkommensteuer für die Gemeindekasse. Die frühere
       Bürgermeisterin Sigrid Meierhofer (SPD) rechnet mit zehn Millionen Euro
       Einbußen für Garmisch-Partenkirchen.
       
       ## Ein Bruch, der zum Nachdenken führt?
       
       „So a Bruch is gut, dass die Leut zum Nachdenken komma“, sagt Wolfgang
       Pohl, Berg- und Skiführer und Geschäftsführer seiner von ihm und einem
       Kompagnon gegründeten Vivalpin GmbH in Garmisch. Pohl und seine
       BergführerInnen zeigen Menschen, wie sie den Klettersteig zur Alpspitze
       raufkommen, und bringen sie durch die Höllentalklamm auf die Zugspitze.
       „Seit 16. März schauen die mit dem Ofenrohr ins Gebirg“, sagt Pohl, was
       bedeutet, dass die WanderführerInnen auch keine Einnahmen haben.
       
       Pohl machte bislang einen Großteil seines Geschäfts neben der
       Zugspitzregion mit Skiwanderreisen in den Iran, Spanien oder Kirgistan.
       Alles storniert. Er steckt nun seine Altersversorgung in das Unternehmen,
       die sechs festangestellten MitarbeiterInnen sind in Kurzarbeit. „Ich sehe
       das ganz entspannt“, sagt Pohl im schönsten Oberbayerisch. „Wir sind die
       erste Generation, die nur Wohlstand kennt, und da haben wir jetzt in 30
       Jahren ein schlechtes Jahr – wo ist da das Problem?“
       
       Pohl hofft, dass er nach Pfingsten mit sehr kleinen Gruppen wieder
       tageweise in die Berge rund um Garmisch gehen kann. Und dass
       Garmisch-Partenkirchen beginnt umzudenken, weniger Straßen, weniger Autos,
       keine weiteren Hotelkomplexe, keine Events wie das Motorradtreffen. „Wir
       müssen doch mal an unsere Enkel denken“, sagt Pohl. „Was die Orte in den
       Alpen an Grauen hier angerichtet haben, in dieser wunderschönen Natur.“
       
       5 May 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Fokken
       
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