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       # taz.de -- Widerstand gegen Corona-Einschränkungen: Die Größten
       
       > Am Wochenende lag ein Exemplar der „Größten Wochenzeitung“ in meinem
       > Briefkasten. Das hat mich nachdenklich gemacht.
       
   IMG Bild: Mit Mundschutz abgeführt: „Widerstand – 2020“-Demonstrant am 1. Mai in Berlin
       
       Größte Kolumne! Nachdem das geklärt ist, kommen wir zum Inhaltlichen. Am
       Samstag begegnete ich dem Demokratischen Widerstand. Er lag in Stapeln im
       Treppenhaus herum und steckte in meinem Briefkasten. „Größte Wochenzeitung“
       stand schräg rechts neben dem Titel. Ich war beeindruckt. Größte
       Wochenzeitung, umsonst in meinem Briefkasten? Größte der Welt?
       Deutschlands? Hamburgs? Altonas? Meines Hauses? Es spricht mich immer an,
       wenn jemand sagt: „Ich bin die/der Größte.“ Das ist für Menschen, die sich
       inhaltlich nicht überzeugen lassen, ein wichtiger Hinweis. Größte Kolumne!
       Wichtig auch: nicht „die größte Kolumne“. Das Benutzen von Artikeln stößt
       das Volk ab.
       
       Im Demokratischen Widerstand geht es ungefähr um: „Die verfassungsbrüchige
       Regierung“, „Masken ab!“, „Grundgesetz“. Den „Linken Mitbürgern“ wird
       empfohlen, sich lieber nicht so für „Menschen in anderen Regionen des
       Planeten“ zu interessieren, sondern besser für sich selbst. Also um
       Deutsche, in Deutschland, die unter dem „Hygieneregime“ leiden. Aber: „Die
       Verleumder ducken sich lieber im Home-Office.“ Ich ducke mich schon immer
       im Homeoffice, ich habe gar kein anderes Office, das passt zu meiner
       verleumderischen Kolumne.
       
       „In der Endzeit werden überall das Menschenrecht mit Füßen getreten“. Wie
       kann das sein, fragt sich Jil Jandsaja: „Wollen sie dem Staat gefallen, ein
       Gutbürger sein oder genießen sie einfach nur die Zeit vor der Röhre?“
       Fragen über Fragen. Nachdenklich blättere ich weiter, weil aber die „größte
       Wochenzeitung“ nur aus zwei Stück Papier besteht, die zu vier Seiten
       gefaltet sind, habe ich sie sehr schnell durchgeblättert, und da fange ich
       einfach noch mal von vorn an und erfahre, was ich Widerständiges machen
       kann: in eine Partei eintreten!
       
       Ich war noch nie Mitglied einer Partei, aber vielleicht ist es jetzt an der
       Zeit. Die Partei mit der „größten Wochenzeitung“ hinter sich heißt:
       [1][„Widerstand 2020“]. Das macht mich wieder nachdenklich. Wird eine
       Partei mit so einem rasch veralteten Namen in Zukunft noch aktuell wirken?
       Und die viel wichtigere Frage wird vom Demokratischen Widerstand gestellt:
       „Muss es rasch Neuwahlen geben?“
       
       Bereits sehr nachdenklich geworden, spazierte ich durch die Stadt und
       entdeckte andere Formen des Widerstandes, in Form von Fragezetteln, die an
       Bäumen und Laternenmasten befestigt waren. „Hast du dich auch schon
       gefragt,...“ lautete die Überschrift eines Zettels mit 20 Fragen. Da ich
       hier so nett angesprochen wurde, fragte ich mich also, ob ich mich auch
       schon gefragt habe, „warum ich (fast) niemanden persönlich kenne, der an
       Corona erkrankt ist“. Ich möchte die Antwort hier öffentlich machen: Nein.
       
       Ich wandelte weiter, immer noch ziemlich, ja eigentlich schon in recht
       hohem Maße nachdenklich geworden, direkt bis zum Jungfernstieg hin, da
       erblickte ich vor dem „Brandy Melville“ eine lange Schlange junger und auch
       mittelalter Leute, die geduldig ausharrten. Und da kam doch, just als ich
       vorbeiging, eine junge Verkäuferin mit Mundschutz aus dem Laden gelaufen,
       um den zum Ende der Schlange hin Wartenden beizubringen, dass sie die
       Schlange verlassen sollten, denn so einen Menschenauflauf könne man nicht
       dulden.
       
       Da ging der Kampf um die Freiheit vor meinen Augen los. Ich konnte erleben,
       was die Menschen wirklich aufbringt, wenn da nämlich welche schon seit zehn
       Minuten in der „Brandy Melville“-Schlange stehen, um sich endlich mal
       wieder in Freiheit eine schöne Jeans kaufen zu können, und werden jetzt
       wieder weggeschickt.
       
       In fast schon nicht mehr steigerbarem Maße nachdenklich schlenderte ich
       Richtung Binnenalster, wo mir von einem Mann die wieder „größte
       Wochenzeitung“ angeboten wurde. Widerständige hockten auf dem Boden und
       demonstrierten. Es begann zu regnen, ein Auto fuhr vorbei, auf dem stand
       geschrieben: „Öffnet die Pflegeheime! R.I.P. Papa.“ Extremst nachdenklich
       blieb ich in der Menge Eingesperrter am Jungfernstieg zurück. Größte
       Kolumne!
       
       6 May 2020
       
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